Marko Dinić – Die guten Tage

Ein Bus auf dem Weg von Salzburg über Wien nach Belgrad. Drinnen Männer und Familien, die eine günstige Reisemöglichkeit nach Serbien brauchen. Ein „Gastarbeiterexpress“ rollt durch die ungarische Tiefebene. Einer der Fahrgäste ist der namenlose Ich-Erzähler, manche nennen ihn Švabo, den „Deutschsprachigen“, der in Belgrad aufgewachsen ist, seiner Heimat aber in jungen Jahren den Rücken gekehrt hat. Es war die Zeit nach den Jugoslawienkriegen der Neunziger Jahre, diesem erschütternden Zerfall eines europäischen Staates in Hass, Gewalt und Nationalismus. Davon erzählt Marko Dinić in Die guten Tage.

„Hau ab, werde ein normaler Mensch, solange du kannst, sonst wirst du so wütend wie dein Vater und seine Brüder.“

riet ihm die geliebte Großmutter und steckte ihm das nötige Reisegeld zu.

Nun ist sie tot. Zwei Tage dauerte es, bis die Familie sie in ihrem Zimmer fand, auch wenn sie im selben Haus lebten. Für Švabo ein Zeichen für die Herzlosigkeit, Kälte und Verwahrlosung nicht nur seiner Familie, sondern der gesamten serbischen Gesellschaft. Mit beiden geht der Erzähler alles andere als zimperlich um. Für ihn sind die Serben allesamt beschädigte Menschen, voller Aggressionen, Hoffnungslosigkeit und Selbstmitleid. Zumindest die Männer, und stellvertretend dafür seine Mitreisenden.

„Ein Bus in der Einöde als Abziehbild des ehemaligen Jugoslawien.“

Sein Sitznachbar scheint ähnlich zu denken. Er gibt sich als Elektriker aus, ist aber auch Chronist und Autor und hat etwas Mythisches, Irreales, besonders, als Švabo später meint, ihn immer wieder zu treffen.

Belgrad by ZlatanJovanovic [CC BY 3.0] via Wkikimedia Commons
Ein besonderes Hassobjekt des Erzählers ist der Vater, einst glühender Kommunist, Beamter des Innenministeriums, später Miloševic-Anhänger und elender Opportunist, den er mit immer neuen Schimpfworten überzieht. Gleichzeitig hat er aber auch eine unverkennbare Angst vor dem Wiedersehen mit ihm. Dennoch reist er zur Beerdigung der Großmutter an.

Zehn Stunden Fahrt, drei Tage in Serbien – Zeit, um sich über die ungeliebte Heimat und die verachteten Landsleute Gedanken zu machen. Zeit aber auch, um zu erkennen, dass immer noch viel Serbien in ihm selbst steckt. Zeit, sich an die Kindheit und Schulzeit im ziemlich heruntergekommenen Belgrad zu erinnern, an die vermeintlich „guten Tage“, und sowohl die Sehnsucht danach als auch die eigene Zerrissenheit zu spüren. Denn auch in Wien fühlt sich Švabo nicht ganz und gar zuhause. Hier wo

„so viele Idioten in meiner neuen Umgebung (Serbien) als Land der unverbesserlichen Massenmörder und Muslimhasser abgespeichert hatten.“

Es ist die Heimatlosigkeit der Emigranten, der Geflüchteten, die er immer noch spürt, Und überall auf seiner Reise trifft Švabo auf neue Flüchtlinge, an der befestigten Grenze Ungarns, in Serbien. Es sind die Flüchtenden unserer Zeit und ihr Elend, die das Thema zu einem universellen machen.

Hungarian-Serbian_border by Délmagyarország/Schmidt Andrea [CC BY-SA 3.0] via Wikimedia Commons
Man darf einiges an autobiografischem Hintergrund in „Die guten Tage“ voraussetzen. Zumindest die Eckdaten von Švabo und Marko Dinić gleichen sich, beide sind 1988 geboren und in Belgrad aufgewachsen und leben nun in Wien. Dinić schreibt mit Schärfe und Wut, er schaut recht gnadenlos und genau auf seine ehemalige Heimat. Ein wenig Nostalgie ist allerdings auch dabei. Sprachlich tadellos legt er damit ein beeindruckendes und bemerkenswertes Debüt vor.

Am Ende kommt es dann doch noch zu einer direkten Begegnung mit dem Vater, die aber ganz anders abläuft als erwartet. Der Vater erzählt von einem seiner „guten Tage“, und „von denen gab es nicht viele.“ Und Švabo kommt zu dem Schluss,

„dass es nicht Belgrad gewesen war, dass ihn so roh gemacht hatte – es waren die Verhältnisse gewesen, die Umstände. Genau wie ich war auch er verwahrlost, seine Generation wie ein in die Ecke gedrängtes, zum Kehlschnitt freigegebenes Lamm, zu Stimmvieh modelliert für das schöne neue gerechte Land.“

Doch er kann seine Gedanken nicht festhalten,

„sie schienen wie aufgelöst. Ich öffnete die Augen. War nirgends angekommen.“

 

Beitragsbild: via Pixabay

Lektüre März

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Marko Dinic Die guten Tage.

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Marko Dinić Die guten Tage

Zsolnay Februar 2019, 240 Seiten, Fester Einband, 22,00 €

 

 

4 Gedanken zu „Marko Dinić – Die guten Tage

  1. Liebe Petra,
    du hast mich mit deinen ersten Zeilen gleich eingefangen, weil der Bus und das Schlagwort „Gastarbeiterexpress“ mich an meine Lektüre von Verena Mermers „Autobus Ultima Speranza“ erinnerten. Dort fahren ja auch die Gastarbeiter über Weihnachten zurück aber nach Rumänien. Aber die Perspektive der Erzähler resp. Autoren ist ja eine ganz andere: Mermer, die ein paar Jahre als Österreicherin in Rumänien gearbeitet hat, Dinić, der den Weg andersherum gereist ist. Und so ist auch der Erzählkern ein anderer. Der mich aber, so wie du den Roman hier vorstellst, sehr neugierig gemacht hat. Es geht ja auch wieder um Flucht und um Heimatlosigkeit, ja, um Verwahrlosung wie du schreibst, die sicherlich aus den Kriegserfahrungen erwachsen ist.
    Viele Grüße, Claudia

    1. Liebe Claudia, vom Autobus habe ich auch schon gehört. Aber du weißt ja, die Lesezeit ist nicht unendlich… Dinic hat mich überzeugen können durch seinen wütenden Blick auf die Verheerungen, die der Nationalismus und die Gewalt in seinem Heimatland angerichtet hat. Verheerungen, die die Väter ihren Kindern hinterlassen haben, die diese vertrieben haben oder genauso verwüstet. Und dann der Seitenblick auf die Flüchtlingsbewegung der heutigen Tage. Fand ich sehr interessant. Liebe Grüße!

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