Ein Hotel in den norwegischen Bergen zu Beginn der 1980er Jahre ist Schauplatz von „Ein Hummerleben“, dem neuen Roman von Erik Fosnes Hansen. Die glanzvollen Zeiten, in denen Flügel um Flügel angebaut, ein Schwimmbad und ein moderner Minigolfplatz eingerichtet wurden, sind lange vorbei und viele der 132 Zimmer stehen leer. Berghotel Fåvnesheim ist ein wenig verstaubt, eine nostalgische Melancholie liegt darüber.
Dasselbe könnte man vom Roman „Ein Hummerleben“ sagen, denn Erik Fosnes Hansen wählt einen sehr ruhigen, epischen, manchmal ein wenig altväterlichen Ton für seine Geschichte. Dabei nutzt er eine ganz junge Erzählstimme: die von Sedgewick, genannt Sedd.
Fåvnesheim
Sedd ist zu Beginn dreizehn Jahre alt und der Enkel von Hoteldirektor Zacchariassen. Neben der Schule arbeitet er fleißig im Betrieb mit, räumt auf, hilft in der Küche, führt die Gäste herum. Seitdem die Besucherzahl nachgelassen hat ist Fåvnesheim ein Familienunternehmen, nur Jim, der Koch, und Synnøve an der Rezeption gehören noch zur fest angestellten Belegschaft. Wenn eine Hochzeitsgesellschaft angekündigt ist, helfen Leute aus dem Dorf aus. Diese Hochzeiten halten das Hotel über Wasser, seitdem der Großvater ein Rundum-Sorglos-Paket zum Festpreis anbietet, das alle von den Bräuten erträumten Leistungen beinhaltet und die Brautväter trotzdem nicht in den Ruin stürzt.
Ansonsten verirren sich nur hin und wieder ein paar Anglergruppen ins Hotel. Die Zeiten, als die Norweger noch vorwiegend im eigenen Land Urlaub gemacht haben, sind vorbei. Durch die großen Ölvorkommen vor der Küste ist Wohlstand ins Land gekommen und der Süden lockt. Auch fährt man nun verstärkt in den Alpen Ski. Schwere Zeiten für die großen norwegischen Berghotels.
Sedd bemerkt dies zwar, ist aber mit den eigenen Veränderungen beschäftigt. Über seine Eltern schweigen Großvater und Großmutter, bei denen er aufgewachsen ist, weitgehend. Die Mutter ist sputlos verschwunden, der indisch stämmige Vater, Bezirksarzt Doktor Kumar, vor Sedds Geburt gestorben. Dabei möchte der Junge doch so gern mehr über seine Eltern erfahren.
Und dann ist da noch die nervige Tochter der neuen Dauergäste, Karoline, die ihn stets mit Beschlag belegen möchte. Sie ist die Tochter des neuen Bankdirektors, des Nachfolgers von Herrn Berge, mit dessen Tod und Sedds vergeblichen Wiederbelebungsversuchen das Buch beginnt.
ende einer ära
Über all den Dingen, die Jungen in diesem Alter nun einmal beschäftigen, bemerkt Sedd lange nicht, wie ernst es um die finanzielle Lage des Hotels aussieht. Der Großvater ist ein Meister in Realitätsverweigerung und gleichzeitig ein Mann, der sich mit seinen vollendeten Umgangsformen meist irgendwie durchzuwursteln versteht. Die temperamentvolle Großmutter Sissi stammt aus Österreich und ist ein wenig kapriziös. Auch sie merkt lange nichts vom Niedergang des Hotels.
Erik Fosnes Hansen erzählt ausschließlich aus der Sicht des altklugen, für sein Alter sehr vernünftigen und gewissenhaften Jungen, der von dem Geschehen rückblickend erzählt. Das ist weitgehend sehr gut gelungen. Hinzu kommt eine gute Portion Ironie, die den Text sehr amüsant macht. Ein wenig Geduld erfordert die detailverliebte, gemächliche Erzählweise, die aber sehr gut zu der Atmosphäre des abgelegenen, schon ein wenig im Dornröschenschlaf versunkenen Hotels passt.
Am Ende gibt der Autor noch einmal Gas. Die völlig aus dem Ruder laufende Weihnachtsfeier der norwegischen Bestattungsunternehmer ist dabei noch nicht der tragische Schlusspunkt.
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Beitragsbild: Grotli National Library of Norway [Public domain] via Wikimedia Commons
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Erik Fosnes Hansen – Ein Hummerleben
Übersetzt von: Hinrich Schmidt-Henkel
Kiepenheuer&Witsch August 2019, gebunden, 384 Seiten, 24,00 €