Edgar Rai – Im Licht der Zeit

Ein Buch über Marlene Dietrich. Ein Buch über die Entstehung des legendären Films „Der blaue Engel“. Eine Entstehungsgeschichte, die selbst ganz großes Kino ist. Berlin, Babelsberg und die späten 1920er Jahre, die auch die goldenen genannt werden. Edgar Rai hat sie versucht, in seinem Roman „Im Licht der Zeit“ festzuhalten.

Es ist das Jahr 1929, das unlängst auch durch die opulente Verfilmung der Volker Kutscher Romane, durch „Babylon Berlin“, die Fernsehzuschauer fasziniert hat, das Edgar Rai tief in die Archive hat abtauchen lassen. Dabei interessiert ihn vor allem die unglaubliche Vorgeschichte des späteren Kultfilms „Der blaue Engel“, der so viele Widerstände überwinden musste, dass es fast einem Wunder gleicht, dass er überhaupt verwirklicht werden konnte.

Professor Unrat

Da war zunächst der Autor der Romanvorlage „Professor Unrat“, Heinrich Mann, der die Filmrechte auf keinen Fall freigeben wollte. In seinem bereits 1905 erschienenen Roman erzählte er von den erotischen Verwirrungen eines typischen deutschen Kleinbürgers in den Fängen einer Tingeltangel-Künstlerin und dessen Zugrundegehen daran.

Karl Gustav Vollmöller
Karl Gustav Vollmöller via Wikipedia

Bei Edgar Rai ist es die Hartnäckigkeit von Karl Gustav Vollmöller, die ihm schließlich doch die Filmrechte bescherte. Eine großzügige Bezahlung von insgesamt 35.000 Reichsmark trug da sicher auch einiges bei. Ein wagemutiger Produzent wurde relativ schnell in Erich Pommer gefunden. Dieser hatte schon 1927 mit Metropolis das mit 5 Millionen Reichsmark lange Zeit kostspieligste Filmprojekt Deutschlands verwirklicht. Nun sollte mit „Der blaue Engel“ der erste große Tonfilm ein unbedingter Publikumserfolg werden. Die Stimmung in Deutschland war im Gegensatz zu den USA lange Zeit recht skeptisch gegenüber dem gesprochenen Film. Andererseits wollte man sich nicht von den Entwicklungen in Amerika abkoppeln. Ein gigantisches Tonfilmstudio wurde in Babelsberg errichtet. Die Kosten sollten möglichst schnell auch wieder eingespielt werden.

Edgar Rai stellt Karl Vollmöller als heimlichen Hauptprotagonisten des Buchs und wahren Realisierer des Filmprojekts auf. In Wikipedia wird er als „Archäologe, Philologe, Schriftsteller, Übersetzer, Rennfahrer, Flugzeugkonstrukteur“ geführt. Für den Blauen Engel übernahm er zusammen mit Carl Zuckmayer das Drehbuch. Rai hat bestimmt erstaunliche Recherchearbeit betrieben, erlaubt sich aber auch etliche Freiheiten. Was bei einem Roman durchaus möglich ist. Bedauerlich finde ich allerdings, dass diese Freiheiten nicht immer deutlich werden.

Erich Pommer, Carl Zuckmayer, Emil Jannings
Erich Pommer, Carl Zuckmayer, Emil Jannings (von links) 1929 via Wikimedia Commons
von Sternberg und jannings

Bei Rai betreibt Vollmöller die Wahl von Josef von Sternberg als Regisseur. Der österreichstämmige US-Bürger hatte für Paramount bereits einige erfolgreiche Filme gedreht, unter anderem mit Emil Jannings „Sein letzter Befehl“, der letzterem den ersten Oscar als „Bester Schauspieler“ einbrachte. Jannings war als derzeit berühmtester deutscher Schauspieler als Star des ersten UFA-Tonfilms bereits gesetzt. Laut Rai gab es aber große Probleme zwischen von Sternberg und Jannings, die durch die jeweiligen übergroßen Egos der beiden bedingt waren. Nur durch Tricks Vollmöllers gelang es, die Zwei für ein gemeinsames Projekt zu gewinnen.

Das letzte zu überwindende Hindernis war der Medientycoon Alfred Hugenberg, dem auch die Ufa gehörte. Der überzeugte Deutschnationalist, der zu den bedeutendsten Wegbereitern des Nationalsozialismus zählt, musste nicht nur von den hohen Produktionskosten, die letztendlich auf zwei Millionen Reichsmark stiegen, sondern auch von der freizügigen Art der Verfilmung überzeugt werden. Was laut Rai auch wieder nur durch einige Tricks gelang.

marlene dietrich

Der bedeutendste „Coup“, der Vollmöller allerdings gelang, was die Besetzung der weiblichen Hauptrolle, der Varieté-Künstlerin Rosa Fröhlich, Künstlernamen „Lola-Lola“, mit Marlene Dietrich. Diese war in erster Linie Revuegirl, galt als schauspielerisch eher unbegabt und schlichtweg „unfilmbar“. Trotzdem setzte sie sich gegen bekannte UFA-Stars wie Lucie Mannheim, Brigitte Helm oder Trude Hesterberg durch, vor allem auch auf Betreiben Josef von Sternbergs.

Josef von Sternberg und Marlene Dietrich
Josef von Sternberg und Marlene Dietrich by oneredsf1 (CC BY-NC-SA 2.0) via Flickr

Rückt also bei Edgar Rai in „Im Licht der Zeit“ Karl Vollmöller stark in den Mittelpunkt der Entstehungsgeschichte, ist das historisch nicht ganz abgesichert. Ihn wählt der Autor aber als positive Zentralgestalt (neben Marlene Dietrich). Darum gruppieren sich mehr oder weniger problematische Charaktere. Beispielsweise den eigenwilligen Star Emil Jannings, den Rai als relative Witzfigur darstellt, von sich selbst ausschließlich in der „Er-Form“ sprechend, mit übergroßem Ego, dass blitzschnell zum dem eines Kleinkinds zusammenfallen kann, der sich selbst mit der Peitsche geißelt. Ich weiß nicht, was davon überliefert ist. Letztendlich ist mir das aber auch egal, denn hier beginnt mein Problem mit dem sicher sehr unterhaltsam erzählten Roman.

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Fakt oder fiktion?

Ob es Jannings ist oder der launische von Sternberg, der Hitler-Freund Hugenberg oder der joviale, kameradschaftliche Hans Albers – mir werden die Figuren zu sehr ausgestellt. Ob im Positiven oder Negativen, ich wittere dahinter eine gewisse Sensationslust. Ganz besonders unangenehm wird mir das bei den geschilderten Sexszenen (die natürlich alle nicht historisch dokumentiert sind). Wie da die halbwüchsige Marlene Dietrich den UFA-Star Henny Porten verführt, oder wie sie Willy Fritsch befriedigt – das ist mir zu sehr Eingriff in das Intimleben dieser Personen, der auf keinerlei Fundament beruht. Edgar Rai gab in einem Interview an, in einem Buch über Marlene Dietrich nicht auf deren Sexualleben verzichten zu können. Mag sein, so indiskret muss das aber nicht geschehen.

Überhaupt ging mir das ständige Namedropping auf die Nerven. Da fährt noch mal schnell Otto Hahn mit seinem Cabrio um die Ecke, da muss noch Ernst Toller am Tisch sitzen und Erich Kästner einen Kommentar abgeben – völlig ohne Bezug zur Handlung, als ob dadurch mehr Berliner Künstleratmosphäre entstünde. Weniger wäre hier mehr gewesen. Den Kapiteln vorangestellte Zeitungsartikel passen da schon besser hinein, schaffen es aber letztendlich auch nicht, die ganze Geschichte zu erden. Lieber ein wenig transparenter machen, was Fakt, was Fiktion ist. Und die Protagonisten weniger zur Schau stellen.

So wurden die eigentlich spannend und unterhaltsam erzählte Geschichte und das interessante Thema für mich leider zu einem kleinen Ärgernis.

 

Beitragsbild: UFA/Paramount Pictures, Josef von Sternberg [Public domain]

 

*Lektüre November 2019

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Edgar Rai - Im Licht der Zeit.

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Edgar Rai – Im Licht der Zeit 
Piper August 2019, 512 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, € 22,00 

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