Zum 100. Geburtstag des 1999 verstorbenen Schriftstellers und Journalisten Horst Krüger veröffentlicht der Schöffling Verlag dessen Erinnerungsbuch Das zerbrochene Haus. Eine Jugend in Deutschland, das 1966 erstmals erschien und leider lange Zeit vergriffen war, mit einem informativen Nachwort von Martin Mosebach neu. Was für ein Glücksfall!
„Natürlich muß die Wahrheit
im Kampf mit der Unwahrheit
geschrieben werden,
und sie darf nicht etwas Allgemeines,
Hohes, Vieldeutiges sein.
Von dieser allgemeinen, hohen, vieldeutigen Art
ist ja gerade die Unwahrheit.“Bertholt Brecht
Eichkamp
Dieses Zitat Brechts wählte Horst Krüger als Motto für seinen autobiografischen Text Das zerbrochene Haus. Der beginnt mit der Rückkehr des Autors Mitte der Sechziger Jahre zum Ort seiner Kindheit und Jugend, nach Berlin, genauer gesagt nach Eichkamp, eine Siedlung im Westen, am Rande des Grunewalds. Die Reihen- und Doppelhäuser dort waren Heim für den Berliner Mittelstand, für Amtmänner wie den Vater Fritz Krüger, der im Kultusministerium arbeitete, Lehrer, Angestellte. Aber auch Arnold Zweig lebte in Eichkamp, Ludwig Marcuse, und Elisabeth Langgässer war eine Nachbarin. Hier lebten die „Anständigen“, bieder, ordentlich, fleißig. Man war skeptisch und eher immun gegen jegliche Ideologien.
„Ich bin ein Sohn jener harmlosen Deutschen, die niemals Nazis waren und ohne die die Nazis doch niemals ihr Werk hätten tun können.“
Man grenzte sich ab nach unten, gegen „das Gesindel“ – Arbeiter, Kommunisten -, war „unpolitisch“, aber doch anfällig für den Glanz dessen, was entstehen könnte.
„Endlich kommen wir auch einmal ran in der Weltgeschichte. (…) Jetzt bauen wir sogar Autobahnen, damit unsere Post noch schneller wird.“
„Ein Ort wie Eichkamp“ ist für Horst Krüger damit auch Stellvertreter für so viele andere. Er kehrt zurück,
„Heute wimmelt es in unserem Land von Widerstandskämpfern, geheimen Beauftragten, Männern der inneren Emigration und klugen Füchsen, die nur scheinbar mittaten, um Schlimmeres zu verhüten.“
„Ich bin Bürger der Bundesrepublik, ich komme aus dem Westen, ich komme nach Eichkamp, weil mich die Frage quält, wie das eigentlich war, was wir heute alle nicht mehr begreifen können. Jetzt, meine ich, müßte man es verstehen.“
Die Auschwitzprozesse
Das Buch beginnt also mit der Rückkehr von Horst Krüger an den Ort seiner Kindheit. Das Schreiben von Das zerbrochene Haus begann aber mit dem letzten der Kapitel im Buch. Gerichtstag behandelt die Auschwitzprozesse, die von 1963 bis 1965 in Frankfurt am Main stattfanden und die der Journalist Krüger auf Einladung seines Freundes Fritz Bauer, des Generalstaatsanwalts in Hessen, verfolgte.
Dieses Kapitel ist gleichzeitig ein Höhepunkt des Buches. Nüchtern und doch ungeheuer ergreifend schildert Krüger den Prozess und diese neue Qualität des Verbrechens: „der Tod als Verwaltungsakt“. Gleichzeitig sieht er ungeheuer klarsichtig, dass kaum einer in der Bevölkerung diese Prozesse will. Man wird ungern an die eigene, belastete Vergangenheit erinnert.
„Aber die wollen davon nichts mehr wissen, die wissen ja alles, die kennen es, die müssen jetzt kurz vor zwölf arbeiten, verdienen, müssen das Wirtschaftswunder in Gang halten. Wer zurücksieht, ist verloren.“
Eine Jugend in Deutschland
Zwischen diesen beiden Kapiteln erzählt Horst Krüger vom Freitod seiner älteren Schwester Ursula, 1938, von seiner Schulzeit, der Verhaftung durch die Gestapo, weil er aus Freundschaft zum wilden, ungestümen Wanja Flugblätter verteilte und Kurierdienste übernahm für seine sozialistische Gruppe. Mit Glück kam er nach einem halben Jahr Inhaftierung in Moabit frei, man glaubte, ihn noch nicht ganz verloren für das Deutsche Reich. Er studierte Philosophie und Literaturwissenschaften zunächst in Berlin, dann in Freiburg, wurde 1942 zu den Fallschirmspringern eingezogen und desertierte im April 1945 zu den Amerikanern, wo er in Gefangenschaft geriet.
Horst Krüger erzählt nicht streng chronologisch und er lässt auch größere Leerstellen. So schreibt er weder über seine Zeit als Soldat (bis auf die Desertation) noch über den Tod seiner Eltern, die 1945, vermutlich im Kriegsgeschehen ums Leben kamen. Bei seiner Rückkehr nach Berlin steht er zumindest vor einer Baulücke, das Elternhaus ist verschwunden. Auch die unmittelbare Nachkriegszeit fehlt, in der Krüger zum Journalisten und Chef des Nachtstudios beim Südwestfunk und damit zu einer prägenden Stimme der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit wurde.
Gerade weil Krüger nicht den Anspruch erhebt, eine umfassende Autobiografie zu schreiben, sondern dem nachspürt, was seine typische deutsche Jugend ausmachte und dem näher zu kommen versucht, was die Nazidiktatur ermöglichte und trug, macht das Buch so eindrucksvoll. Für mich ist es eine wahre Entdeckung und Pflichtlektüre für eigentlich jeden. Es zeigt deutlich, dass mehr als nur ein Haus, dass ein ganzes Land zerbrochen war.
Beitragsbild: Berlin Savignyplatz 1946 Bundesarchiv, Bild 183-M1205-323 / Donath, Otto / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
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Horst Krüger – Das zerbrochene Haus. Eine Jugend in Deutschland
Mit einem Nachwort von Martin Mosebach
Schöffling August 2019, 216 Seiten, Gebunden. Lesebändchen, € 22,00