Lektüre August 2019

Neue Bücher im August gelesen

Auch wenn er in den letzten Tagen noch einmal zur Hochform auflief- es lässt sich nicht verleugnen, dass sich der Sommer dem Ende zuneigt. Die Herbstneuerscheinungen rücken in den Mittelpunkt, die Longlist für den Deutschen Buchpreis steht fest und natürlich wirft die Frankfurter Buchmesse bereits ihre Schatten. Wobei Schatten ja viel zu negativ klingt, ist sie doch bei vielen, vielen Buchmenschen, so auch bei mir, einer der Höhepunkte des Jahres. Einige Termine sind bereits gemacht, Veranstaltungen fest eingeplant, Verabredungen zumindest lose ins Auge gefasst.

Bis dahin gibt es aber noch genug Lesestoff. Die (fast) letzten Titel der Frühjahrsproduktion sind nun gelesen, einige hebe ich mir noch für die Winterzeit auf, andere werden es wohl leider nicht schaffen, sich in mein TBR einzureihen – es gibt zum Glück und zum Leid immer viel zu viele interessante Bücher. Zum Glück habe ich seit einigen Jahren, auch Dank meines Blogs, meinen SUB ganz gut im Griff. (Fast) alles was im Regal steht wird auch gelesen. Aber da gibt es ja noch den Reader… Da gibt es immer schon den einen oder anderen Titel, den ich mir gerne näher anschauen möchte – und dann wird doch nichts draus.

Aber nun zunächst zu den Büchern, die ich im August gelesen habe.  Zwei Bücher ragten dabei positiv heraus.

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Zwei Bücher, die mich wirklich überzeugen konnten:

Colson Whitehead - Die Nickel BoysNach einem meiner Lesehighlights 2017, der Underground Railroad, hat Colson Whitehead wieder ein großartiges Buch geschrieben.
Dass eine wahre Geschichte hinter den ungeheuerlichen Begebenheiten steckt, macht „Die Nickel Boys“ umso eindringlicher. Die 1900 gegründete und erst 2011 nach unzähligen Berichten, Klagen und Untersuchungen zu Gewaltanwendung, Missbrauch und ungeklärten Todesfällen geschlossene „Dozier School of Boys“ in Marianna, Florida stand Pate für die im Buch beschriebene Nickel-Academy. Im April 2019 wurden erneut Gräber auf dem Gelände der Schule entdeckt, die darin vorgefundenen Überreste wiesen eindeutige Zeichen von Gewaltanwendung auf.
Da war Whiteheads Buch bereits geschrieben. An der fiktiven Figur des schwarzen Jungen Elwood kommt es dem Martyrium der Jungen, die für teils kleinste Vergehen in die Dozier School eingewiesen wurden, sehr nahe. Die Brutalität, die die nicht-weißen Jungen besonders traf, lässt den Atem stocken, obwohl Whitehead jede explizite Gewaltschilderung und jedes Pathos vermeidet.
Ein eindrückliches, realistisches, ein wichtiges Buch.

 

 

Er gilt als der Philosoph unter den deutschen Krimiautoren. Friedrich Ani - All die unbewohnten ZimmerSicher ist er einer der anerkanntesten, was sich im siebenfachen Gewinn des deutschen Krimipreises zeigt. Und er ist der Lyriker in seinem Genre – sechs Gedichtbände sind von Friedrich Ani bisher erschienen. Zuletzt 2017 „Im Zimmer meines Vaters“. Leichte Kost sind die Romane von Ani nicht. Genauso wenig blutige Thriller oder gängige Spannungsliteratur. Ani geht es um die Abgründe in seinen Figuren, allesamt Einzelgänger, die eine existentielle Einsamkeit umweht. Menschen, die vom Leben überfordert sind, ob sie nun Opfer oder Täter sind. Oder gar Ermittler. In seinem neuen Roman „All die unbewohnten Zimmer“ treffen vier der bekannten Figuren aus dem Kosmos des Vielschreibers Ani aufeinander: der ehemalige Benediktinermönch Polonius Fischer, der pensionierte Jakob Franck, der Detektiv Tabor Süden und die Halbsyrierin Fariza Nasri. Und da Ani immer auch die Gesellschaft im Blick hat, geht es auch um Rechtsradikalismus, sexuelle Nötigung, Flucht und schwierige Vater-Sohn-Beziehungen. Düster, melancholisch und sehr, sehr gut!

 

Gespraeche mit Freunden von Sally Rooney

Sally Rooneys Debütroman „Gespräche mit Freunden“ sieht man zur Zeit überall. Es ist eines der Bücher, das so oft in die Kamera gehalten wird, dessen Autorin einfach so omnipräsent in den Medien ist, dass ich mit der Lektüre eher zurückhaltend war.
Ein Porträt der Generation Y soll es sein, kritische Stimmen verbannen es als banal, männliche Kritiker verbannen es schon mal in die „Frauenroman“-Ecke, was bekanntlich unter ernst zu nehmenden Kritikern (meist ebenfalls männlichen Geschlechts) als Totschlagargument gilt. In Deutschland gab es in der Kritik fast nur positive Stimmen.
Und auch von mir erhält die Geschichte um die Gefühlswirren eines Studentinnen-Paars den Daumen hoch. Den großen Generationenroman sehe ich darin eher nicht, aber ein überzeugendes Porträt einer jungen Frau, die sich in ihrer Gegenwart verorten muss, den eigenen und anderen Gefühlen misstrauend, in steter Selbstbefragung und Selbstbewertung gefangen. Ich bin nun sehr gespannt auf den zweiten Roman der irischen Autorin, „Normal People“, der in Kürze auch übersetzt werden soll.

 

Vea Kaiser - Rückwärtswalzer

Auch Vea Kaisers mittlerweile dritter Roman war, zumindest in den Sozialen Medien, überall zu sehen. Auch in der Kritik, die sonst gern einen Bogen um die sogenannte Unterhaltungsliteratur macht, wurde das Buch recht positiv aufgenommen. Mich hat Vea Kaiser mit ihrem zweiten Roman „Makarionissi oder Die Insel der Seligen“ 2015 sehr bezaubert und auch die Autorin ist wirklich bezaubernd. Mit viel Temperament und Leidenschaft durfte ich sie bei Kiepenheuer & Witsch erleben und mit Charme und kiloweise selbstgebackenen Keksen hatte sie ihr Publikum schnell erobert. Auch ihr neues Buch „Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“ hat vieles, was ich am Vorgänger sehr gemocht habe: Warmherzigkeit, eigenwillige Figuren, Empathie, Witz und Übermut, eine Prise Gesellschaftskritik, österreichische Geschichte  und das Antupfen ernsterer Themen wie Rassismus und sexuelle Gewalt. Leider konnte mich die Geschichte um den Roadtrip von Lorenz mit seinen drei Tanten und dem unlängst verstorbenen, nun tiefgefrorenen Onkel Willi im Fiat Panda von Wien nach Montenegro zwecks preisgünstiger Überführung ins Heimatland insgesamt nicht wirklich begeistern. Wie gesagt, es steckt im Ansatz alles Positive von Makaronissi drin, aber hier wird es mir zu überzogen, zu gewollt unterhaltsam, zu possierlich und leider auch oft zu albern. Wo ein Slapstick-Gag möglich ist, wird er auch untergebracht, die Handlung entwickelt sich zu vorhersehbar und vor allem die Anlage der naturwissenschaftlich interessierten Tante Wetti hat mich neben der des dämlichen Lorenz ziemlich genervt. Schade, denn gute, kluge Unterhaltungsliteratur ist so selten, und Vea Kaiser kann das und sie zeigt gerade auch im Formalen durchaus ihr Können. Zurückbleibt ein trotz seiner Schwächen durchaus sympathischer, unterhaltsamer Roman.

 

Rafik Schami - Die geheime Mission des KardinalsAuch das neue Buch von Rafik Schami „Die geheime Mission des Kardinals“ startete mit einer gehörigen Portion Sympathievorschuss für den Autoren. Wenige Schriftsteller sind mir so freundlich und herzlich begegnet wie der seit 1971 in Deutschland lebende, aus Damaskus stammende Schami. Sein Roman „Die dunkle Seite der Liebe“ von 2004 hat mir einst sehr gut gefallen. Aber bereits mit „Sophia oder Der Anfang aller Geschichten“ (2015) hatte ich so meine Schwierigkeiten. Nun sollte eine der Figuren aus „Die dunkle Seite der Liebe“ erneut eine Rolle spielen, und zwar die zentrale als Ermittler in einem undurchsichtigen Kriminalfall, Kommissar Barudi. Dieser steht kurz vor der Pensionierung als die Leiche eines Kardinals aus dem Vatikan in einem Ölfass an die italienische Botschaft in Damaskus geliefert wird. Es ist das Jahr 2010, also noch vor Ausbruch des Bürgerkriegs, und um politische Turbulenzen zu vermeiden, wird Barudi ein italienischer Ermittler, Marco Marcini, an die Seite gestellt. Es geht um religiösen Irrsinn, Aberglauben, Wunderheiler, Geschäfte mit der Religion – und zwar sowohl auf christlicher als auch muslimischer Seite, und um Syrien, zerrieben wird zwischen Islamisten und der Diktatur Baschar Hafiz al-Assads. Schami trauert über und um seine ehemalige Heimat, das merkt man in jeder Zeile. Mit seiner ausufernden Fabulierkunst beschreibt er Land und Leute und vor allem auch die Küche. Das ist farbenprächtig, aber oft zu ausufernd. Daneben plätschert die Krimihandlung vor sich hin. Politische Botschaften sind vor allem in den die Erzählung unterbrechenden Tagebuchnotizen Barudis verpackt. Oft aber auch in gänzlich konstruierten Dialogen. Zu viel Erklärung wird da hineingepackt. Die Männerfreundschaft zwischen den Ermittlern  ist reichlich betulich, die Liebesgeschichte Barudis mit seiner Nachbarin unglaubwürdig und kitschig. Lesen kann man das Buch trotzdem gut. Es ist unterhaltsam und sympathisch wie sein Autor.

 

Madeline Miller - Ich bin CirceMadeline Miller – Ich bin Circe

Ein feministischer Blick auf die Zauberin der griechischen Mythologie, eine Rehabilitationsschrift für die Frau, die die Nymphe Scylla in ein Meeresungeheuer und Odysseus Mannen in Schweine verwandelt hat. Viele der Geschichten hat man vielleicht zumindest ansatzweise schon gehört. Ihr komplizierter Zusammenhang wird bei der Lektüre von „Ich bin Circe“ durch Madeline Miller aber sehr anschaulich nacherzählt. Die Figuren sind bei Miller sehr ambivalent angelegt. Auch Circe, die sich im Laufe der Erzählung sehr weiterentwickelt, vom unglücklichen verschmähten Kind über die enttäuschte Liebende zur nachdenklichen, verletzten Frau und fürsorglichen Mutter. „Ich bin Circe“ ist einfallsreich und unterhaltsam, mit einem guten Schuss Romantik und jeder Menge menschlicher Emotionen unter den Göttern (die ja bekanntlich eitel und rachsüchtig sind, aber eben auch noch mehr). Manchmal ist es auch ein wenig zu sentimental und zu gewollt modern. Insgesamt aber, mit den kleinen Abstrichen, ein großes Lesevergnügen.

 

Petina Gappahs „Aus der Dunkelheit strahlendes Licht“ konnte ich nicht mehr beenden. Ich werde im September darüber berichten.

Genießt noch die (vielleicht letzten) Sommertage. Ab September startet hier wöchentlich das Spezial zum Gastland der Frankfurter Buchmesse 2019 – Norwegen. Viel norwegische Literatur, aber auch andere tolle Herbsttitel werde ich euch hier vorstellen. Bis dann: Gehabt euch wohl! 😉

4 Gedanken zu „Lektüre August 2019

  1. Guten Morgen liebe Petra,

    du hast schöne Bücher gelesen, besonders „Die Nickel Boys“ stehen noch auf meiner Wunschliste.
    Friedrich Anis Bücher sind etwas ganz besonderes, ich lese ihn auch sehr gerne, dieses Buch erscheint mir aber zu düster. Ich warte mal auf den nächsten Krimi.
    Von „Rückwärtswalzer“ war ich etwas enttäuscht, denn diese Handlung habe ich kurz zuvor ähnlich in einem anderen Buch vorgefunden. „Onkel Hassans wundersame Wiederauferstehung in einem alten Mercedes“ von Hajar Taddigs enthält genau diese Idee der Überfühung.

    https://sommerlese.blogspot.com/2018/10/onkel-hassans-wundersame.html

    Circe erscheint mir zu geschichtsträchtig, als das ich das Buch gerne lesen würde.

    Ich wünsche dir einen wunderbaren September und schöne Buchschätze,
    liebe Grüße
    Barbara

    1. Liebe Barbara, Danke für deine Anmerkungen. Die Nickel Boys und Ani waren auch wirklich meine Highlights. Wie du war ich vom Rückwärtswalzer enttäuscht. Das Motiv wird ja immer wieder mal verwendet, finde ich an sich nicht schlimm, aber dann muss die Umsetzung überzeugen.
      Dir auch einen schönen Leseherbst und viele liebe Grüße, Petra

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