Alexander Pechmann – Die Nebelkrähe

Alexander Pechmann – Die Nebelkrähe – mehr als ein viktorianischer Schauerroman

London, 1923. Der Große Krieg ist mehr als vier Jahre vorbei, aber die Gräuel sind noch lange nicht vergessen. Auch Peter Vane, ein junger Wissenschaftler, ist tief traumatisiert. Besonders den Verlust seines Kameraden Finley hat er nicht verwunden. Dieser gilt seit einer Verletzung an der Front als vermisst und gab ihm kurz vor seinem Verschwinden eine kleine Daguerrographie, die ein Mädchen darstellt und die Peter zu einer Art Talisman geworden ist.

Seit einiger Zeit hört der junge Mann Stimmen. Eine raunt ihm immer wieder ins Ohr: „Lily, Lily.“ Peter kennt niemanden dieses Namens, glaubt aber an eine Verbindung zu Finley und dem Bild. Ein Kommilitone, Frank Bunyan, rät ihm zu einem Besuch der London Spiritualist Alliance, wo man Séancen abhält. Besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und um die Jahrhundertwende boomte diese Form der Geisterbeschwörung und tatsächlich beruht auch Alexander Pechmanns Romangeschehen auf realen historischen Vorbildern. Nicht nur die Alliance gab es, sondern auch das Medium, an das sich Peter Vane wendet, die Irin Hester Dowden, ist eine historische Figur. Zunächst sehr zögerlich und skeptisch beschließt Peter, sich einer solchen Séance anzuschließen, um Kontakt mit der jenseitigen Welt aufzunehmen und so vielleicht etwas über das Mädchen auf der Daguerrographie und das Schicksal seines Kriegskameraden herauszufinden.
Tatsächlich scheint Peter zugänglich für Botschaften aus der Geisterwelt zu sein, nur der, der ihm Botschaften mittels des Ouija-Boards schickt, ist nicht sein alter Freund, sondern– Oscar Wilde. Peter hält daran fest, eine rationale Erklärung für die Vorgänge zu finden, die alle auf merkwürdige Weise zusammenhängen. Doch Klarheit lässt sich nicht endgültig finden.

Oscar Wilde: by Wikiimages via Pixabay

Nach Aufzeichnungen der historischen Hester Dowden, die in ihren Protokollen sowohl Botschaften von Wilde als auch die Anwesenheit eines „Mr.V“ erwähnt, strickt Alexander Pechmann eine erstaunliche, abenteuerliche Geschichte. Bestens recherchiert und atmosphärisch perfekt inszeniert, dazu spannend erzählt, fesselt der kurze Roman auch dem Spirituellen und Übernatürlichen völlig ablehnend gegenüberstehende Leser*innen. Dichte, berührende Passagen aus dem Kriegsgeschehen, Referenzen an den klassischen Detektivroman, ein düster-geheimnisvolles London-Porträt, ein wenig Oscar Wilde und die Kunstszene der damaligen Zeit – die Nebelkrähe hat noch viel mehr zu bieten als eine Geister- und Gruselgeschichte. Dem Wiener Autor Alexander Pechmann, der u.a. auch Werke von Herman Melville und Mary Shelley übersetzt und herausgibt, ist ein wirklich origineller Roman gelungen.

Beitragsbild: Nebelkrähen Bild von Mark Wright auf Pixabay

Lektüre April

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Alexander Pechmann – Die Nebelkrähe

Steidl Februar 2019, gebunden, 176 Seiten, € 18,00

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