Petina Gappah – Aus der Dunkelheit strahlendes Licht

Auf verschiedenen Expeditionen erforschte der schottische Missionar David Livingstone (1813 – 1973), zeitweise mit seiner Frau, der Missionarstochter Mary Moffat, weite Teile des südlichen Afrikas. Die simbawische Autorin Petina Gappah hat nun über seine letzte Reise einen wunderbaren Roman veröffentlicht, „Aus der Dunkelheit strahlendes Licht“.

Über zwanzig Jahre begleitete der Stoff die 1971 im damaligen Rhodesien geborene Autorin. Sie nahm den Stoff mit zu ihrem Studium der Rechtswissenschaft, zunächst in Harare, dann in Graz und Cambridge, und er ließ sie auch nicht während ihrer 17 Jahre währenden Tätigkeit bei der WHO in Genf los. Zwei Erzählungsbände und ein Roman entstanden in der Zwischenzeit, aber die Geschichte von David Livingstone beschäftigte Petina Gappah weiterhin, vor allem, wie sie sagt, weil Livingstone, anders als andere kolonialen Entdecker oder Eroberer auch in Afrika immer noch ein hohes Ansehen genießt und durch zahlreiche Monumente geehrt wird.

David Livingstone Peina Gappah Aus der dunkelheit strahlendes Licht
David Livingstone 1864 by Thomas Annan [Public domain]
Eine letzte Reise

Man merkt dem Buch die profunde Recherche an. Gleichzeitig ist es überhaupt nicht „belehrend“, sondern sehr lebendig und anschaulich geschrieben.

Wovon der Roman erzählt, wird gleich zu Beginn zusammengefasst:

„Dies ist die Geschichte, wie wir den armen geschundenen Leichnam von Bwana Daudi, dem Doktor, David Livingstone, durch Afrika trugen, damit er über das Meer gesegelt und in seinem eigenen Land begraben werden konnte. Über eintausendfünfhundert Meilen, vom Landesinneren zur Küste, marschierten wir mit seiner Leiche.“

Wen dieses „wir“ im ersten Abschnitt meint, ist nicht ganz klar. Der Roman hat zwei Erzähler*innen, die Köchin Halima und den als Kind von den Engländern aus der Sklaverei geretteten Jacob Wainwright.

„Diese Geschichte ist schon viele Male erzählt worden, aber stets als die Geschichte des Doktors“.

Nun erzählen Halima und Jacob zwar von Livingstones „letzter Reise“, aber naturgegeben ist es nun die Geschichte derer, die die Geschichtsschreibung meist vergisst.

„Das ist alles, was wir neunundsechzig in seiner Welt je waren; die dunkelhäutigen Gefährten, seine dunkelhäutigen Gefährten, die Schattengestalten in den Karawanen, mit denen er zog. Wir waren immer nur die pagazi, die Lastenträger und Diener, die sein Gepäck trugen, seine Hütten bauten, seine Mahlzeiten kochten, seine Wäsche wuschen und sein Bett machten, die askari, die seine Kämpfe fochten, seine loyale und getreue Gefolgschaft.“

Befreite Sklaven auf dem englischen Stationsschiff „London“ in Sansibar aus: die Gartenlaube 1885 Public domain
Die Geschichte der Übersehenen

Und so schreibt Petina Gappah mit „Aus der Dunkelheit strahlendes Licht“ nicht so sehr die Geschichte David Livingstones, seiner Entdeckung der Viktoriafälle, seinen Missionierungsversuchen und seinen Anstrengungen, gegen den Sklavenhandel vorzugehen und den Landbau zu fördern, seiner vergeblichen Suche nach den Quellen des Nils, den ausgedehnten, besessenen Expeditionen rund um den Malawi- und Tanganjikasee und das Gebiet des Sambesi. Auch wenn dies alles rückblickend genauso erwähnt wie der Tod Mary Livingstones 1862 auf einer der Expeditionen und die tiefe Erschütterung Livingstones, als er Zeuge eines Massaker von arabischen Sklavenhändlern an der Bevölkerung in Njangwe wird.

Auch die berühmte Begegnung von Livingstone mit Sir Henry Morton Stanley, dem britisch-amerikanischen Journalist, der 1870 von Bombay aus aufbrach, um den seit 1866 vermissten Livingstone im Auftrag Englands zu finden, findet natürlich Erwähnung. Mit einem riesigen Tross, Badewanne und anderen Annehmlichkeiten bewegte Stanley sich von Osten her Richtung Zentralafrika und begegnete am 10. November 1871 in Ujiji, in der Nähe des Tanganjikasees einem Europäer. „Doctor Livingstone, I presume?“ – „Doktor Livingstone, nehme ich an“, sollen seine (heute berühmten) Worte gewesen sein.

Während Livingstone ein zwar in seinem kolonialen Dünkel Gefangener war, aber durchaus eine tiefe Liebe zu Afrika und den Afrikanern empfunden haben soll, begegnet man mit Stanley einem der typischen ignoranten Europäer, auf die man im Buch immer wieder mal trifft. Mit welcher Selbstverständlichkeit und Ignoranz diese von Afrika Besitz ergriffen haben, wird hier wieder einmal erschreckend deutlich.

Petina Gappah erzählt in „Aus der Dunkelheit strahlendes Licht“ aber eben nicht deren Geschichte, sondern die der 69 Begleiter, von denen zehn die Reise nicht überleben, fünfzehn desertieren werden und alle unglaubliche Strapazen auf sich nehmen, um den Leichnam „nach Hause“ kommen zu lassen.

Halima und Jacob

Zu Beginn berichtet die aus Sansibar stammende Köchin Halima wie ihr „Bwana Daudi“ tot aufgefunden wurde, wie sie beschlossen, nur sein Herz hier in Chitambo, am Ufer des Bangweulu Sees zu bestatten und den Körper, vorher sorgsam durch Trocknen präpariert, an die Küste nach Bagamoyo zu geleiten. Die eigensinnige, freche, fröhliche und immer etwas verschwatzte Halima bringt einen ganz eigenen Ton in die Geschichte ein, der sehr authentisch wirkt und viel über das Beziehungsgeflecht der Reisenden verrät.

aus: David Livingstone: the story of one who followed Christ, 1882

Die anstrengende, mitunter gefährliche Reise selbst wird von einer historischen Figur erzählt, von Jacob Wainwright. Dieser wurde als Kind als Angehöriger des Yao-Volks von Sklavenhändlern verschleppt, von einem britischen Anti-Sklavenkommando befreit, christianisiert und auf eine britische Schule nach Indien gebracht. Nach dem nahe Mumbai gelegenen Ort der Schule, Nashik, werden er und sechs andere zur Gruppe gehörenden jungen Männer, die Nassicker genannt. Der Ton Jacob variiert sehr von dem Halimas, was ich sehr schön fand. Er ist ernst, pietistisch-verklemmt, blasiert und selbstgerecht, ändert sich aber im Verlauf seiner Tagebuchaufzeichnungen, die im Roman die Reise beschreiben, als er sich in eine der mitreisenden Frauen verliebt. Jacob Wainwright wird es sein, der den Leichnam Livingstones schließlich nach London begleitet. Am Ende des Romans berichtet er über seinen Londonaufenthalt, so wie Halima über ihr neues Leben auf Sansibar.

Lesehighlight

Aber wir erfahren auch die Geschichte von Livinstones treuen Gefährten James Chuma und Abdullah Susi, von Chirango, Amoda und John Wainwright, von den Frauen Ntaoéka, Misozi und Kaniki und den sechs Kindern, die die Expedition begleiteten. Alles unvergessliche Charaktere, die Petina Gappah in ihrem Roman lebendig und reich an atmosphärischen und kulturellen Details erzählt. „Aus der Dunkelheit strahlendes Licht“ ist mit Sicherheit eines meiner Lesehighlights dieses Jahres. Eine unbedingte, dringende Leseempfehlung!

Großartig, zu hören, dass Gappahs mit dem Guardian First Book Award ausgezeichnetes Debüt, ein Erzählungsband, 2020 im Arche Verlag unter dem Titel „Im Herzen des Goldenen Dreiecks“ erscheinen wird.

 

Beitragsbild: Jacob Wainwright in London, 1874 Foto by Elliot & Fry

 

Marius war genauso begeistert, seine Rezension könnt ihr auf Buch-Haltung  nachlesen. Eien weitere Besprechung auf Petras Bücherapotheke.

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Petina Gappah - Aus der Dunkelheit strahlendes Licht.

Petina Gappah – Aus der Dunkelheit strahlendes Licht
Übersetzt von: Anette Grube
S.Fischer August 2019, gebunden, 432 Seiten, € 24,00

 

4 Gedanken zu „Petina Gappah – Aus der Dunkelheit strahlendes Licht

  1. Eine tolle Rezension zu einem großartigen Buch. Bislang hatte ich ja noch nix von Petina Gappah gelesen, auf „Im Herzen des Goldenen Dreiecks“ bin ich aber jetzt schon wirklich gespannt!

  2. Oh, da hast du mir den Mund jetzt aber sehr wässrig gemacht. Ich hatte das Buch ja ohnehin schon in meinem Blickfeld und u.a. in meinem Ticker als potenzielles Highlight ausgemacht – Deine tolle, hymnische Besprechung wird mich nun jedoch früher zum Kauf „nötigen“.

    Schönes WE
    Stefan

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