Der November war wieder einmal ein Monat mit vielen, vielen Seiten und zahlreichen Besprechungen. Dazu kamen die Verlagsvorschauen für das Frühjahr, die natürlich auch durchforstet werden wollten. Alle guten Vorsätze, da mal gemächlicher dran zu gehen, sind vergeblich – wenn sie erst mal da sind, siegt die Neugier. Aber wie war die Lektüre im November 2018?
Mit „Macbeth“ habe ich diesen Monat so ziemlich das schlechteste Buch des Jahres gelesen (oder doch Haratischwili???), aber wie immer, die Geschmäcker sind verschieden, es gibt Leser, die es durchaus schätzten, deshalb lasst euch nicht abschrecken. Ansonsten gute bis sehr gute Bücher, die sehr unterschiedlich sowohl von der Thematik als auch vom Erzählkonzept her waren.
In „Neujahr“ hat sich Juli Zeh die neue Volkskrankheit Panikattacken/Burnout als aktuelles Thema ausgesucht und zumindest im ersten Teil interessant umgesetzt. Da erleidet Familienvater Henning während des Urlaubs auf Lanzarote eine solche. Nicht zum ersten Mal. Auf einer kräftezehrenden Fahrradtour versucht er ihr zu entkommen und landet inmitten seiner Kindheit. Ein verdrängtes traumatisches Erlebnis just auf Lanzarote holt ihn wieder ein. Der zweite Teil des schmalen Romans wird nun als Rückblende erzählt. Die Verzahnung der beiden an und für sich gelungenen Teile funktioniert für mich nicht so richtig und das Zurückführen von Hennings psychischen Problemen auf Kindheitserlebnisse nimmt ihnen ein wenig die gesellschaftskritische Brisanz. Aber dennoch ein gut lesbares, spannendes und unterhaltendes Buch.
Schnee in Amsterdam von Bernard MacLaverty Stella und Gerry, ein Ehepaar um die Siebzig, reisen für ein verlängertes Wochenende von Glasgow nach Amsterdam. Die beiden sind schon „ewig“ verheiratet, der Sohn lebt mit Familie in Kanada und während sich Gerry recht gemütlich im Ehealltag eingerichtet hat, nicht zuletzt durch einen beachtlichen Alkoholkonsum, plagen Stella zunehmend Zweifel. Soll es das gewesen sein? Ein altes Gelübde und schlimme Erinnerungen an die Bürgerkriegsjahre in ihrer alten Heimat Nordirland reisen mit und entwickeln eine eigene Dynamik. Ganz leise und behutsam erzählt Bernard MacLaverty von dieser „Midwinter Break“ (dt.Schnee in Amsterdam) und hat dabei einen so genauen, schonungslosen und zugleich liebevollen Blick auf den Ehealltag und das Alter. Ganz zauberhaft!
Dodgers, der starke Debütroman von Bill Beverly erzählt von drei afroamerikanischen Jugendlichen, trotz ihres zarten Alters schon dick im Drogengeschäft und jetzt mit einem besonderen Auftrag unterwegs quer durch die Vereinigten Staaten: ein Richter, Belastungszeuge im Prozess gegen den Drogennoss, soll beseitigt werden. Weniger ein Krimi, obwohl durchaus spannend, als ein faszinierendes psychologisches Kabinettstück und gleichzeitig Gesellschaftsbild. Leseempfehlung!
„Macbeth“ ist die im Rahmen des Hogarth-Shakespeare-Projekts erschienene Neufassung des Königsmörder-Dramas durch den norwegischen Thrillerautoren Jo Nesbø. Eigentlich gut angelegt (das Drama wird vom Königshof in eine Polizeibehörde verlegt, in der der neue Chief Commissioner die alte Korruption bekämpfen will; etwas, das die örtlichen Drogenbosse, die die heruntergekommene, fiktive Stadt fest in ihren Händen hat, natürlich nicht dulden können und deshalb die Fäden spinnen zu Macbeths blutigem und skrupellosen Aufstieg, dem Gang über etliche Leichen), vermochte mich die Umsetzung zu keiner Zeit überzeugen oder fesseln. Zu unentschlossen zwischen Fantastik und Realität, zu wenig zwingend in der Entwicklung von Handlung und Charakteren, zuviel Genre, zu wenig Literatur. Für mich bisher schwächste Umsetzung des Shakespearestoffs.
Tom Rachmans „Die Gesichter“ ist im Grunde eine sehr traurige Vater-Sohn-Geschichte. Nein, eigentlich nur eine Sohn-Geschichte. Ein Sohn, der gegen die erdrückende Übermacht seines genialischen Vaters, des Malers Bear Bavinsky, kämpft, verzweifelt um dessen Aufmerksamkeit, Achtung und Liebe ringt, und darüber nicht nur die Liebe seiner Mutter übergeht, sondern auch sehr lange nicht seinen Platz im Leben finden kann. Tom Rachman seziert dieses Leben geradezu, er erzählt davon nüchtern, präzise. Große Gefühle kommen da nicht auf, Larmoyanz schon mal gar nicht. Am ehesten ein ungläubiges Kopfschütteln darüber, auf wie vielfältige Weise Leben scheitern können. Das ist erschütternd und sehr sehr gut zu lesen.
„Der Verräter“ von Paul Beatty gewann 2016 als erstes amerikanisches Buch den britischen Man Booker Prize und erregte auch in den USA einiges an Aufsehen. Ein ungewöhnliches, ja wüstes Buch, das sich auf provokative Weise dem fortdauernden Rassismus in den USA widmet, dem afroamerikanischen Selbstverständnis, der herrschenden Polizeigewalt gegen schwarze Bürger und der Ungleichheit, die auch nach acht Jahren Obama Regierung noch herrscht und derzeit unter Trump noch wächst. Von der Lyrik und den Poetry-Slammern kommend, entwickelt Beatty einen ungeheueren Erzählrhythmus, feuert ein nicht immer politisch korrektes Gag-Feuerwerk, spricht im Slang und webt Bildungspreziosen ein. Verunsicherung des Lesers ist hier Konzept. Das ist zeitweise anstrengend, zeitweise einfach nur lustig, das ist spannende Literatur.
Das war meine Lektüre im November 2018. Im Dezember wird die Lektüre für den Bloggerpreis „Das Debüt“ im Mittelpunkt stehen. Bis zum 6. Januar muss die Entscheidung der Jury, der ich auch dieses Jahr wieder angehören darf, getroffen sein. Bis dahin gilt es aus den fünf Titeln der dieses Jahr sehr ansprechenden Shortlist den Favoriten auszuwählen. Eine Arbeit, auf die ich mich sehr freue.
Habt eine schöne Vorweihnachtszeit mit hoffentlich genug Zeit auch für das eine oder andere Buch, das eine oder andere Plätzchen und den einen oder anderen Glühwein!