Dana von Suffrin – Otto

Es gibt unzählige Familiengeschichten. Und unzählige davon handeln von Tyrannen, die diese Familien beherrschen, dirigieren, ihnen das Leben schwer machen. „Otto“ von Dana von Suffrin reiht sich da ein – und ist doch etwas ganz besonderes.

Otto ist der Vater der Ich-Erzählerin Timna, ein mittlerweile hochbetagter und etwas hinfälliger, aber immer noch sehr eigenwilliger und bestimmender Mann.

Als Siebenbürger Jude 1938 in Kronstadt, dem heutigen Brașov in Rumänien geboren, gelang es seiner Familie zwar, dem Holocaust lebend zu entkommen, Otto trägt die Vergangenheit aber bereits sein ganzes Leben mit sich herum. 1962 wandert er nach Israel aus, wird Ingenieur und kämpft viermal für sein neues Vaterland. Und wird dennoch nie ganz heimisch. Nicht nur die Scheidung von seiner ersten Frau dort bewegt ihn, ins Land der Täter, nach Deutschland zu emigrieren, nach München, wo viele aus Siebenbürgen Ausgewanderte leben und nun sein „Altherrenbatallion“ bilden. Hier fühlt er sich auch besonders sicher vor einer weiteren Verfolgung. Obwohl, man weiß nie. Seinen beiden Töchtern aus zweiter Ehe, Timna und Babi, trichtert er früh ein, die Krugerrand-Münzen stets als „eiserne Reserve“ zu bewahren, „falls wir mal wieder deportiert würden.“ Die Tasche mit den wichtigsten Dokumenten ist stets gepackt. Von der Mutter der beiden Mädchen ist Otto auch bereits seit langem geschieden (und die Mutter mittlerweile verstorben).

otto und seine töchter

Otto ist kein umgänglicher Mensch, wie man bereits ahnt. Er ist ein Geizhals, der in einem spießigen Reihenhaus lebt, niemals ein Buch zur Hand nimmt, er neigt zu Vorurteilen und Schimpftiraden, denen auch oder gerade nicht seine beiden geliebten Töchter – die eine, Timna, etwas mehr geliebt als die zweite, Babi – entgehen. Ganz sicher ist er nicht der gebildete, kultivierte Jude, der so oft in der Literatur auftaucht. Otto hat eigenwillige Ansichten und Gewohnheiten, fordert beständige Aufmerksamkeit, ist oft bösartig und verbreitet gerne regelrechten Psychoterror.

„Otto sieht aus wie ein Hollywood-Schauspieler, aber dafür benimmt er sich wie ein Rindvieh und isst wie ein Schwein.“

So das Urteil seiner ersten Frau Ursula. Kaum ein Wunder, dass seine zweite Frau, die Mutter der Schwestern, irgendwann zur Flache griff.

Auch die Schwestern leiden unter dem tyrannischen Patriarchen. Während sich Babi noch einigermaßen zurückziehen kann, hängt Timna allerdings mit einer kritisch-wütenden Zärtlichkeit am Vater. Als dieser für längere Zeit ins Krankenhaus muss, ist sie selbstverständlich jeden Tag bei ihm am Bett. Ihr Freund Tann steht dieser Abhängigkeit relativ fassungslos gegenüber. Auch als osteuropäische Pflegerinnen beim nach Hause zurückgekehrten Vater einziehen, ist Timna stets zur Stelle. Ein beliebtes Mittel ist für Otto die „schöne Bitte“, im Endeffekt nichts anderes als ein väterlicher Befehl. Einer dieser Befehle lautet, dass Timna die Familiengeschichte in ein Buch verwandelt. Einem Befehl, dem Timna bzw. ihr autofiktionales Alter-Ego Dana von Suffrin mit „Otto“ nun nachgekommen ist.

ein klumpen geschichten

„Unsere Familie war eher ein Klumpen Geschichten.“

heißt es da. Und diese vielen Geschichten fasst die Autorin in diesem melancholisch-heiteren Debüt wunderbar zusammen. Besuche beim Vater, Rück- und Vorblicke, Gespräche der Schwestern, Telefonate mit Ottos Ex – so entsteht ein Porträt, das so tragisch wie schwarzhumorig ist. Im Hintergrund steht immer, auch wenn die Familie alles andere als religiös ist und wie in anderen derartigen Familien darüber nicht wirklich gesprochen wird, die jüdische Vergangenheit.

„Das Leben war schwer und man dachte, es würde immer so weitergehen: Manche werden geboren, sagte mein Vater, manche werden krank, manche haben Erfolg, manche nicht, manche heiraten, und manchmal bringen einen die Christen um, so lief das Leben.“

Der Humor und die Sprachmelodie des Romans stammen merklich aus der jüdischen Erzähltradition. Das ganze wird durch eigenwilligen Satzbau und Wortverwendungen des Vaters unterstrichen.

„Was musst du herumspazieren in meinen Sachen? Das Fahren gibt mir Lebenswert.“

beschwert er sich etwa, als Timna ihm nahelegt, nicht mehr mit dem Auto zu fahren.

Es ist schließlich auch diese legendäre Nähe/Enge, die viele jüdische Familien auszumachen scheint, von der das Buch erzählt. Eine nicht unkritische, aber kaum zu lösende Verbundenheit.

Mit „Otto“ hat Dana von Suffrin ein sehr schönes Debüt geschrieben – lustig, traurig, zärtlich und sehr feinfühlig.

 

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Beitragsbild: Peter Sieling (CC BY-ND 2.0) via Flickr

 

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Dana von Suffrin - Otto.

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Dana von Suffrin – Otto
Kiepenheuer&Witsch August 2019, 240 Seiten, gebunden, 20,00 €

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