Monika Helfer- Die Bagage

Es beginnt fast wie ein Märchen: am Ende eines finsteren Tals im tiefen Bregenzerwald lebte einmal eine wunderschöne Frau. Diese Frau lebte mit ihrem feschen Mann in großer Armut auf kargem Grund. Die beiden hatten vier Kinder und waren trotz einiger Not eigentlich ganz zufrieden und glücklich. Sie lebten abseits vom Dorf und die Dorfbewohner, besonders die Frauen neideten ihnen ihr Glück und der Frau ihre Schönheit. Da der Mann aber stattlich, stark und fleißig war, ließen sie sie in Ruhe. Dann kam der Große Krieg und der Mann musste fort. Davon erzählt Monika Helfer in ihrem schmalen, aber nachhaltigen Roman „Die Bagage“.

„Bagage“, das ist im Französischen zunächst einmal das Gepäck, die Dinge, die man auf Reisen mit sich führt. Seit dem Dreißigjährigen Krieg wurde der Begriff auch für den Tross bezeichnet, der dem Heer begleitend nachreiste. Ein Teil der „Bagage“ waren damals die Familien der Soldaten. Und für Familienmitglieder wird „Bagage“ auch heute noch verwendet. Zumeist für missliebige.

eine familie im bregenzerwald

Auch bei Monika Helfer ist die Bagage die Familie, und zwar ihre eigene, über die sie in ihrer Autofiktion schreibt. Das schöne Paar, das unter so ärmlichen Bedingungen auf einem Hof mit nur zwei Kühen und einer Ziege, ohne fließendes Wasser und Stromversorgung lebt, waren ihre Großeltern Maria und Josef Moosbrugger. Für die Dorfbewohner waren sie die „Bagage“.

Die 1947 in Au im Bregenzerwald geborene Helfer hat beide nicht mehr kennenlernen können, da sie genauso früh gestorben sind wie später ihre Tochter Margarete, Monikas Mutter. Aber die Familie redete, meist eher nebenbei, über sie, besonders über die schöne Maria. Die war so schön, dass nicht nur alle Frauen des Dorfs eifersüchtig auf sie waren, sondern auch alle Männer ein  Auge auf sie geworfen hatten. Deswegen war es für Josef auch ein großes Anliegen, dass der Bürgermeister Gottlieb Fink, mit dem der tüchtige Josef das eine oder andere „krumme Ding“ gedreht hatte, in seiner Abwesenheit ein Auge auf seine Frau warf.

Klein-Fetan
Klein-Fetan via Wikimedia Commons

Von den drei jungen Männern, die das Bergdorf 1914 in den Krieg verlassen mussten, kehrte nur Josef zurück, zweimal auf Heimaturlaub und am Ende sogar lebend. Maria, die mit ihren Kindern Hermann, Lorenz, Walter und der „großen“ Katharina allein zurückblieb, gebar 1915 ein weiteres Kind, die kleine Margarete. Der Dorfklatsch machte einen deutschen Durchreisenden, Georg, zum Vater des Kindes, sogar der Bürgermeister, der, statt sich um Maria zu kümmern, diese zunehmend bedrängte, wurde als Vater gehandelt. Maria beteuerte ihre Treue, vergebens. Niemals hat Josef das kleine Mädchen anerkannt, nie das Wort an sie gerichtet, sie niemals auch nur wahrgenommen. Was das mit Margarete angerichtet haben mag, kann man sich nur vorstellen. Geredet hat sie nie darüber. Monika war elf Jahre, als ihre Mutter starb.

spurensuche

Aber es gab die Tante Katharina, Kathe, die Monika und ihre Geschwister zu sich nahm und die später, hochbetagt, über die Familie, über ihre Eltern, über die Zeit des Ersten Weltkriegs sprach. Und es gab eine lebendige, manchmal etwas zweifelhafte Verwandtschaft, die Onkel und Tanten. Was von den Geschichten, die kursierten, war die Wahrheit, was war Legende und was einfach nur Lüge? Erst spät befragt Monika Helfer ihre Tante und versucht, die Geschichte ihrer Familie zusammenzutragen.

Herausgekommen ist der gerade einmal 160 Seiten umfassende Roman „Die Bagage“, in dem Monika Helfer in ganz reduziertem Stil, mit klarer, lakonischer Sprache eine „Ordnung“ in die Familiengeschichte zu bringen versucht. Nebenbei ergründet sie Prägungen, die an nachfolgende Generationen weitergegeben werden, Muster, Ängste. Sowohl Maria als auch Margarete waren sehr jung gestorben und auch Helfers Tochter Paula wurde nur 23 Jahre alt.

Trotz der Kürze des Romans schafft die Autorin ungemein plastische Figuren, die man so schnell nicht vergisst, lässt ein karges Leben zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor unseren Augen entstehen, ohne eine falsche Idylle zu schaffen, aber auch ohne glückliche Momente ganz auszublenden. Dabei springt sie gekonnt in den Zeitebenen und zieht die Leser*in ganz tief hinein in ihre „Bagage“. Ein wunderbares Buch!

 

Monika Helfer hat ihre Familienerinnerungen fortgesetzt, hier findet ihr die Rezension zu Vati

 

Bei Lesen in vollen Zügen und Frau Lehmann liest findet ihr weitere Besprechungen.

Beitragsbild: Dorfstraße von Aresing, Franz von Lenbach via Wikimedia Commons

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Monika Helfer – Die Bagage

Hanser Verlag Februar 2020, gebunden, 160 Seiten, 19,00 €

5 Gedanken zu „Monika Helfer- Die Bagage

  1. Mir hat der Roman sehr gut gefallen. Mitte 50er Jahre wurde ich geboren, bin auf dem Land aufgewachsen. Das Denken, Fühlen und auch Schweigen einiger Menschen, wie im Roman beschrieben, hat mich sehr an diese Zeit meiner Kindheit erinnert. Erschütternd empfand ich das Frauenbild in dem Roman. Zum einen die eifersüchtigen Frauen des Dorfes wegen der Schönheit der „Heldin“ und auch die Männer, die sie teilweise nur als Objekt der Begierde gesehen haben. Dabei haben wir Frauen doch viel mehr in uns. Aber – auch dies hat mir gefallen – es gab mutige Menschen, Frauen wie Männer. Erstaunlich ist immer wieder, wie es einige Kinder, die in so schwierigen Verhältnissen aufwachsen, es schaffen einen Platz in der Gesellschaft zu finden.

  2. Ich finde diesen Roman großartig, vor allem, weil die Sprache diese Sprödheit, Schroffheit der Landschaft so gut wiederspiegelt, weil Monika Helfer es schafft, ganze Leben auszufächern, ohne alles auszuerzählen.

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