Rachel Cusk – Lebenswerk

Als Rachel Cusk 2001 ihren literarischen autobiografischen Essay „A life´s work“ (deutsch jetzt bei Suhrkamp „Lebenswerk – Über das Mutterwerden“) veröffentlichte, war ihr Projekt noch relativ einzigartig. Es stellt quasi den Urtext eines Genres dar, das in den letzten Jahren zum Beispiel mit Sheila Hetis „Motherhood“ oder der Studie von Orna Donath „Regretting motherhood“ diskutiert wurde. Vieles, das Cusk in Ihrem Text zum ersten Mal zu Papier brachte und für das sie aufs heftigste gerade auch von anderen Frauen kritisiert und angefeindet wurde, ruft mittlerweile keine Empörung mehr hervor. Und doch ist das Buch hochaktuell, gerade durch seine gewisse Zeitlosigkeit.

Denn Rachel Cusk behandelt in „Lebenswerk“ nur am Rande die äußeren Bedingungen unter denen Frauen ein Kind zur Welt bringen. Natürlich tragen auch die ganz praktischen Umstände, die gesellschaftlichen Erwartungen und die soziopolitischen Rahmenbedingungen viel dazu bei, wie Frauen diesen einschneidenden Schritt in ihrem Leben erleben. Und doch geht es Rachel Cusk noch mehr um die elementaren Veränderungen, die es dabei zu bewältigen gibt, die Deprivation, die Entfremdung vom eigenen Körper, die völlig überwältigenden, zerrissenen Gefühle, die ungeheure Verantwortlichkeit. Aspekte, die Cusk nach ihrer ersten Schwangerschaft völlig überrannten und die ihr Leben in ein Davor und ein Danach zu teilen schienen.

Frausein als Falle

„Geburt und Mutterschaft sind der Amboss, auf dem die Ungleichheit der Geschlechter geschmiedet wurde, und die Frauen, deren Verantwortlichkeiten, Erwartungen und Erfahrungen sich in unserer Gesellschaft denen der Männer angeglichen haben, nähern sich ihm völlig zu Recht mit einer gewissen Beklemmung.“

Und da spielen emanzipatorische Fortschritte eben nur eine Rolle. Rachel Cusk war bereits eine erfolgreiche und anerkannte Autorin und eine moderne Frau, die sich mit Schwangerschaft und Mutterrolle auch im Vorfeld aktiv auseinandersetzte. Ihr damaliger Partner und Kindsvater übernahm die Hausarbeit, damit Cusk ihrer schriftstellerischen Tätigkeit nachgehen konnte. Sie bemühte sich nach Kräften, weiterhin am intellektuellen und kulturellen Leben teilzunehmen. Und dennoch…

tiefgreifende veränderungen

Auf die tiefgreifenden Veränderungen, die das „Lebenswerk“ des Mutterwerdens mit sich bringt, war Rachel Cusk nicht gefasst. Dass der Körper plötzlich und für lange Zeit nicht mehr nur ihr selbst gehört und sich gänzlich anders anfühlt. Dass ein Schreibaby mit Koliken einen an den Rand der Verzweiflung bringen kann. Dass Schlafentzug wahrhaft mörderisch ist. Dass man völlig irrationale Gefühle für das Baby hegen kann. Dass die Sorge um und die Verantwortlichkeit für dieses hilflose Wesen einen auffrisst. Dass sich das eigene Selbstbild als erfolgreiche, moderne Frau mit den fast archaischen Muttergefühlen nicht in Einklang bringen lässt.

Bild von congerdesign auf Pixabay

Rachel Cusk spitzt diese Gefühle und Gedanken zu, arbeitet gerne mit Dichotomien. Sie geht dabei radikal und schonungslos vor, aber immer gleichzeitig auch amüsant, selbstkritisch und liebevoll. Hier schreibt keine keine „regretting mother“, sondern sie ist ihrer Tochter zärtlich zugetan. Cusk ist nur fassungslos darüber, dass sie all diese Dinge vorher nicht erahnen konnte.

ungebetene Ratschläge

Fassungslos ist sie auch über die mehr oder weniger wohlgemeinten Ratschläge, die die Umgebung Müttern immer wieder glaubt erteilen zu müssen, und ganz besonders die Ratgeberliteratur. Hier wird die Autorin auch mal sarkastisch, wenn sie daraus zitiert:

„Wenn Sie nachts nicht schlafen können und Ihre Gedanken sich überschlagen, sollten Sie dieses Aufmucken Ihrer Identität gewaltsam unterdrücken und die Zeit nutzen, um Kontakt zu Ihrem Baby aufzunehmen.“

Deutlich mehr Trost erlangt Rachel Cusk mit der Wieder-Lektüre von literarischen Klassikern, die sie neu im Licht des Themas „Mutterschaft“ liest, sei es „Madame Bovary“, „Krieg und Frieden“ oder Edith Wharton.

Cusks Tochter ist noch kein Jahr alt und die Autorin bereits erneut schwanger, als sie beschließt, über ihre Erfahrungen in dieser Mischung aus Memoir, Essay und genauer Analyse zu schreiben. Bereits da befürchtet sie aber:

„Ich sage das mit der düsteren Vorahnung, dass ein Buch über Mutterschaft niemanden interessiert außer andere Mütter, und auch nur jene Mütter, denen das Erlebnis – wie mir – so beeindruckend erscheint, dass darüber zu lesen einen seltsam betäubenden Effekt hat.“

literarisch beglückend

Nun, ich habe ganz andere Erfahrungen mit meiner Mutterschaft gemacht, dennoch empfinde ich diesen scharfsinnigen, subjektiven und literarisch äußerst beglückenden Essay – warum der Verlag zwar nicht auf dem Umschlag, aber im Buchinneren die Genrebezeichnung „Roman“ wählte, erschließt sich mir nicht – als absolute Bereicherung.

Interessanterweise habe ich zum Buch nicht eine männliche Kritikerstimme gefunden. Sollte Rachel Cusk tatsächlich Recht haben? Interessiert diese existentielle Erfahrung, die hier so gekonnt schriftstellerisch umgesetzt wurde, tatsächlich nur andere (potentielle) Mütter? Das wäre äußerst bedauernswert und würde allzu gut in das Schema des ignoranten männlichen Lesers und Kritikers passen, für den explizit weibliche Erfahrungen einfach „Frauengedöns“ sind.

 

Beitragsbild: Paula Modersohn-Becker [Public domain]

 

Weiter Bücher von Rachel Cusk: Rachel Cusk – Outline, Rachel Cusk – Transit

und Rachel Cusk – Kudos

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Rachel Cusk - Lebenswerk.

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Rachel Cusk – Lebenswerk – Über das Mutterwerden
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Suhrkamp Oktober 2019, Gebunden, 220 Seiten, € 22,00

 

 

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