Die neun Geschichten von Jamel Brinkley , die 2018 auf der Longlist der National Book Awards standen und nun auf Deutsch unter dem Titel „Unverschämtes Glück“ erschienen sind, scheinen ein Kontrapunkt zur gegenwärtigen Stimmung zu sein. Die ungleich größere Aufmerksamkeit, die männlichen Autoren geschenkt wird, männliche Vorherrschaft in Chefetagen sowohl wie an den Schaltstellen der Meinungsindustrie, #metoo, mangelnde Sensibilität und Aufmerksamkeit für sexualisierte Gewalt und Alltagssexismus und generell die Genderdebatte sind hochaktuell. Gerade weil sich das Rad der Entwicklungen in diesen Bereichen zurückzudrehen scheint oder doch gehörig stockt.
Und da veröffentlicht Jamel Brinkley, 1975 in New York geboren und aktuell in Los Angeles lebend, seinen Erzählungsband „Lucky Man“ und erzählt ausschließlich von Männern schwarzer Hautfarbe, die jene toxische Männlichkeit verströmen, die so verstörend ist, und das durchaus empathisch. Vieles läuft schief im Leben dieser Männer, und oft befinden sie sich noch oder wieder auf Identitätssuche, oft voll Frustration und Wut. Das Leben läuft nicht so, wie sie erhofften und erwarteten.
„A word that pops up in “A Lucky Man” is deserve. Lincoln reflects on the idea that his life looked a certain way when he was young, that he was in a position to have a wonderful life and, moreover, that he deserved to have that wonderful life. I do think that much of the way masculinity in its most patriarchal and toxic forms operates is through the conviction that (heterosexual) men deserve certain things: money, success, admiration, women, beauty, and so on. When you approach life in this acquisitive way, and especially when you approach other human beings in an acquisitive way, then you’ll likely end up with the kinds of damaged relationships you mentioned.“
James Brinkley in einem Interview mit Karin Cecile Davidson 2018
Frauen kommen in diesen enttäuschten und eingeschränkten Leben lediglich als Mütter, die ihren Pflichten nicht ausreichend nachkommen, als Schwestern und Töchter, zu denen man die Verbindung verloren hat oder – vor allem – als Objekte der eigenen sexuellen Begierde und Triebbefriedigung vor. Sie werden reduziert auf Ärsche, Titten, feuchte Münder. Und bleiben dennoch Sehnsuchtsorte. Das ist eine Atmosphäre, in der man sich nicht wohl fühlt, auch wenn die Frauen hier nicht als Opfer, sondern durchaus streitbar und selbstbestimmt auftreten. Aber gerade in den ersten Geschichten habe ich mich dennoch heftig gegen das Gelesene gewehrt.
Auf einer Party legen es zwei junge Männer drauf an, Mädchen abzuschleppen („Wie prickelnd“); zwei halbwüchsige Brüder werden von der Mutter aus der Wohnung geworfen, weil sie die sturmfrei für ihren neuen Lover braucht, und ziehen auf einen „J´ouvert“ (Straßenfest im karibischen Karneval); zwei andere Brüder gehen auf ein Capoeira-Event (brasilianischer Kampftanz; „Alles was der Mund isst“); ein Mann beschattet nach der Entlassung aus dem Gefängnis die Frau seines verstorbenen Freundes („Eine Familie“) und ein kleiner Junge, der der heimischen Tristesse und der zugedröhnten Mutter bei einem Ausflug mit den Schulschwestern entkommen will, wird enttäuscht, weil auch dort Trostlosigkeit herrscht („Froh bin“).
Die Titel der der Geschichten sprechen der Hoffnungslosigkeit und Enge der Geschichten Hohn. Neben den erwähnten gibt es noch die Titelgeschichte „Unverschämtes Glück“ und „Endlos zufrieden“. In der ersten kommt ein Mann in Bedrängnis, weil er heimlich Fotos von Frauen in der U-Bahn schießt und in der zweiten schläft der Protagonist mit der Freundin seines besten Freundes, in die er schon lange verliebt ist – ohne es freilich zu äußern. Denn alle diese Männer haben große Probleme damit, ihre Gefühle zu äußern, ja sogar, sie überhaupt selbst wahrzunehmen und zu respektieren.
In der vorletzten Geschichte kommt dann tatsächlich auch einmal eine weibliche Perspektive zum Tragen, die von „Fat Rhonda“. Letztlich geht es aber auch hier doch eher um Männer und ihre Verhältnisse untereinander und zur Welt.
Für mich die beste Geschichte ist die letzte, „Clifton´s place“, die von der gleichnamigen Kneipe, der alten Inhaberin und den sie bevölkernden Männern erzählt. Hier reißt die Männlichkeitsmaske des Protagonisten am weitesten auf, sind die Momente der Intimität, die auch in den anderen Geschichten immer wieder, wenn auch nur kurz und meist eher zufällig auftreten, am intensivsten.
Jamel Brinkley ist mit „Unverschämtes Glück“ eine wirklich bemerkenswerte Erzählungssammlung gelungen, in der man sich nicht wohl fühlt, die viel von der toxischen Männlichkeit verspritzt, die keiner Gesellschaft und auch nicht den sie transportierenden Männern dauerhaft gut tun kann. Sie bewusst zu machen und zu zeigen, wie viel Verletztheit und Verletzlichkeit auch dahinter steckt, vielleicht auch Ratlosig- und Orientierungslosigkeit, ist hervorragend geglückt. Dazu beherrscht Brinkley eine wunderbare Sprache, die auch in der Übersetzung durch Uda Strätling sehr überzeugt.
Bei Sarah findet ihr eine weitere Besprechung
Beitragsbild: Subway New York by Paul L (CC BY-SA 2.0) via Flickr
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Jamel Brinkley – Unverschämtes Glück
Aus dem Englischen von Uda Strätling
Kein & Aber August 2019, Hardcover, €22,00