Drei Schwestern, die völlig verschieden sind. Zwei davon sind Zwillinge, die dritte deutlich jünger und besitzt – im Verlauf des Buches deutet sich so etwas an – vielleicht einen anderen Vater. Ein Familiengeheimnis und dazu noch ein wenig dunkle DDR-Geschichte – leider geht das Konzept von „Die Glasschwestern“ von Franziska Hauser für mich nicht auf.
Da sind zunächst einmal Dinge, die für die seriöse Besprechung eines Romans eigentlich keine Rolle spielen dürften. Die mir aber schon relativ früh Warnzeichen blinkten. Da wären einmal die Namen der Protagonist*innen: Dunja, Saphie, Lenka, Gilbhart, Winne und Jules. Wenn Autor*innen solche Namen wählen, dann wird meist eines damit signalisiert: hier haben wir es mit ganz besonderen, ganz besonders interessanten Menschen zu tun. Leider ist das aber keine der Figuren und dass sie dabei noch nicht einmal sympathisch sind, ist zwar auch kein seriöses Argument gegen die Geschichte, macht sie für die Leserin aber auch nicht besser genießbar.
„Die Geschichte zweier sehr verschiedener Frauen und ein Roman über die menschliche Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden.“
ein doppelter Todesfall
So verspricht es der Klappentext. Eines haben die Zwillingsschwestern Dunja und Saphie aber gemeinsam: Beiden stirbt am gleichen Tag völlig überraschend der Mann bzw. Ex-Mann, denn Dunja lebt schon einige Zeit getrennt von Winne. Dieser war Restaurator und stürzte bei der Arbeit vom Gerüst. Zu Leb- und Ehezeiten war er eher kein verlässlicher Partner, einer, der sich bei jeder Schwierigkeit aus dem Staub zu machen pflegte. Zurück lässt er die beiden fast erwachsenen gemeinsamen Kinder Augusta und Jules.
Saphie leitete mit ihrem Mann Gilbhart, bis dieser tot vom Hometrainer kippte, sehr erfolgreich das ihm vererbte Hotel im kleinen Heimatort an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Da es bei Dunja zur Zeit beruflich nicht so richtig läuft – weder ihre Schmuckschmiede noch der Unterricht Deutsch für Ausländer, den sie gibt, scheint sie ganz zufriedenzustellen – packt sie ihre Sachen in Berlin und zieht mit Augusta und Jules zu Saphie ins Hotel.
Gleich zu Beginn wird die Gegensätzlichkeit der beiden kurz vor ihrem 40. Geburtstag stehenden Schwestern herausgestellt und bis in die Kindheit zurückverfolgt. Dunja: künstlerisch-verträumt, eher zurückhaltend und in sich gekehrt, vielleicht ein wenig unsicher und unselbständig, Mutter in der Großstadt. Saphie: aufgeschlossen und fröhlich, zupackend, energisch und selbstbewusst, kinderlose Karrierefrau in der Provinz. Diese Gegenüberstellung ist genauso forciert wie der Einfall, die Ehemänner der am selben Tag geborenen Schwestern am gleichen Tag sterben zu lassen. Aber gut, der Autorin geht es hier weniger um eine glaubhafte Familiengeschichte, obwohl sie auch davon einiges einfließen lässt, als um eine Art Versuchsanordnung. Denn, der Klappentext verrät es, es geht hier auch um „die menschliche Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden.“
sich neu erfinden
In Richtung Mitte des Buchs vollzieht sich nun tatsächlich eine Wandlung bei den Schwestern, ausgelöst durch eine Reihe von Faktoren. Der wichtigste ist sicher die Ankunft der dritten Schwester, Lenka. Sie ist ein berühmter Popstar, natürlich mit dem entsprechenden Leben Leben, bestehend aus Sex, Drugs and Rock´n Roll. Wie ein Wirbelwind saust sie in die inzwischen eingespielte Gemeinsamkeit von Dunja und Saphie.
Der zweite Umbruchsfaktor ist, dass sich Dunja langsam in den alten Jugendfreund Jorge (der sie selbstverständlich nie vergessen hat) verliebt und sich hier ein neues Glück anzubahnen scheint.
Am grundlegendsten erschüttert wird die ganze Gemeinschaft aber durch ein Fernsehteam, das über Ausgrabungen in der Nähe zu berichten scheint, dabei aber ein altes Familiengeheimnis lüftet, das mit der DDR-Vergangenheit und der Nähe zur ehemaligen Grenze zu tun hat und die Familie ordentlich durchschüttelt und zu überregionaler Aufmerksamkeit führt.
War der erste Teil des Romans überwiegend aus Dunjas personaler Perspektive geschrieben, kippt das Ganze nun hinüber zu Saphie. Gleichzeitig tauschen die beiden Schwestern nahezu ihre Rollen, und zwar so unvermittelt und zumindest mir nicht recht nachvollziehbar wie ihre BHs (Saphie rot, Dunja blau). Dunja übernimmt energisch und entschlossen fast allein die Leitung des Hotels, während sich Saphie immer mehr in ihre (vorher gar nicht so spürbare) Trauer um Gilbhart zurückzieht.
wenig überzeugend
Wie gesagt, diese „Fähigkeit, sich neu zu erfinden“ ist Thema dieses Romans. Leider war mir diese Wandlung nicht einleuchtend genug entwickelt. Dazu kommen diffuse Träume, ein „gläserner Mann“, der immer wieder in ihnen vorkommt, ohne dass sich seine Bedeutung erschließen lässt. Leicht schräges Personal, wie das ständig zu spät kommende und stets über Männer schimpfende Zimmermädchen Lore oder der radebrechende afrikanische Student Nino an der Rezeption, soll Humor in die Geschichte bringen. Besonders die „Running gags“ – Saphies zu Beginn ständig hervorgestoßenes „Ach naja!“ oder – noch schlimmer – die stets scheiternden kulinarischen Experimente des Küchenjungen haben bei mir allerdings keine Heiterkeit hervorgerufen.
Dieses Buch ist für mich eindeutig eines der Kategorie „zu viel gewollt“. Schreiben kann die Autorin und hätte sie es bei ihrer Familiengeschichte belassen, hätte es sicher ein gutes Buch werden können. Die Glasschwestern heißen so, weil ihr Vater eine traditionelle Glasbläserei betrieb, bis er von den DDR-Behörden wegen versuchter Republikflucht ins Gefängnis gebracht wurde. Was dahinter steckte, Liebe, Konkurrenz, Neid, Verzweiflung, was es für die Familie bedeutet hat und immer noch bedeutet, hätte den Roman völlig ausgefüllt. Das „Familiengeheimnis“ hätte vielleicht einen wirklichen Platz in der Geschichte erhalten können, ohne unter den ganzen Konstruktionen fast völlig zu verschwinden. Aber das ist natürlich nicht das Buch, das Franziska Hauser mit „Die Glasschwestern“ schreiben wollte. Nur eines, das ich gern gelesen hätte.
Der BooksterHRO hat das Buch sehr gemocht. Seine Besprechung findet ihr hier, MonerlS hatte auch so ihre Probleme mit dem Buch
Beitragsbild: von Jana auf Pixabay
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Franziska Hauser – Die Glasschwestern
Eichborn Verlag Februar 2020, Hardcover, 430 Seiten, 22,00 €
2 Gedanken zu „Franziska Hauser – Die Glasschwestern“