Lawrence Osborne „Welch schöne Tiere wir sind“.
Reichlich Selbstverliebtheit, eine Spur Lebensekel, Langeweile, Überdruss – all das spielt hinein in diesen Ausspruch der 24 jährigen Naomi Codrington, eine der beiden weiblichen Hauptfiguren in Lawrence Osbornes neuem Roman, der ihm den Titel verlieh.
Naomi ist auf der sogenannten Sonnenseite geboren, der Vater schwerreicher Besitzer einer Fluglinie und Kunstsammler. Die leibliche Mutter starb, als Naomi ein Teenager war, aber wirklich viel Trauer darüber ist im Buch nicht zu spüren. Das mag daran liegen, dass der Roman strikt in der Handlungsgegenwart verbleibt. Rückblenden, Erinnerungen, Verschiebungen der Zeitebenen gibt es hier nicht. Und auch die Protagonisten denken selten rückwärtsgewandt. Das verschafft dem Erzählten eine interessante Oberflächlichkeit, die zu den handelnden Personen zu passen scheint.
Lawrence Osborne nimmt seine Romanfiguren gerne von den Reichen und Schönen, den Privilegierten, die sich dieser Privilegien durchaus bewusst sind und auch ein hohes Reflexionsniveau besitzen, und sich doch streng in den vorgegebenen (Klischee)Bahnen bewegen. Dafür setzt er sie gerne an entfernte, exotische Orte, wie in „Denen man vergibt“ die marokkanische Wüste. Dort in der Fremde verlieren sie aufgrund bestimmter Vorkommnisse vorübergehend die Kontrolle über ihr Leben und ihre moralische Orientierung scheint zu verschwimmen.
„Welch schöne Tiere wir sind“ hat die griechische Insel Hydra zum Schauplatz. Auf der einst bei Künstlern und Aussteigern beliebten Insel, auf der in den 60er Jahren auch Leonard Cohen ein Haus besaß, sind mittlerweile die Superreichen zuhause. Die Immobilienpreise gelten als die höchsten in ganz Griechenland. Massentourismus ist hier unbekannt, man bewohnt Villen mit riesigen Gärten, feiert und bleibt unter sich. Die Einheimischen wirken fast ein wenig wie Staffage.
Die Familie Codrington besitzt auf Hydra schon seit vielen Jahrzehnten ein Anwesen. Naomi hat seitdem nahezu jeden Sommer hier verbracht und spricht fließend Griechisch. Auch jetzt, mit 24, verbringt sie ihren Sommer mit dem großspurigen Vater Jimmie und der snobistischen griechischen Stiefmutter Phaine, da ihr gerade als Anwältin einer Londoner Kanzlei gekündigt wurde, nachdem sie einen Fall gehörig in den Sand gesetzt hat. Langeweile und Überdruss plagen sie, das beste Verhältnis pflegt sie noch mit dem einheimischen Dienstmädchen Carissa.
Eines Morgens lernt sie beim Schwimmen die amerikanische Familie Haldane kennen, deren Tochter Samantha nur wenig jünger ist als Naomi. Die beiden freunden sich an und verbringen fortan viel Zeit miteinander. Bei einem Segeltörn entdecken sie an einem abgelegenen Strand einen jungen Mann, augenscheinlich ein Flüchtling, aus Syrien, wie sich später herausstellt. Naomi beschließt, dem Mann heimlich zu helfen. Sie selbst ist überzeugt von ihren edlen Motiven, die Leser*in erkennt aber sogleich, dass dahinter auch oder vor allem Abenteuerlust, Langeweile, Eitelkeit und bei der Art der Durchführung eine ganze Menge Wut auf den Vater steckt. Faoud, der junge Syrer, soll die Villa der Eltern ausrauben, während diese mit einem von Carissa gebrauten Trank tief schlafen. Zur Flucht stellt ihm Naomi den Wagen des Vaters und die Fährpassage zur Verfügung. Die naive Samantha und die berechnende Carissa lassen sich zur Mitwirkung überreden. Und dann geht alles gehörig schief…
War das Erzähltempo bis hierher eher gemächlich, geprägt von den heißen, sonnendurchfluteten Tagen, bestimmt durch lange Stunden am Strand, beim Schwimmen, bei ausgedehnten Spaziergängen und Bootstouren, zieht es nun mächtig an. Der zweite Teil wird von einer atemlosen Jagd durch Süditalien bestimmt, denn der Privatdetektiv Rockhold, ein alter Vertrauter Jimmie Codringtons und von diesem damit beauftragt über ihn, seine Tochter und die Angelegenheiten der Familie zu wachen, wird bald misstrauisch, als sich sein Arbeitgeber nicht mehr meldet und wie von Erdboden verschwunden scheint. Sehr schnell gelangt er auf Faouds Fährte, was nicht immer ganz plausibel erscheint. Die Geschichte entwickelt dadurch aber eine ziemliche Rasanz.
Lawrence Osborne kann hervorragend schreiben. Er schafft eine dichte Atmosphäre, verweilt zeitweise in großartigen Landschaftsbeschreibungen und schildert seine Figuren mit großer psychologischer Raffinesse. Dabei bleibt er meist ganz an der Oberfläche und lässt vielleicht gerade dadurch einen tiefen Blick zu.
„Welch schöne Tiere wir sind“ von Lawrence Osborne ist ausgesprochen gut konstruiert, spannend, abgründig und auch boshaft. Niemand im Buch kommt wirklich positiv rüber, alle zeichnet eine unglaubliche Egozentrik und Empathielosigkeit aus. Dass mit Faoud die aktuelle Flüchtlingskrise angesprochen wird, bleibt allerdings nur peripher. Viel mehr als an politischen Gegebenheiten ist Osborne an den psychologischen Abgründen seiner Figuren gelegen. Diese beleuchtet er mit kühlem Blick und meisterhaft.
Beitragsbild via Pixabay
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Habs auch gerade gelesen und bin sehr angetan. Natürlich ist es reich an Klischees, aber das ist ja auch Masche. Und die Sprache gefiel mir auch sehr, konnte jetzt keine groben Schnitzer ausmachen …
Danke für deine fundierte Rezension!
Es ist ein anderer Übersetzer. Kann schon sein, dass es dann besser ist. Der Verlag hat sich auch geändert. Es waren schon echt grobe Schnitzer und vor allem viele …
Buchmesse wahrscheinlich leider nicht, weil ich derzeit langwierige Zahnprobleme habe ….
Viele Grüße!
Schade! Dann dir und deinem Zahn gute Besserung!
Wie siehts denn diesmal mit der Sprache aus? Die war ja im vorigen Roman mehr als fragwürdig?
Ich bin sprachkritisch nicht so gut wie du aufgestellt. Ich habe aber keine größeren Schnitzer entdeckt. Ist es der gleiche Übersetzer? Die Sprache steht hier sicher nicht im Mittelpunkt, das würde ich auch sagen, aber ich habe auch nichts auszusetzen. Viele Grüße! Wirst du in Leipzig sein?