Nadine Schneider – Drei Kilometer

Nadine Schneider gewinnt mit „Drei Kilometer“ den Bloggerpreis für Literatur „Das Debüt“ 2019. Und das völlig zu Recht. In ihrem schmalen Roman erzählt sie leise, poetisch und völlig unsentimental eine berührende Geschichte.

Es ist der Sommer 1989, drückende Hitze liegt über dem kleinen Dorf im rumänischen Banat. Hier leben besonders viele Donauschwaben und auch Anna, Hans und Misch gehören dieser deutschsprachigen Volksgruppe an. Nur drei Kilometer trennen ihr Heimatdorf von der jugoslawischen Grenze, die so etwas wie Freiheit bedeutet. Drei Kilometer, die durch ein dichtes Maisfeld verlaufen, das die Flucht verbergen kann, zumindest bis zur Ernte.

gehen oder bleiben?

Gehen oder Bleiben, das haben sich schon viele Menschen der Region gefragt. Immer mehr der Häuser hier im Grenzgebiet stehen leer, die Bewohner sind geflohen. Stillstand, Armut und Mangelwirtschaft herrschen unter der Diktatur Nikolae Ceauşescus, der Geheimdienst Securitate hat seine Spitzel überall. Noch weiß keiner, dass die letzten Tage des Regimes begonnen haben, dass Ceauşescu und seine Frau Elena schon im Dezember hingerichtet und ihre Diktatur damit beendet sein würden. Noch scheint das Leben durch Unausweichlichkeit und Hoffnungslosigkeit bestimmt.

Das betrifft vor allem die junge Generation. Anna, Hans und Misch sind alle um die Zwanzig. Anna und Hans sind ein Paar. Aber vielleicht liebt Anna ja auch Misch. Zumindest will dieser Anna mitnehmen, nach „drüben“, durchs Maisfeld, in den Westen. Anna arbeitet wie Hans in einer Fabrik, ist dort Lackiererin. Kein schöner Beruf. Und auch Hans hätte eigentlich studieren sollen. Aber sein Bruder ist schon fort, abgehauen aus dem tristen Land. Deshalb darf Hans nicht an die Universität. Annas Eltern sind Landwirte, kommen mehr schlecht als recht über die Runden. Hin und wieder kommt ein Päckchen oder ein Brief von der Tante, die in Deutschland wohnt.

Letzte tage einer diktatur

Die Hinweise auf die zeitliche und räumliche Verortung der Geschichte sind sehr sparsam gesetzt, man kann sie aber recht leicht erschließen. Irgendwann kommt es zu Unruhen in Temeschwar. Das Volk, das weitgehend im Schweigen versunken ist, über viele Jahre, beginnt zu murren. Typisch ist eine Szene, in der der Diktator zu einer Rede erscheint. Das Volk marschiert notgedrungen auf, aber es regnet und Ceauşescu findet kein Ende bei seiner Ansprache. Unmut kommt auf. Gleichzeitig tut das Regime aber alles, um diese Unruhe zu unterdrücken. Aber erste Risse sind da.

Dorf in Rumänien
Dorf in Rumänien Foto von Tomasz Ważny von Pexels

Gehen oder Bleiben? Hans oder Misch? Ich-Erzählerin Anna ist unentschlossen. Mit Hans ist sie schon lange zusammen, fast wie verheiratet. Aber Gerüchte kommen auf, er sei ein Securitate-Spitzel. Und Misch, der alte Freund, übt plötzlich auch eine große Anziehung auf sie aus. Als er schließlich über die Grenze geht, kann sie sich aber nicht entscheiden, mitzugehen. Heimat, die Familie, besonders die alte Großmutter, Traditionen, Erinnerungen und Gewohnheiten sind stärker als ihr Drang nach Freiheit.

Aber als der Vater ein befristetes Ausreisevisum erhält, weil sein Bruder in Deutschland schwer erkrankt ist, steht fest: Er kommt nicht wieder und will dann versuchen, die Familie nachzuholen. Doch plötzlich steht er wieder vor der Tür. „Es ging einfach nicht „, so sein lakonischer Kommentar.

atmosphärisch dicht

„Drei Kilometer“ lebt vor allem durch die Atmosphäre, die die 1990 in Nürnberg als Tochter von Banatdeutschen geborene Nadine Schneider zu schaffen versteht. Die Hitze, der Stillstand, die Hoffnungslosigkeit, aber auch die Geborgenheit, die das Dorf und die es umgebende Natur bieten. Dabei werden das Dorfleben und die Familie durchaus nicht nur als Idylle geschildert. Der Vater tötet äußerst brutal Annas Hund, generell wird mit Tieren nicht viel Federlesen betrieben. Und die Menschen gehen recht ruppig miteinander um. Auch die Armut und Tristesse im Dorf kommen sehr gut rüber. Durch den gelegentlichen Gebrauch banatdeutscher Wörter wie Weidling, Kukuruz oder Ciorba wird Lokalkolorit eingebunden.

Nadine Schneider ist mit „Drei Kilometer“ ein leiser, trotz des eher traurigen Themas sehr leichter Roman gelungen. Sehr atmosphärisch und poetisch, dabei aber völlig unsentimental und in der Sprache eher lakonisch erzählt sie ihre Geschichte in kleinen Szenen. Ein wirklich souveränes, schönes Debüt, das im Jahr der so erfolgreichen Debütromane (sieben landeten allein auf der Longlist des Deutschen Buchpreises) unbedingt noch mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Von mir gibt es auf jeden Fall eine unbedingte Leseempfehlung. Und die Jury des Debütpreises hat entschieden: Dies ist unser Debüt des Jahres 2019!

 

Auch Marina von Literatur leuchtet und Marion von Schiefgelesen waren in der Jury vertreten und haben das Buch besprochen

Ein Interview mit Nadine Schneider findet ihr auf dem Blog von Das Debüt

Meine Entscheidung zum Preis 

 

Beitragsbild: Darkone [CC BY-SA]via Wikimedia Commons

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Nadine Schneider - Drei Kilometer.

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Nadine Schneider – Drei Kilometer
Jund und Jung August 2019, 160 Seiten, gebunden, € 20,–

3 Gedanken zu „Nadine Schneider – Drei Kilometer

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