Bernard MacLaverty, geboren 1942 in Belfast, seit langem in Schottland lebend, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Irish Book Award für den vorliegenden Roman, „Midwinter Break“ (Schnee in Amsterdam) – ich muss zugeben – war mir völlig unbekannt. Ein bisschen googeln ergab, dass er Vorlage und Drehbuch für „Cal“ geschrieben hat, einen Film aus den 80er Jahren über den Nordirland-Konflikt, den zumindest kannte ich.
Und nun liegt „Schnee in Amsterdam“ vor, wiederum laut Google der erste Roman des Autors seit sechzehn Jahren. Was mich zu diesem Roman hinzog, war weder der Klappentext, noch das Buchcover, sondern etwas, worauf ich ansonsten gar nicht achte: eine Lobhudelei auf der Buchrückseite. Diese hier stammt von Richard Ford, und der ist einer meiner Säulenheiligen der Literatur.
Wie gut, dass ich ihm auch hier vertraut habe, denn „Schnee in Amsterdam“ ist ein ganz wunderbares Buch, dem noch viel mehr Aufmerksamkeit gebührt.
Erzählt wird von einem verlängerten Wochenende, das Stella und Gerry Gilmore eines Januars in Amsterdam verbringen. Die beiden sind vermutlich Ende Sechzig/Anfang Siebzig, stammen wie der Autor aus Nordirland, leben aber schon seit vielen Jahrzehnten in Glasgow. Stella war Lehrerin, Gerry Architekt, beide sind auch jetzt im Rentenalter noch tätig und aktiv, auch wenn sich das Alter so langsam meldet. Der gemeinsame Sohn lebt mit Frau und kleinem Sohn in Kanada, Kontakt besteht, aber allein durch die Entfernung sieht man sich sehr selten.
Die Reise nach Amsterdam war ein Weihnachtsgeschenk von Stella für ihren Mann, recht bald merkt man aber, dass sie auch ganz eigene Interessen verfolgt. Vor Jahren führte sie schon einmal eine Lehrerkonferenz in die niederländische Metropole. Ein kleiner Platz dort, der Begijnhof, hat sich in ihre Erinnerung eingebrannt. Und auch der Leserin steht dieser wunderschöne, etwas versteckte Hof wieder deutlich vor Augen. Dort lebten seit dem Mittelalter Frauen allein ein freiwillig Gott geweihtes Leben, ohne dass ein Gelübde nötig war. Ein solches Leben schwebt nun am Lebensabend auch der praktizierenden Katholikin Stella vor.
Ihre Ehe mit Gerry fühlt sich für sie an wie eine Sackgasse. Ohne Kinder oder Enkel beklagt sie eine Leere, weiß nicht, wie weiter. Eine Krise, die nach der eigentlichen Midlife-Krise viele ältere (vorwiegend) Frauen befällt. Die große Frage nach dem „War´s das?“.
Besonders Gerrys Alkoholproblem macht Stella sehr zu schaffen. Zwar ist er ein sehr „friedlicher“ Alkoholiker, der auch nach massivem Genuss den Anstand wahrt, niemals zu Gewalt oder Ausfälligkeit neigt. Aber dennoch, er ist Alkoholiker, sein Leben dreht sich ganz um den Genuss von Hochprozentigem und auch in Amsterdam geht es meist darum, sich den einen oder anderen Schluck, möglichst heimlich, zu besorgen.
Wie so vielen Männern entgeht ihm die Entfremdung seiner Frau. Er fühlt sich in der Ehe glücklich. Und auch der Leserin erscheint die Verbindung alles andere als aussichtslos. So viele kleine Rituale, so viel Vertrautheit, Humor, ja sogar noch Sex verbindet die Beiden. Aber da sind natürlich auch Gegensätze, die der Autor subtil zu vermitteln weiß, beispielsweise indem Stella permanent unter trockenen Augen leidet, während diese Gerry im kalten Winterwind ständig tränen. Überhaupt vermittelt Bernard MacLaverty in „Schnee in Amsterdam“ vieles aus dieser Ehe sehr zart und quasi „unter der Hand“. Eine zweite Lektüre würde sich definitiv lohnen, auch wegen der vielen präzisen Alltagsbeobachtungen, die oft ganz zauberhaft sind.
So begleitet man die beiden bei klirrender Kälte durch Amsterdam, ins Riksmuseum, das Anne-Frank-Haus und durchs Rotlichtviertel, sitzt mit ihnen im Café und beim Frühstück, lernt sie durch den ständigen Perspektivwechsel kennen und bangt um ihre Beziehung, schwankt zwischen Ungeduld mit Gerrys Umgang mit dem Alkohol und Rührung angesichts der offensichtlichen Liebe, die er zu seiner Frau empfindet. Man versteht Stellas Wunsch nach einer Trennung und schüttelt Seiten später darüber den Kopf. Nach und nach offenbaren sich auch die Altlasten des Nordirlandkonflikts, die beiden in den Knochen stecken und sich beispielsweise so äußern, dass Gerry sich niemals mit dem Rücken zu einer Tür setzt, seitdem er als junger Mann nur knapp einem Bombenattentat entgangen ist. Auch Stellas Religiosität stellt sich in diesem Zusammenhang ganz anders dar.
Vermeintlich einfach und doch so subtil zeichnet der Autor rührende Alltagsminiaturen. Glaubwürdig und bewegend erzählt er vom Alter und von der Frage, die alle Menschen umtreibt, die aber gerade dann vielleicht besonders dringlich wird: Wie will ich (weiter)leben? Was ist das, ein gutes, ein erfülltes Leben? Was bleibt?
Ein ganz wunderbares, feines Buch! Lobend zu erwähnen wäre vielleicht noch, dass das Originalcover auch für die deutsche Ausgabe verwendet wurde. Mag es auf den ersten Blick vielleicht ein wenig kitschig anmuten, spiegelt es in seinen verhaltenen Farbtönen, der Positionierung der beiden Figuren und der Stimmung, die sie umgibt, den Roman fabelhaft wieder. „Never judge a book by its cover“ – hier ist es hervorragend gelungen.
Frau Lehmann hat das Buch auch bereits gelesen.
Beitragsbild: Amsterdam – Brouwersgracht by Maarten Sepp [CC BY-SA 4.0], from Wikimedia Commons
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Klingt interessant und vielschichtig. Besonders, wenn man Amsterdam mag.
Viele Grüße!
Ich mochte es sehr. Ich mag allerdings auch Amsterdam und kenne es auch vorwiegend im Winter 😉 Viele Grüße zurück!