Sigurður Pálsson – Gedichte erinnern eine Stimme
Weiße Nacht
Schlaflos war sie nicht
diese Nacht
Gleichwohl war sie weiß
vollkommen schneeweiß
Am Morgen liegt ein Blatt
mit Buchstaben auf dem Tisch
Der, der am Tisch saß
ist verschwunden
Der, der am Tisch saß, ist verschwunden. Der isländische Dichter, Autor und Übersetzer Sigurður Pálsson ist am 19. September 2017 verstorben. Sein letzter Gedichtband, sein sechzehnter, ist gerade auf Deutsch in einer ausgesprochen hochwertigen und schönen zweisprachigen Ausgabe im Elif Verlag erschienen. Übertragen wurden die Gedichte von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer. Auf dem Blog des Letzteren, den ich im Übrigen allen an Literatur aus Island interessierten empfehlen möchte, habe ich zum ersten Mal von Sigurður Pálsson gehört und gelesen.
Ich bin eine eher unerfahrene und ungeübte Lyrik-Leserin, aber die einfachen, klaren Worte Pálssons haben mich sofort erreicht. Hier weiß ein Mensch von seinem nahenden Tod, hier nimmt ein Mensch Abschied vom Leben, das er doch so liebt. Und feiert dieses Leben ein letztes Mal. Alle Gedichte des Bandes sind von diesem Abschied bestimmt.
Nun wartet er auf seine Chance
er, den ich nicht beim Namen nennen will
wartet auf seine Chance, das spüre ich
Er kommt aber nicht an mich heran
solange das Licht des August
Träume
in Wörter verwandelt
Wörter verwandelt
in Träume
Es ist ein Anschreiben gegen den nahenden Tod. Kein wütendes Aufbäumen, kein verzweifelter Aufschrei. Es ist ein sehnsuchtsvolles Abschiednehmen vom Leben, dessen Schönheit man oft nicht genügend wahrnimmt und würdigt, in dem auch ein wenig Trotz mitschwingt. Ein Trotzdem.
Feuer und Schatten
und eine Stimme
Sonnige Heiterkeit
das ist die richtige Einstellung
So wollen wir ankämpfen
gegen das Bleierne und Dunkle
gegen Unrecht und Gewalt
die ganze lange Liste…
Feuer und Schatten, Erde, Stimmen in der Luft, Das Wasser oberhalb Das Wasser unterhalb – so sind die vier Abschnitte des Bandes betitelt. Es sind sehr persönliche Gedichte, melancholisch, aber auf eine gewisse Art auch unglaublich heiter und tröstlich.
Von hier am Rande Europas
schaue ich auf die Ewigkeit des Kontinents
Wie gewöhnlich halten sich
Optimismus und Pessimismus die Waage
Sigurður Pálsson, geboren 1948 in Skinnastaður im Norden Islands, studierte französische Sprache und Literatur in Toulouse und an der Sorbonne sowie Theaterwissenschaften und Filmregie am Conservatoire Libre du Cinéma Français in Paris und lebte lange Zeit in Frankreich. Er verlor sein Heimatland, diese „Insel mit wenigen Menschen“ aber nie aus den Augen, machte sich dort um die französische Literatur verdient. Nach seiner Rückkehr war er als Dozent an der dortigen Universität und an Kunstakademien, Theater- und Schauspielschulen tätig, arbeitete als Journalist und bei Film und Fernsehen.
Die Bewohner der bevölkerungsreichen Länder werden auf dem Sterbebett allein sein. Genau wie ich. Niemand aus der Million ihrer Landsleute wird ihnen zur Seite stehen. Genau so wenig wie mir.
Es bleibt zu hoffen, dass es doch jemanden gab, der ihm zur Seite stand. Der Autor starb am 19. September 2017 in Reykjavík. Kurz zuvor noch war ihm für Ljóð muna rödd / Gedichte erinnern eine Stimme der vom isländischen Schriftstellerverband und der isländischen Nationalbibliothek erstmals verliehene Poesiepreis Maistern verliehen worden, postum wurde er 2018 für den Literaturpreis des Nordischen Rates nominiert.
Dem Elif Verlag und den Übersetzern Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer ist zu verdanken, dass wir diesen wunderbaren Poeten, wenn auch erst nach seinem Tod, nun kennenlernen dürfen.
Wolfgang Schiffer schreibt auf seinem Blog Wortspiele über „Gedichte erinnern eine Stimme“ und Elke Engelhardt bespricht den Band auf Fixpoetry
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Sigurður Pálsson – Gedichte erinnern eine Stimme
Zweisprachige Ausgabe – aus dem Isländischen übertragen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
Elif Verlag 2019, 132 Seiten, gebunden, 20,00 Euro
Ich mag Gedichte. Vielen Dank für den Buchtipp und schöne Grüsse aus Osnabrück
Sehr gerne und viele Grüße zurück!
Das Übersetzerteam Gíslason/Schiffer dankt herzlich für diese gute Besprechung!
Sehr gerne und mit Überzeugung! Viele Grüße!
Schau an! Dank Elif und Wolfgang Schiffer werden wieder mehr Gedichte gelesen …
Viele Grüße!
Liebe Grüße zurück! Hat mir sehr gefallen, der Ausflug in die Lyrik.
Ich finde es Jedes mal schön, wenn Lyrik Anklang findet?