Willy Vlautin – Ein feiner Typ
Don’t skip out without taking me Don’t skip out on me
I know you think I’m just a liability I can carry my own weight
Please just don’t skip out on me
Willy Vlautin ist der singende Poet oder der schreibende Musiker, je nachdem. Mit seiner mittlerweile aufgelösten Band Richmond Fontaine nahm er bereits für seinen zweiten Roman, Northline, ein begleitendes Instrumentalalbum auf und auch für sein neuestes Buch, „Ein feiner Typ“, existiert ein Soundtrack, für den er die alten Bandmitglieder noch einmal im Studio versammelte. Damals lag „Northline“ eine CD bei und der amerikanischen Originalausgabe des neuen Romans ist ein Download-Code beigefügt. Schade, dass das bei der deutschen Ausgabe des Piper Verlags versäumt wurde. Dennoch kann man sich die Musik zumindest online im Bandcamp anhören.
„Don´t skip out on me“ – Lass mich nicht im Stich
So heißt nicht nur der Originaltitel des Buchs, sondern auch ein Song, den Willy Vlautin extra dafür komponiert hat.
(Aus Datenschutzgründen bette ich Youtube-Videos nicht mehr ein. Mit einem Klick auf das Bild gelangt ihr zum entsprechenden Clip)
Wer dieses Lied und den Soundtrack gehört hat, hat bereits ein Gefühl für den Roman bekommen: Es ist eine unendliche Traurigkeit, eine tiefe Melancholie, Sanftheit, Schlichtheit, die diese Geschichte umfängt. Es ist der Ton, den alle Bücher Willy Vlautins besitzen.
Willy Vlautin erzählt stets von den Gescheiterten, den „Versagern“, den „Abgehängten“ der Gesellschaft. Und das immer mit viel Sympathie und Mitgefühl. Er ist ein klassischer Geschichtenerzähler amerikanischer Tradition.
In „Ein feiner Typ“ ist Horace Hopper der Protagonist. Halb Indianer vom Stamm der Paiute, halb irischer Abstammung, hat er eine verlassene, traurige Kindheit hinter sich. Der Vater verließ die Familie früh, die Mutter gab ihn als 12jährigen zur Großmutter, die Trinkerin war und sich mehr schlecht als recht um das Kind kümmern konnte. Ein Glücksfall waren die Pflegeeltern, die ihn als Teenager bei sich aufnahmen. Mr. und Mrs Reese führen eine Farm im Niemandsland von Nevada, in Tonopah, wo sich tatsächlich Füchse und Hasen Gute Nacht sagen. Horace erweist sich hier als talentiert für die Pferdezucht und auch die Betreuung der großen Schafherde in den Bergen erledigt er zuverlässiger und geschickter als die mexikanischen Hirten. Zudem haben die beiden Alten den Jungen in ihr Herz geschlossen und behandeln ihn wie einen Sohn. Sogar die Übergabe der Farm an ihn ist ausgemachte Sache, haben die beiden Töchter die Farm doch schon vor langem Richtung Stadt verlassen, plagt Mr. Reese doch zunehmend sein Rücken und mag Mrs. Reese das Haus nur noch ungern verlassen. Ein kleines, bescheidenes Glück wäre möglich.
Würde Horace nicht ein Traum verfolgen, der zur Obsession geworden ist. Natürlich ist es ein amerikanischer Traum, der Traum vom Erfolg, vom Aufstieg, vom Champion, der Horace einmal sein möchte. Der Traum, den er mit Beharrlichkeit und Sturheit, leider aber auch mit nicht ausreichendem Talent verfolgt, ist der, ein mexikanischer Boxer zu sein. Die Obsession, mit der er sich diese Karriere herbeisehnt, liegt an den Selbstzweifeln, ja der Selbstverachtung, die an Horace nagt. Minderwertigkeitsgefühle wegen seiner indianischen Abstammung, ein tiefes Gefühl nicht dazuzugehören und der Einsamkeit quälen ihn, seitdem ihn die Mutter im Stich gelassen hat. Auch wenn er sich bei den Reeses aufgehoben und respektiert fühlt, treibt ihn der Wunsch, etwas Besonderes zu werden, Anerkennung zu erfahren und Zugehörigkeit, wenn auch als „mexikanischer Boxer“. So nennt er sich Hector Hidalgo und verlässt die Reeses mit 21, um in Tucson als Profiboxer aufzutreten. Ein zwielichtiger Trainer beutet ihn aus und nach anfänglichen Erfolgen riskiert Horace immer mehr seine Gesundheit und sein Leben. Mit unglaublicher Sturheit verfolgt er aber weiterhin seinen Traum vom Champion, der immer mehr zu einem Albtraum wird. In Las Vegas büßt er schließlich einen Teil seiner Sehkraft ein und landet schließlich in der Gosse. Noch immer halten ihn falscher Stolz und Scham davon ab, bei den Reeses um Hilfe zu bitten, obwohl die ihn nicht nur dringend brauchen könnten, sondern ihn auch gerne wieder bei sich aufnehmen würden. Erst spät, zu spät gelingt es Mr. Reese mit einem Trick, ihn zurückzuholen.
Eine tieftraurige Geschichte, eindringlich und sehr gefühlvoll. Die geradlinige, schlichte Art Willy Vlautins, sie zu erzählen, bewahrt sie vor jeglichem Kitsch. Aber herzzerreißend, immer wieder liest man dieses Wort in den Kritiken, ja herzzerreißend ist sie wirklich. Aber auch wenn sie vielleicht noch trauriger endet als die anderen Romane Vlautins, ist da immer noch die Hoffnung. Die Hoffnung auf die, die einen niemals im Stich lassen, wenn man sie denn lässt. Niemals.
Beitragsbild: Gants de boxe by Arslan (CC BY-NC-ND 2.0) via Flickr
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