in In der US-amerikanischen Geschichtsschreibung nimmt die von Oktober 1944 bis Februar 1945 in der Nordeifel tobende „Schlacht im Hürtgenwald“ eine ganz bedeutende Rolle ein. Das mag daran liegen, dass dieser Waldkampf gegen die sich in versteckten Bunkern verschanzenden Deutschen, die zudem das Gelände weiträumig verminten und mit Sprengfallen versahen, zu den verlustreichsten (24.000 Todesopfer auf beiden Seiten) Operationen der Amerikaner und den misslungensten Militäroperationen der US-Streitkräfte überhaupt gehört. Es mag aber auch eine Rolle spielen, dass ein strategisches Auftrumpfen der Wehrmacht nach dem Mai 1945 nicht angezeigt war. Steffen Kopetzky rückt nun in seinem Roman „Propaganda“ diese in schneidender Kälte, zunächst nicht nachlassendem Regen und schließlich Schneefall geführte Schlacht in den Mittelpunkt. Und entwickelt durchaus eine gewisse Faszination für das Kriegsgeschehen.
john glueck
Protagonist und Ich-Erzähler ist der deutschstämmige US-Amerikaner John Glueck. Der 1921 geborene „Pennsylvania-Deitsche“ hat an der Columbia-University Schreibkurse zusammen mit J.D.Salinger und Henry (später Charles) Bukowski besucht. Dies sind nur zwei der im Text auftauchenden berühmten Namen, die Steffen Kopetzky immer wieder gerne in seinen Text verwebt.
Aufgrund seiner schriftstellerischen Vorgeschichte wird Glueck während seiner Militärausbildung bald in die Propagandaabteilung Sykewar versetzt, die über eine psychologische Kriegsführung die Deutschen, sowohl in Uniform als auch in Zivil, demoralisieren wollte. In London bildete sich eine Einheit, die das „Sternenbanner“, eine vierseitigen Informationsschrift, die über feindlichem Gebiet abgeworfen wurde und „mit 4 Millionen Exemplaren auflagenstärkste deutschsprachige Zeitung“ war, produzierte.
ernest hemingway
John Glueck wurde zudem beauftragt, eine Reportage über einen sehr bekannten (und auch im Vorkriegsdeutschland sehr geschätzten) Frontsoldaten zu verfassen: Ernest Hemingway. Zu diesem Zweck wurde Glueck über Frankreich mit einem Fallschirm abgesetzt und schlug sich zu dem Literaturstar durch. Das Bild von Hemingway, das hier gezeichnet wird, ist das vertraute: mit großer Entourage Hof haltend, ruppig und ausschweifend, stets von Alkohol umnebelt, die Badewanne gefüllt mit Handgranaten. Vom Autor, der durch die Ereignisse vom absoluten Kriegsbefürworter zum Skeptiker, wie man ihn in Beiträgen seiner „42 Depeschen“ oder seinem Roman „Über den Fluss und in die Wälder“ finden kann, ist hier noch nichts zu entdecken. Auch von J.D. Salinger, der im selben Frontabschnitt kämpfte ist hier kurz die Rede – es kommt zu einer kurzen Begegnung zwischen Hemingway und ihm.
die schlacht im Hürtgenwald
Über verschlungene Wege gelangt Glueck schließlich in den Hürtgenwald und gerät in die verlustreiche Schlacht um die Städtchen Schmitt und Kall, die sogenannte Allerseelenschlacht. Er begegnet dort einem für die US-Army kämpfenden Irokesen, der seine Opfer skalpiert, greift reichlich zur deutschen Wunderdroge Pervitin (Methamphetamin, Crystal Meth), sieht wie die überragende Logistik der US-Army, die mit einer Flotte von 5.958 Lastkraftwagen und Anhängern, „Red Ball Express“ betitelt, die über 412.000 Tonnen Munition, Nahrung und Kraftstoff zu den alliierten Armeen an der westeuropäischen Front lieferten und damit den oft noch mit Pferdefuhrwerken operierenden Deutschen haushochüberlegen waren, im Hürtgenwald kläglich scheiterte, da die Panzer im unwegsamen Gebiet einfach nicht durchkamen.
So geht fast eine komplette Division aufgrund von strategischen Fehlentscheidungen zugrunde. Lichtgestalt ist ein deutscher Offizier, der Truppenarzt Hauptmann Günter Stüttgen, eine reale Figur. Dieser ermöglichte mehrmals Kampfpausen, um Verletzte auf beiden Seiten gemäß der Genfer Konvention zu behandeln, rettete dadurch Hunderten das Leben und wurde auch in den USA hoch geehrt.
kriegskunst und heldengeschichten
Steffen Kopetzky ist sichtlich fasziniert von Heldengeschichten. Ob es die des beherzten Hauptmanns oder die des verwegenen Hemingway ist, selbst dem blutrünstigen Irokesen Ven Seneca, der übrigens Jura und Philosophie in Oxford und Staatsrecht in Harvard studiert haben soll, billigt er eine gewisse Aureole zu. Mir stößt so etwas leicht ungut auf, auch wenn die deutschen strategischen Kriegsspiele auf Schloss Schlenderhahn unter General Model mit genauso viel Respekt wie die Preußische „Kriegskunst“ beschrieben werden. Außerdem läutet an, dass die „Verdienste“ der Wehrmacht durch amerikanische Propaganda in Verruf gebracht wurden. Das ist sicher ein Standpunkt von Leutenant John Glueck, aber dennoch, ein ungutes Gefühl bleibt.
Steffen Kopetzky trägt in „Propaganda“ Unmengen an gut recherchierten, interessanten Fakten über die Vorgänge am Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen, verbindet sie spannend, unterhaltsam und glänzend geschrieben. Aber das ist noch nicht alles.
die pentagon papers
In einer Rahmenerzählung, zu der er immer wieder zurückkehrt, treffen wir John Glueck im Jahr 1971. Er sitzt im Gefängnis von Hannibal, Missouri, ein, von einer schrecklichen Hautkrankheit entstellt, die ihm seit dem Kontakt mit Agent Orange im Vietnamkrieg quält, nachdem er eine Geschwindigkeitsübertretung und gleichzeitig „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ begangen hat. Dass hinter dieser Verhaftung weit mehr steckt, nämlich die Enthüllung der sogenannten „Pentagon Papers“, die eine Desinformation der US-amerikanischen Öffentlichkeit in Bezug auf den Vietnam Krieg durch die Regierung von Richard Nixon enthüllten und nicht unwesentlich zu dessen Beendigung beitrugen, wird recht bald deutlich. In Person der Generalstaatsanwältin Caffery und der taffen Verteidigerin Kate kommen hier auch zum ersten Mal Frauengestalten zum Tragen. Zugleich wendet sich der Text brandaktuellen Fragen nach der Bedeutung von Whistleblowern, von Zivilcourage und zivilem Ungehorsam zu.
Steffen Kopetzky schafft es, diese Menge an Themen, Fakten und Geschichten in „Propaganda“ spannend und lehrreich zugleich zu verpacken und eine opulente Abenteuergeschichte daraus zu stricken. Der Einbau von vielleicht allzu vielen berühmten Namen, zu vielen literarischen und künstlerischen Verweisen stört dabei ein wenig. Was mich persönlich aber ein wenig Abstand nehmen ließ, war die Faszination für das Kriegshandwerk und seine Helden, die für mich doch immer wieder durchschien. Diese Faszination, und sei sie auch rein theoretischer, historischer Natur, mag ich nicht teilen.
Bei Marius könnt ihr eine weitere Besprechung lesen: Buch-Haltung
Beitragsbild: Huertgenwald Memorial by Heinz-Eberhard Boden (CC BY-NC 2.0) via Flickr
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Steffen Kopetzky – Propaganda
Rowohlt Berlin August 2019, gebunden, 496 Seiten, 25,00 €
Liebe Petra,
eine tolle Rezension, die dir da gelungen ist, vor allem auch die Auswahl der Fotos hat mich nochmal zurückversetzt in die Lektüre des Romans. Das dieses Buch beim Bayerischen Buchpreis so in der Luft zerrissen wurde, das hat es in meinen Augen wirklich nicht verdient.
Beste Grüße Marius
Lieber Marius, was waren denn die Kritikpunkte, ich habe das nicht so intensiv verfolgt? Meine einzigen Bedenken betreffen eigentlich die (für mich) schon spürbare Begeisterung für das Kriegshandwerk an sich und vllt. sogar für die Leistungen der Wehrmacht im Besonderen. Das hat mir ein klein wenig Bauchschmerzen bereitet. Ansonsten ein sehr gutes, prima recherchiertes Buch. LG
Frau Flaßpöhler und Frau Kegel haben das Buch wirklich in der Luft zerrissen (keine interessanten Frauen, Forrest-Gump-Haftigkeit John Gluecks, Namedropping, leere Figur des Gluecks, unrealistisch, etc.).
Nachzusehen hier, ab ziemlich genau einer Stunde:
https://www.br.de/mediathek/video/bayerischer-buchpreis-2019-verleihung-aus-der-allerheiligen-hofkirche-muenchen-av:5dc56fdf0b93e3001a9d24d3
Danke dir, werde ich nachschauen. Dass mit den Frauen und dem Namedropping teile ich ein Stück weit. Aus irgendeinem Grund ist er ja auch nicht für den Buchpreis nominiert gewesen. Verstehe ich nicht, aber ich vermute, dass es auch mit den fehlenden Frauen zu tun haben könnte. Ist schon irgendwie ein Männerbuch, finde ich. Viele Grüße!
Wie verstehen Sie das Ende des Romans bei welchem John Glueck offenbart Kubanern LSD gestohlen zu haben?
Lieber David, da ich das Buch vor fast 3 Jahren gelesen habe, kann ich leider heute nicht mehr wirklich mit Details zu bestimmten Fragen dienen. Zum Nachlesen habe ich aktuell keine Zeit, ich bitte um Verständnis. Viele Grüße!
Liebe Petra,
mit deiner ausführlichen Besprechung des Romans bringst du mir die Ausmaße des Kampfes im Hürtgenwald noch einmal besonders nahe. Und so kann ich auch die eher spärlichen Hinweise dazu, wie der Erzähler in Norbert Scheuers „Winterbienen“ sie gibt, ganz anders einordnen. Denn du schreibst ja, dass es auch Kall gewesen ist, um das besonders gerungen wurde. Wie schön, wenn manchmal Lektüren so gut zueinander passen und die eine die andere bereichert, auch wenn es hier eher um schauerliche Kriegsgeschehnisse geht.
Viele Grüße, Claudia
Liebe Claudia, gut, dass du mich darauf hinweist. Ich weiß zwar, dass Norbert Scheuer immer wieder den Ort Kall zum Schauplatz seiner Romane wählt und auch, dass Winterbienen zur Zeit des Krieges spielt, da ich es aber noch nicht gelesen habe, hätte ich nicht gedacht, dass der Bezug so eng ist. Jetzt rückt das Buch noch ein kleines Stück höher in der Leseliste. Sei gegrüßt, Petra