Backlist: Maylis de Kerangal – Die Lebenden reparieren

Maylis de Kerangal schreibt in ihrem Roman „Die Lebenden reparieren“ über eine der Urängste eines jeden Menschen: Der eine Anruf, der das ganze Leben erschüttert, der mitteilt, dass ein lieber Angehöriger, im schlimmsten Fall ein Kind, tödlich verunglückt ist.
Hier ist es der 19 jährige Simon, der nach einem winterlichen Surfausflug am frühern Morgen auf der vereisten Fahrbahn verunfallt.
Seine beiden Freunde werden nur leicht verletzt, er, nicht angeschnallt, ist hirntot. Irreversibles Koma, EEG-Nulllinie.
Aber seine jungen, gesunden Organe könnten bei einer Transplantation Leben retten. Eine eigentlich unzumutbare Entscheidung für die Eltern, die doch gerade erst von dem Unglück erfahren haben. Aber die Zeit drängt, die Organentnahme muss zeitnah geschehen, die medizinische Maschinerie in Gang gesetzt werden.

Protokoll eines Tages

Beginnend mit dem Aufbruch zum Surfausflug folgt der Roman dem Geschehen wie eine Art Protokoll über 24 Stunden.
Er erzählt von außen, distanziert, kommt aber gleichzeitig ganz nah an die jeweils im Fokus stehende Person heran, sei es der junge Surfer, seine Eltern, seine Freundin, die Ärzte und Pfleger, die Koordinatorin im Transplantationszentrum oder auch die todkranke Frau, deren letzte Hoffnung ein neues Herz ist.
Er zoomt auf bestimmte Befindlichkeiten, Gedanken, Gefühle, kommt oft schmerzlich, unerträglich nah. Die Perspektiven wechseln ständig, verlieren sich teilweise im Verlauf.

Dabei verwendet Maylis de Kerangal in ihrem Roman eine glasklare, sehr schöne, manchmal trotz des schonungslosen Textes nahezu poetische Sprache.
Sie ist voll der Empathie für ihre Personen, aber frei von jedem Pathos oder gar Kitsch.

Die Toten begraben und die Lebenden reparieren

„Die Toten begraben und die Lebenden reparieren“ ist ein Zitat aus einem Stück Anton Tschechows.
Und so steht am Ende dieses eindrucksvollen Romans, wenn alle Beteiligten ihre Arbeit müde beendet haben, die Eltern mit ihrem Schmerz zurückbleiben, doch die Hoffnung für vier andere Menschen auf eine Zukunft mit einem neuen Organ.
Und damit ist das Buch auch eine Ode an das Leben, seine Zerbrechlichkeit und seine Kostbarkeit.

2016 war Maylis de Kerangal mit dem Buch für den Man Booker International Prize nominiert. Gerade ist ein neuer Roman von ihr erschienen: Eine Welt in den Händen.

 

Beitragsbild via pxhere

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Kerangal - Die Lebenden reparieren.Maylis de Kerangal – Die Lebenden reparieren
Suhrkamp Mai 2015, Gebunden, 255 Seiten, € 19,95

mittlerweile auch als suhrkamp taschenbuch erhältlich

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