Hideo Yokoyama legt mit 2, zwei schmalen Kriminalerzählungen rund um das Polizeipräsidium der japanischen Präfektur D, eine Art Prequel zu seinem starken Roman 64 vor.
Im vergangenen Jahr erschien ein dickleibiger Roman aus Japan, der einiges an Aufsehen erregte. Thriller war er betitelt, entsprach aber so gar nicht dem, was man gemeinhin von diesem Genre erwartet. Es ging um ein verschwundenes Mädchen, es ging auch um Mord und natürlich auch um Polizeiarbeit. Im Zentrum des Interesses standen aber weder die Verbrechen selbst, noch Täter, Opfer oder sonstige handelnde Personen. Selbst die Ermittlungen und Ermittler waren eher Beiwerk, auch wenn es einen Hauptprotagonisten, Yoshinobu Mikami, seines Zeichens Pressedirektor der Polizei, gab. Dieser war persönlich in den Fall verstrickt, aber er war eben nur Pressedirektor und kein im eigentlichen Sinn ermittelnder Beamter.
Der japanische Polizeiapparat als Spiegel der Gesellschaft
Worum es Hideo Yokoyama ging und was ihm vorzüglich und auf ganz eigene Art spannend gelang, war ein Porträt der Verwaltungsstrukturen und der Bürokratie im japanischen Polizeiapparat zu zeichnen. Was nun ziemlich wenig aufregend klingt, war aber (zumindest für einen Teil der Leser*innen) sehr faszinierend und verdichtete sich zu einem Gesellschaftsporträt und einem tiefen Einblick in die japanische Alltagskultur.
Nun erscheinen von Hideo Yokyama mit 2 zwei bereits 1998 entstandene und in dem Erzählungsband „Kage no Kisetsu“ (陰の季節)veröffentlichte Stories, die wie 64 das Polizeipräsidium der Präfektur D als Mittelpunkt haben. Auch einige der Beamten, die hier erwähnt werden, sind im Roman von 2013 wieder handelnde Personen. Gewissermaßen kann man also von Vorstudien für sein großes Werk sprechen.
Hideo Yokoyama erlitt 2003 einen Schlaganfall und arbeitete danach fast zehn Jahre an den über 700 Seiten von 64. Warum allerdings nur zwei der vier Stories aus dem ursprünglichen Erzählungsbandand veröffentlicht werden, ist genauso rätselhaft wie die Titelgebung. Ja, es sind zwei Geschichten enthalten und die englische Übersetzung (die übrigens wieder als Basis für den deutschen Text herhalten musste; auch 64 wurde nicht aus dem Japanischen übersetzt und auch erst nach dem durchschlagenden Erfolg in den USA und Großbritannien) ist mit „Prefecture D“ auch nicht näher am Original („Schattige Jahreszeit“), aber doch nicht so bemüht „nah dran“ am Erfolgstitel 64, der aber, da er ein bestimmtes Jahr im Kalender angab, in seiner schlichten Zahlenfolge absolut zutreffend war. Was die Engländer auch besser machten: tatsächlich alle vier Erzählungen im Band zu belassen.
Wer 64 kennt, wird in den beiden Geschichten viel Ähnliches entdecken: die unspektakuläre, zurückgenommene Erzählweise, die komplizierten Strukturen in der Präfektur, der tiefe Blick in den japanischen (Arbeits)alltag.
Zwei Geschichten rund ums Polizeipräsidium der Präfektur D
In der ersten Geschichte, „Zeit der Schatten“, plagt sich der Inspektor der Verwaltungsabteilung, Futawatari, damit ab, einen altgedienten höheren Beamten, der eigentlich für den Ruhestand vorgesehen war, nun aber nicht von seinem Posten ablassen will, davon zu überzeugen, das doch zu tun. Dieser Rücktritt ist absolut notwendig, da die jährliche Versetzungsspirale, die in Japan üblich zu sein scheint, sich begonnen hat zu drehen und die geplanten Rochaden zu scheitern drohen, wenn einer der Plätze nicht wie geplant frei wird. Da sich Osakabe, „Vorstandsvorsitzender der Stiftung zur Überwachung der Entsorgung von Industriemüll“, partout nicht einsichtig zeigen will, versucht Futawatari zu ermitteln, was hinter diesem Starrsinn, einem Tabu in der japanischen Gesellschaft, stecken mag. Und wird schließlich auf bestürzende Art fündig.
In der zweiten Geschichte, „Schwarze Linien“, hält eine junge Polizeibeamtin, gerade wegen hervorragender Leistungen dekoriert, als sie plötzlich verschwindet, die für das weibliche Polizeipersonal zuständige Gruppenleiterin Tomoko Nanao auf Trab. Hat die Bande, deren Anführer Mizuho mit ihrem Fahndungsbild hinter Gitter gebracht hat, mit ihrem Verschwinden zu tun? Eine fieberhafte Suche beginnt.
Einstieg
2 hat wie gesagt vieles, was man auch in 64 findet und vor allem die Einblicke in das soziale Gefüge der Menschen faszinieren. Was einige Kritiker*innen am sehr umfangreichen Roman bemängelten – das sehr langsame Entwickeln, die Kleinteiligkeit und Detailfreude – ist für einen solchen Einblick aber gerade dienlich, das kann zwei kurzen Erzählungen von 90 bzw. 60 Seiten nicht recht gelingen. Und für Kriminfans sind die Fälle einfach nicht spektakulär genug. Auch hier denke ich werden mit der Bezeichnung „Thriller“ falsche Erwartungen geweckt, die nur enttäuscht werden können.
Leser*innen, denen 64 (so wie mir) gefallen hat, werden das Buch mit Interesse lesen und für diejenigen, die einen Einstieg in 64 von Hideo Yokoyama suchen, zum Schnuppern sozusagen, sind die Erzählungen von 2 auch unbedingt zu empfehlen.
Beitragsbild: Tokio by telophase auf Pixabay
Meine Rezension zu 64 findet ihr hier
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Hideo Yokoyama – 2
Aus dem Englischen von Sabine Roth
Atrium Verlag August 2019, 154 Seiten, Gebunden, 16,00 €
Ich muss jetzt erst einmal in nächster Zeit „64“ lesen, der Roman reizt mich schon seit Längerem. Aber ich schiebe Lektüren, auf die ich mich sehr freue, immer wieder auf. Viele Grüße
Mir hat 64 sehr gut gefallen. Ein ganz anderer Polizeiroman und eigentlich eher ein Japanroman. Einen Thriller, wie angekündigt, darf man nicht erwarten, sonst wird man enttäuscht. Viele Grüße!