J. Courtney Sullivan – Aller Anfang

J. Courtney Sullivan hat mit ihren vergangenen drei Romanen (Die Verlobungen, Ein Sommer in Maine, All die Jahre) aufs Schönste bewiesen, dass man unterhaltsam über Frauenleben schreiben kann, ohne ins Genre oder in die Chick-Lit abzugleiten und sämtliche literarische Ansprüche aufzugeben. Nun erscheint mit Aller Anfang ein bereits 2009 im Original erschienener Roman erstmals auf Deutsch.

Bereits in „Ein Sommer in Maine“ (2011) erzählte sie über vier ungleiche Frauen und ihr Verhältnis zueinander. Anders als in „Aller Anfang“, das gerade auf Deutsch erschienen ist und auch ein weibliches Figurengespann im Zentrum stehen hat, war der Roman aber auch eine Familiengeschichte. „Aller Anfang“ dagegen ist ein Buch über das Erwachsenwerden, das sich Ablösen junger Frauen von zuhause und über ihre Freundschaft, die die Jahre um die Jahrtausendwende im Smith-College in Northampton/Massachusetts überdauert. Dort, im angesehenen, größten Frauencollege der USA wurden die vier zufällig zusammen im Dachgeschoss des King House untergebracht. Eine Gemeinschaft, die sich sonst wohl nicht so ohne weiteres ergeben hätte, sind die Mädchen doch sehr unterschiedlich.

Celia stammt aus einer irisch-katholischen Mittelstandsfamilie in Boston, die sich die Gebühren für die private Schule zusammensparen muss und an der Celia sehr hängt. Sally kommt auch aus Boston, aber aus der Upper Class, Geld spielt für ihre Familie keine Rolle und alles für die Zukunft scheint bestens geregelt, bis die geliebte Mutter früh an Krebs verstirbt. Ganz anders bei April aus Chicago, der nur ein Stipendium den Aufenthalt am Smith-College ermöglicht. Ihre alleinerziehende Hippie-Mutter kümmerte sich kaum um sie, die dadurch sehr eigenständig und entschlossen wirkt und sich für ihre radikal-feministischen Ideale einsetzt. Ihr Idol ist die ehemalige Smith-Absolventin Gloria Steinem (die auch Vorbild für die Protagonistin in Meg Wolitzers „Das weibliche Prinzip“ war). Und dann ist da noch die „Südstaatenschönheit“ Bree aus Savannah/Georgia, die bereits verlobt am College ankommt, aber bald die Anziehung des eigenen Geschlechts erlebt.

So typisch aus der Klischeekiste zusammengesucht wie das Ganze klingt, ist es phasenweise auch. Zwar charakterisiert J. Courtney Sullivan ihre Figuren durchaus komplex und liebevoll, aber auch in ihren Entwicklungen, die wir über die Collegejahre hinaus für ca. zehn Jahre begleiten, herrscht durchaus das Stereotype vor, auch wenn es oft „quergelegt“ wurde.

Chapin Lawn Smith College by cswtwo ((CC BY-NC-SA 2.0) via Flickr

So wird die aus liebevoller Familie stammende Celia zum bindungsunfähigen Karrieregirl; die brave, romantische Bree pflegt eine langjährige, chaotische, lesbische Beziehung; die engagierte Feministin April gerät in eine ausbeuterische Arbeitsbeziehung zu einer von ihr bewunderten Regisseurin und Aktivistin; und die trauernde Sally hat jahrelang eine Affäre mit ihrem Professor, bevor sie den Mann ihres Lebens, Jake, kennenlernt.
Die Hochzeit der Beiden bildet auch den Rahmen der Geschichte, zu ihr treffen die vier Frauen nach Jahren, in denen sie sich mehr oder weniger auseinandergelebt haben, Streitigkeiten aufgekommen sind, der Kontakt aber nie abriss, wieder zusammen. Aber auch hier kommt es zum Konflikt zwischen den unterschiedlichen Lebensentwürfen und Vorstellungen und beinahe zum Bruch.

Aber nur beinahe. Und als Sally mit ihrer ungeplanten Schwangerschaft hadert, Brees Beziehung zu Lara zerbricht, Celia eine Vergewaltigung zu verarbeiten hat und April spurlos verschwindet, finden die Freundinnen wieder zusammen.

Vielleicht würde ich die ein wenig formelhafte und mit reichlich Klischees arbeitende Romanhandlung von „Aller Anfang“ kritischer sehen, wenn ich nicht (nachträglich) erfahren hätte, dass es sich um das Debüt von J. Courtney Sullivan handelt, dass erst jetzt (nach ihren großen Erfolgen) auf Deutsch veröffentlich wurde. In ihren nachfolgenden Büchern hat sie bewiesen, dass da durchaus noch Luft nach oben war. Aber auch dass sie glaubwürdige Charaktere erschaffen kann, denen man sich als Leser*in sehr schnell ganz nah fühlt, versöhnt. Sie erzählt durchweg liebevoll und freundlich, wenn auch nicht unkritisch und in wechselnden Perspektiven von ihren Figuren. Im Mikrokosmos Mädchen-College verhandelt sie allgemeingültige Fragen nach unterschiedlichen Lebensentwürfen, Träumen, Freundschaft, Solidarität. Das hat gerade im ersten Teil durchaus etwas von einem erwachseneren „Hanni und Nanni“, zumal das Leben dort sich kaum in den Klassenräumen und auf intellektueller Ebene abzuspielen scheint, sondern auf Partys, bei Mädchengesprächen oder in Abenteuern mit dem anderen/gleichen Geschlecht.

Aber J. Courtney Sullivan spricht in Aller Anfang auch durchaus relevante Themen an, die beim Erscheinen 2009 noch nicht so in aller Munde wie heute waren: sexuelle Gewalt, gleichgeschlechtliche Beziehungen, Transgender, Missbrauch und der Umgang junger Frauen mit den vermeintlich sicheren Errungenschaften des Feminismus. Und damit zeigt sie nicht nur deutlich die Feministin, die sie ist, sondern auch das Anliegen, mit ihren Büchern mehr zu schaffen, als nur weichgespülte Unterhaltungsliteratur.

 

Beitragsbild: by Kim Kruse (CC BY-NC-SA 2.0) via Flickr

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J. Courtney Sullivan - Aller Anfang.

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J. Courtney Sullivan – Aller Anfang
Deuticke Verlag März 2019, Fester Einband, 432 Seiten, 22,00 €

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