Jaroslav Rudiš Winterbergs letzte Reise stand auf der Shortlist des Preises der Leipziger Buchmesse. Warum ich vorerst daran scheiterte.
Trotz aller gebotenen Skepsis angesichts von Literaturpreisen, werfe ich doch immer wieder gerne einen Blick auf deren Auswahl in Form von Long- oder Shortlisten und verfolge auch die Prämierungen am Ende mit Interesse. So sind mir schon oft Bücher in die Hände gefallen, die sich sonst meiner Aufmerksamkeit entzogen hätten. Was schade gewesen wäre. Außerdem erhält man so immer auch einen Blick auf die aktuelle Literaturszene mit ihren jeweiligen Vorlieben. Das es den besten Roman nicht geben kann, ist klar. Wer sollte dafür die Kriterien erstellen? Und sie dann anwenden?
Der diesjährige Preis der Leipziger Buchmesse bot für mich wenig Spektakuläres. Auf den ersten Blick war nur Anke Stellings Roman für mich wirklich interessant. Und „Schäfchen im Trockenen“ gewann dann schließlich auch (verdient). Feridun Zaimoglus Sprache mag ich nicht lesen, das Buch schied für mich gleich aus, und trotz sehr guter Kritiken hat mich auch „Babel“ nicht wirklich interessieren können. Blieben Matthias Nawrat, den ich auf einer Lesung in Leipzig erleben konnte und der mich sehr neugierig auf sein Buch „Der stille Gast“ gemacht hat (steht noch auf der Leseliste). Und eben Jaroslav Rudiš, den ich ohne Nominierung nicht gewählt hätte, obwohl er mich thematisch mit „Winterbergs letzte Reise“ sehr anspricht.
Das Thema und vielleicht auch ein klein wenig, dass das Mutterland des Autors – Tschechien – das diesjährige Schwerpunktland in Leipzig war, haben dem Buch sicher auch den Platz unter den Nominierten beschert. Das Thema ist es auch, dass mich bei meinem ersten Leseversuch gut 200 Seiten durchhalten ließ. Und mich überlegen lässt, dem Buch später noch eine zweite Chance einzuräumen.
Erst einmal brauche ich nun aber eine längere Pause.
Der uralte Wenzel Winterberg wurde 1918 im ehemaligen Reichenberg (heute Liberec) in Nordböhmen geboren, das er als Sudetendeutscher verlassen musste. Fasziniert von der alten Heimat, von der Österreich-Ungarischen Monarchie, von der Schlacht zwischen Preußen und dieser 1866 bei Königgrätz, von der „Feuerhalle“, in der sein Vater als Leiter des dortigen Krematoriums arbeitete und von seiner früheren Liebe Lenka Morgenstern, die wohl als Jüdin verfolgt wurde, bricht er mit seinem Altenpfleger Jan Kraus, dem Ich-Erzähler, zu alten Stätten der österreich-ungarischen und der Winterbergschen Geschichte auf.
Eigentlich ist Kraus darauf spezialisiert, alte Menschen bis zum Tod zu begleiten, und Winterberg stand diesem auch sehr nahe, als seine Tochter Silke Kraus engagierte. Nun ist aber angesichts des Reiseprojekts neue Energie in den alten Mann geströmt, auch wenn er häufig und unvorhersehbar einschläft. Mit dem Zug geht es Richtung Reichenberg und Sarajevo und anderen geschichtsträchtigen Orten. Mit dabei und wegweisend ist der Baedeker Reiseführer, Ausgabe 1913, als die alte Welt noch in Ordnung schien. Daraus werden lange Passagen zitiert. Das ist manchmal interessant, sehr viel häufiger aber sehr ermüdend. Genauso wie die schier endlosen Monologe Winterbergs, die stets die gleichen Sentenzen wiederholen – ja,ja, nein,nein, mein lieber Herr Kraus, xy-Leichen sind keine schönen Leichen, „the beautiful landscape of battlefields, cemeteries and ruins“ und so weiter und so fort. Diese Redundanzen sind natürlich Stilmittel (à la Thomas Bernhard etwa) und geben auch ein Stück weit Winterberg verfallenden Geist und seine Verwirrtheit wieder – trüben aber gewaltig die Lesefreude. Außerdem zieht sich so das Erzählte noch mehr in die Länge. Bei Seite 200+ angekommen, weiß ich immer noch nicht so genau, von was mir das Buch wirklich erzählen will.
Dabei wäre ich sehr an der Geschichte des Zerfalls des Habsburgerreichs als Sinnbild für die „Alte Welt“ interessiert. Auch über Winterbergs Geschichte, die seiner Geliebten Lenka und die von Jan Kraus, der als Böhme vor Jahren auch sein Land wegen einer bisher nur angedeuteten Verfehlung verlassen musste, würde ich gern mehr erfahren. Die Zugfahrten, das Arbeitsverhältnis eines Altenpflegers, alles spannende Ansätze. Aber das Buch verschwätzt sich, kommt zu nichts. Und dafür bringe ich im Moment nicht die Geduld auf. Buchleichen sind auch keine schönen Leichen.
Wie gesagt, es steckt so viel drin, was mich wirklich interessieren würde. Deshalb – vielleicht – bald oder nicht so bald – eine zweite Chance. Ja, ja.
Sehr ähnlich hat es Marina gelesen Literaturleuchtet, auch Ruth liest war etwas ermüdet, aber durchaus angetan. Frau Lehmann liest findet das Buch aus absolut nachvollziehbaren Gründen großartig.
Beitragsbild: Zugfahrt via publicdomainpictures.net
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Jaroslav Rudiš – Winterbergs letzte Reise
Luchterhand Februar 2019, 544 Seiten, Hardcover, € 24,00
Ich bin gerade sehr beruhigt, dass ich nicht alleine bin. Nach mehreren Tagen hänge ich irgendwo bei Seite 160 und die Motivation weiterzulesen wird immer geringer. Gerade die von dir genannten Wiederholungen trüben mein Eindruck erheblich. Ich habe immer mehr den Eindruck, dass für mich die eigentliche Geschichte und die Beziehung zwischen Winterbeg und Jan Kraus immer weiter weg ist.
Liebe Grüße
Ja, schade eigentlich. Ich werde mir das Buch nochmal später vornehmen. Im Moment habe ich keine Geduld dafür. Liebe Grüße zurück!
Frau Lehmann fand aber auch, dass das Buch eine Zumutung sei und hatte durchaus Phantasien von durch Zugfenstern segelnden Romanen…
Verständliche Phantasien! Frau Lehmanns Gründe, das Buch dennoch für lesenswert zu halten, kann ich aber auch nachvollziehen 😉
Sehr schön: „Buchleichen sind auch keine schönen Leichen“. Wohl war.