Seitdem 2016 der erste Band der neapolitanischen Tetralogie, „Meine geniale Freundin“, erschien, brach nicht nur in Deutschland das „Ferrante-Fieber“ aus, befördert durch eine offensive, kluge Werbung des Suhrkamp-Verlags, aber vor allem durch die faszinierende Art, in der die Autorin Elena Ferrante die Geschichte einer ambivalenten Mädchen- und Frauenfreundschaft mit der Geschichte Neapels von den 1950er Jahren bis heute verknüpft, ungeheuer atmosphärisch erzählt und eine klare feministische Position einnimmt. Dass sie hartnäckig ihre wahre Identität verbirgt, weiterhin jeden Kontakt mit der Öffentlichkeit verweigert und an ihrem Pseudonym festhält, hat wohl vor allem die Journalisten- und Kritikerwelt nachhaltig beschäftigt. Die Leserschaft akzeptiert anscheinend eher, dass die Autorin ihre Bücher für sich sprechen lassen möchte.In Frantumaglia-Mein geschriebenes Lebene rzählt Elena Ferrante über ihr Schreiben, ihre Texte und warum sie ein Pseudonym verwendet.
Bereits nach Erscheinen ihres Erstlings „Lästige Liebe“ 1991, der im letzten Jahr bei Suhrkamp eine Neuauflage erhielt, schrieb sie an ihre Verlegerin zur Ablehnung jeglicher PR-Maßnahmen:
„Ich habe bereits genug getan für diesen Roman. Ich habe ihn geschrieben.“
Mein geschriebenes Leben
Dies und vieles andere erfährt man nun in einer „Frantumaglia – Mein geschriebenes Leben“ betitelten Sammlung von Briefen, Aufsätzen, unveröffentlichten Textpassagen und vor allem Interviews, die die Autorin in schriftlicher Form gegeben hat. Die Texte umfassen die Jahre 1991 bis 2016, beinhalten also noch nicht die Reaktionen auf die extrem hartnäckigen Enthüllungsversuche des Journalisten Claudio Gatti vom Oktober 2016.
„Frantumaglia“, ein von der Mutter aus dem neapolitanischen Dialekt an die Tochter weitergegebener Begriff, meint die innere Zerrüttung, den (vorübergehenden) Verlust jeder sinnstiftenden Ordnung, der die Brüchigkeit jeden Lebens offenbart und den Geist in Bruchstücke zerhaut. Dieser unsichere Seelenzustand ist nicht nur für die Autorin und ihre Mutter prägend gewesen, sondern wie Ferrante behauptet, für einen Großteil der Frauen. Er gibt dieser Sammlung von autobiografischen Bruchstücken den Namen.
Das Buch gibt einen interessanten Einblick in die Schreibwerkstatt dieser zurückgezogenen Autorin, offenbart einiges aus ihrer Kindheit und ihrem Verhältnis zur Mutter. Parallelen zu ihren Protagonistinnen, zu Delia aus „Lästige Liebe“, zu Leda aus „Die Frau im Dunkeln“ und natürlich zu Elena und Lila aus der Tetralogie, werden deutlich.
Wer ist elena Ferrante?
So bekommt auch ihr Bekenntnis, dass ihre Identität in ihren Büchern zu finden sei, eine Bedeutung. Es zeigt sich eine äußerst gebildete und belesene Frau, die selbstkritisch und uneitel, aber auch selbstbewusst und konsequent auf ihr Werk schaut, eine feministische, genaue Analystin der italienischen Gesellschaft – und eine Frau mit äußerst kompliziertem Verhältnis zu ihrer Mutter, ihrer eigenen Mutterschaft und ihrer Rolle als Frau allgemein. Zum Verhältnis zum autobiografischen in ihren Roman sagt die Autorin:
„Deshalb ist alles, was ich schreibe, zwar voller Bezüge auf reale Situationen und Ereignisse, die jedoch völlig neu geordnet werden und ganz anders erscheinen, als sie sich in Wahrheit ereignet haben.“
Das ist äußerst interessant, vor allem für Leserinnen, die wie ich während der Lektüre der Neapolitanischen Tetralogie zunehmend mit den Protagonistinnen haderten und auch Schwierigkeiten mit Delia aus „Lästige Liebe“ hatten. „Die Frau im Dunkeln“ mochte ich schon gar nicht mehr lesen.
Frantumaglia
Die Lektüre von „Frantumaglia“ hat mir diesbezüglich bei manchem die Augen geöffnet. Andererseits war die Häufung von etlichen Interviews auch sehr redundant, viele Interviewer haben immer wieder dieselben Fragen gestellt, etwa zu ihrem Pseudonym, die Ferrante zwar bewundernswert vielfältig, aber letztlich doch immer ähnlich beantwortete. Lange Passagen, in denen sie den Regisseuren von „Lästige Liebe“ und „Tage des Verlassenwerdens“ Rede und Antwort stand, habe ich nur noch quergelesen.
Insgesamt aber ist Frantumaglia eine durchaus lohnenswerte Lektüre für Leser*innen, die irgendwie mit den Werken von Elena Ferrante hadern, aber auch mehr erfahren wollen, und natürlich für alle Ferrante-Fans. Zumindest „Lästige Liebe“ und die Tetralogie sollte man gelesen haben, am besten auch noch „Tage des Verlassenwerdens“ kennen.
Insgesamt hätte ich mir aber noch mehr über die Autorin und Neapel zu erfahren gewünscht. Beide geraten neben denn Textanalyse, der Schilderung des Schreibprozesses und der ewigen Frage nach der Identität der Autorin und ihrem Pseudonym leider ein wenig im Hintertreffen.
Beitragsbild: via Pixabay
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Elena Ferrante – Frantumaglia – Mein geschriebenes Leben
Aus dem Italienischen von Julika Brandestini und Petra Kaiser
Suhrkamp April 2019, Gebunden, 499 Seiten, € 24,00