Rebecca Makkai erfindet mit ihrem über 600 Seiten starken Roman „Die Optimisten“, der sowohl Finalist für den Pulitzer Prize als auch den National Book Award war, zahllose andere Preise gewann und auch in der deutschen Übersetzung von Bettina Abarbanell zumindest in der Blogger- und Bookstagram-Szene viel Begeisterung auslöst, sicher nicht das Rad neu. Sie zeigt aber wieder einmal, wie souverän amerikanische Autoren gut lesbare und gleichzeitig relevante große Romane schreiben. Und wie zögerlich die deutsche Literaturkritik im Feuilleton auf diese reagiert.
Gibt es tatsächlich in den Print- und Hörfunkmedien für das im März erschienene Buch, immerhin Pulitzer und National Book Award Finalist usw., tatsächlich nur eine einzige Besprechung? Gleichzeitig verwundert es, dass ein solch hochkarätiges Buch im doch recht kleinen (aber sehr feinen und rührigen) Eisele Verlag erscheint. Anscheinend tut sich das deutsche Verlags- und Kritikerwesen mit Thema, Umfang und/oder dem souveränen Hinweggehen über die hierzulande immer noch geführte Diskussion „E- oder U-Literatur?“ ein wenig schwer. Das Lesepublikum ist da zum Glück schon ein wenig weiter.
chicago, Boystown 1985
Rebecca Makkai lässt „Die Optimisten“ auf zwei Zeitebenen spielen. Die Handlung im Jahr 1985 f. ist dabei deutlich umfangreicher und vermutlich auch diejenige, um die es der Autorin vor allem ging. Handlungsort ist Chicago, genauer gesagt der Stadtteil Lakeview. Hier liegt das wegen seiner aktiven Schwulenszene „Boystown“ genannte Viertel. Zwei Jahre zuvor entdeckten Wissenschaftler in Paris ein neues Virus, das sie zunächst „lymphadenotropes Virus“ nannten und als Verursacher jener schweren, auf einen Immundefekt zurückzuführenden Lungen- oder Krebserkrankungen identifizierten, die seit Beginn der 1980er Jahre zuerst in den USA zahlreiche Opfer forderte.
Wir kennen das Virus mittlerweile als Humanes Immundefizienz-Virus (HIV), das die Acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS) durch Zerstörung des Immunsystems verursacht und bisher geschätzt 35 Millionen Menschen weltweit das Leben kostete. Heute ist eine Therapie (zumindest in Ländern, die sie sich leisten können) möglich. Und AIDS hat dadurch in den wohlhabenden Ländern ein wenig seinen Schrecken verloren. 1985 aber mussten die Menschen mitansehen, wie bestimmte Bevölkerungsgruppen reihenweise wegstarben. Das galt vor allem für die Schwulenszene.
Rebecca Makkai malt mit „Die Optimisten“ nun ein authentisches, atmosphärisches Stimmungsbild mitten aus der AIDS-Epidemie in den USA. Dafür erfindet sie eine Gruppe von Menschen, die in Chicagos Szene miteinander verbunden sind. Hauptprotagonist ist Yale, der für eine Galerie Spender akquiriert und mit dem Herausgeber eines queeren Magazins, Charlie, liiert ist. Die Handlung beginnt mit der Beerdigung eines gemeinsamen Freundes, Nico. Wie die meisten der Figuren, Charlies Mutter Teresa ist da eine wohltuende Ausnahme, hatte auch Nico seit seinem Coming-out und wegen seines offen schwulen Lebens große Probleme mit seiner Familie, die ihn quasi verstoßen hat. Nur seine Schwester Fiona hielt zu ihm und ist auch Teil des Freundeskreises von Yale und Charlie.
Optimisten
Die Handlung konzentriert sich nun darauf, wie das HI-Virus im Kreis der Protagonisten wütet, wie sie mit der Unsicherheit, der Bedrohung und Angst, der Trauer um ihre Freunde umgehen. Gleichzeitig sind das aber auch alles junge, lebenshungrige Männer, die sich teilweise der Gefahr auch nur unzureichend bewusst sind oder sie einfach ignorieren. Die Gesellschaft tut das neue Virus und die damit verbundenen schweren Erkrankungen zunächst nur als „Schwulenkrankheit“, religiöse Kreise sogar als „Strafe Gottes“ ab. Das gilt auch für einen anderen Kreis von besonders Betroffenen, die Drogenabhängigen.
Weit vor der Corona-Pandemie und den ganzen unguten Begleiterscheinungen geschrieben, erinnern doch manche Passagen unheilvoll an die heutige Situation.
„Wie kommen nicht immer weiter voran. Ich weiß, dass es sich im Moment so anfühlt, aber es ist eine fragile Situation. Vielleicht wirst du in fünfzig Jahren zurückblicken und sagen: Das war die letzte gute Zeit.“
Aber das Buch trägt seinen Titel ja nicht zu Unrecht.
„Optimisten wie wir haben schon etwas durchgemacht und stehen trotzdem jeden Tag auf, weil wir glauben, wir könnten verhindern, dass es noch einmal passiert. Oder wir tricksen uns einfach aus, um das zu glauben.“
Einen zweiten Aspekt legt Rebecca Makkai in „Die Optimisten“ auf die Arbeit von Yale. Die hochbetagte Nora, Tante von Nico und Fiona, möchte ihre private Sammlung an die Brigg Gallery, für die er arbeitet, übertragen. Zeichnungen von Amedeo Modigliani und seiner Lebensgefährtin Jeanne Hébuterne, von Tsuguharu Fujita und anderen Malern stammen noch aus der Zeit von Noras Parisaufenthalt. Sie saß einigen Künstlern als Modell und bekam einige Werke als Entlohnung. Die Familie sträubt sich natürlich gegen diese Spende. Die Leser*innen erhalten einen interessanten Einblick in die Galeriearbeit und den Kunstbetrieb.
paris, November 2015
Die zweite Zeitebene von „Die Optimisten“ siedelt Rebekka Makkai im Paris des November 2015 an. Fiona ist auf der Suche nach ihrer Tochter Claire, die nach einer Zeit bei einer obskuren Sekte verschwunden ist. Auf Facebook ist nun nach Jahren ein Foto aufgetaucht, das sie auf einer der Seine-Brücken in Paris zeigen könnte. Fiona nimmt Kontakt zu einem Privatdetektiv und zu ihrem alten Freund aus alten Tagen in Chicago, dem Fotograf Richard Campo auf. Durch die Begegnung mit diesem und seiner Ausstellung im Centre Pompidou wird sie an die 1980er Jahre und den Tod ihres Bruders und vieler Freunde erinnert. Gleichzeitig zu diese Suche ereignen dich die Novemberattentate.
Rebecca Makkai schafft es, interessante, authentische Figuren zu schaffen, denen man bald nahekommt und deren Wegen man als Leser*in gerne folgt, und das über mehr als 600 Seiten.
Dazu kommt ein erhellendes, berührendes Stimmungsbild aus dem zunächst aussichtslosen Kampf, der damals in den Anfangsjahren gegen AIDS geführt wurde. Unweigerlich fühlt man sich manchmal an den großartigen Film „Philadelphia“ mit Tom Hanks erinnert. Das ist packend, literarisch souverän und unglaublich gut lesbar. Ein, im besten Sinne des Wortes, Pageturner. Pulitzer, National Book Award und die englischsprachige Presse haben das erkannt und gewürdigt, die Leser*innen ebenso. Vielleicht wacht ja auch die Literaturkritik hierzulande noch auf.
Weitere Besprechungen auf Csillabouton, Buchrevier und Mikka liest
Beitragsbild: Chicago’s 16th Annual Gay & Lesbian Pride Parade, June 1985 Photograph by Alan Light / CC BY via Wikimedia Commons
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Rebecca Makkai – Die Optimisten
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bettina Abarbanell
Eisele Verlag März 2020, Hardcover mit Schutzumschlag, 624 Seiten, € 24,00
Es liegt bei mir noch auf dem Stapel, doch ich bin sehr gespannt darauf. Unter anderem hat es auch Elke Heidenreich beim Schweizer Literaturclub sehr empfohlen. Ich musst es mir kaufen, da es auch schon zuvor einige lobende Stimmen gegeben hat. Viele Grüße
Dann wünsche ich dir schöne Lesestunden damit. Elke Heidenreichs Auftritt habe ich gar nicht gesehen, dabei schaue ich den Literaturclub eigentlich so gerne. Muss ich in der Mediathek nachholen. Liebe Grüße!