Barbara Honigmann schreibt über ihren Vater Georg. Fünfzehn Jahre nachdem sie sich in „Ein Kapitel meines Lebens“ ihrer Mutter genähert hatte. Diese ist vor allem als Ehefrau des britisch-sowjetischen Doppelspions Kim Philby bekannt, der als Vorbild für John le Carrés „Dame, König, Ass, Spion“ diente und die junge österreichische Kommunistin 1934 in Wien heiratete und dadurch dem Zugriff des austrofaschistischen Regimes entzog. In London lernte sie den Journalisten Georg Honigmann kennen, der dort durch eine glückliche Fügung seit 1931 als Korrespondent der Vossischen Zeitung tätig war. In Deutschland wäre er als aus einer assimilierten jüdischen Familie stammend Ziel der Verfolgung durch die Nationalsozialisten geworden. Vielen Mitgliedern seiner aus Breslau und Darmstadt stammenden Familien gelang die Flucht ebenso.
Georgs Geschichte
1903 geboren verlor Georg seine lange leidende Mutter früh, mit elf Jahren. Vier Jahre später fiel sein älterer Bruder Heinrich auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs in Frankreich. Georg wuchs nach dem Tod der Mutter nicht beim Vater, der Arzt und später Professor in Gießen war und sich nicht um seinen Sohn kümmern konnte und wollte, auf, sondern bei seiner liebevollen Großmutter Anna in Darmstadt. Diese schickte ihn später auf die berühmte Odenwaldschule, die für ihre Reformpädagogik bekannt war und Georg sehr geprägt hat. Mit der Großmutter verband ihn eine innige Beziehung.
Nach dem Studium in Breslau, Berlin, Prag und Gießen lebte er mit seiner ersten Frau als Redakteur in Gießen. 1931 gingen sie dann nach London. Dort fand er, der sich als „Reformjude“ immer irgendwie zwischen allen Stühlen sitzend fühlte, Zugehörigkeit dann bei kommunistischen Gruppierungen, befördert durch die Bekanntschaft mit seiner eifrig agitierenden späteren Ehefrau Litzy. Bereits hier arbeiteten die beiden zeitweise für den sowjetischen Geheimdienst. Im Krieg wurde er als „enemy alien“ vorübergehend nach Kanada verschifft. Nach dem Krieg kehrte das Paar nach Deutschland zurück, bald in die sowjetische Besatzungszone. 1949 kam Tochter Barbara zur Welt.
Ein „homme à femmes“
Georg war zeitlebens ein „homme à femmes“, auf vier Ehefrauen (Litzy war die zweite, die bekannte Schauspielerin und Sängerin Giesela May die dritte), die bei den Hochzeiten stets um die Dreißig waren, ungeachtet des fortschreitenden Alters des Bräutigams, konnte er schließlich zurückblicken. Wirklich glücklich war keine der Ehen. Georg konnte in Gesellschaft sehr charmant sein, im Privaten holte ihn die Traurigkeit und Zurückgezogenheit oft ein. Ein „charmanter, unwiderstehlicher Misanthrop“ nennt ihn Tochter Barbara einmal. Zu ihr hatte er aber ein sehr liebevolles Verhältnis. Später kam es mit Barbara zu politischen Differenzen. Diese verließ 1984 die DDR, ging nach Frankreich und wandte sich dem Thora-Judentum zu.
Barbara Honigmann erzählt nicht chronologisch. In der Anfangsszene trifft sie als Teenager ihren Vater nach dessen Trennung von Ehefrau Nummer drei in einem kleinen, schäbigen möblierten Zimmer. Für sie ein irritierendes Szenario und vielleicht das erste Mal Anlass, über ihren Vater nachzudenken.
„Richte, liebes Kind, Dein Leben heute so ein, dass Du nicht später sagen wirst, oh, hätte ich doch damals – wie es sich dein armer Vater immer wieder sagt.“
Zeugnis eines Lebens
Sie erzählt anekdotisch, sehr liebevoll, aber mit wachem Blick. In vielem versteht sie Georg nicht. Eine Frage, die sie umtreibt, ist, wie er im ihn als Exilanten aufgenommenen England, Innbegriff der Demokratie, der Freiheit, eine so große Nähe zur Sowjetunion aufbauen konnte, deren dunkle Seiten er komplett ausblenden konnte. Auch seine große Nähe zum DDR-Regime ist für Barbara Honigmann unverständlich.
„Er hatte Orte, Adressen und Ehen aneinandergereiht und außer seinen beiden Töchtern und den Bata-Schuhen nichts besessen“
Es ist kein Buch der Anklage, aber auch keines der Verklärung. Honigmann findet eine wunderbare Lage dazwischen, vielleicht gerade dadurch, dass sie ihrem Vater stets nah stand. Sie nähert sich ihm durch dieses schmale Buch erneut, versucht, seine Beweggründe zu entschlüsseln, erkennt, dass er sich zeitlebens immer ein wenig zwischen den Stühlen fühlte, als Jude in Deutschland, als Deutscher in England, als Bildungsbürger bei den Kommunisten. Das Buch ist ein Zeugnis seines Lebens, aber auch eine Erzählung über deutsche Geschichte. Sehr lesenswert.
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Barbara Honigmann – Georg
Hanser Verlag Januar 2019, 160 Seiten, Fester Einband, 18,00 €
Liebe Petra, ich habe das Buch letztes Jahr (natürlich auf Deine Empfehlung)gerne gelesen. Heute stand in der Bremer Tageszeitung, das Barbara Honigmann dafür den Bremer Literaturpreis erhält. Finde ich großartig ? Danke noch mal für den Tip. Liebe Grüße Biggi
Liebe Biggi, das freut mich wirklich sehr (sowohl der Preis, als auch dass dir das Buch auch so gut gefallen hat). Ich wollte eigentlich dieses Jahr auf eine Lesung mit Barbara Honigmann gehen, aber da kam leider etwas dazwischen. Aber ihr Buch über die Mutter steht hier bereit und ich bin darauf sehr gespannt. Liebe Grüße, Petra