Lektüre Mai 2020

Meine Lektüre im Mai 2020, nur kurz vorgestellt. Die Durchsicht der Verlagsvorschauen und ihre Präsentation, dazu einige andere nicht geplante Projekte haben einiges an Zeit gekostet. Ende des Monats startete auch für mich wieder der Präsenzunterricht – mit Mundbedeckung und zwei geteilten Lerngruppen parallel gar nicht so einfach. Vielleicht waren es deswegen etwas weniger Seiten, die ich gelesen habe? Die Qualität der Lektüre Mai 2020 allerdings stimmte – alles ganz tolle oder sogar großartige Romane.

Delphine de Vigan - DANKBARKEITENDelphine de Vigan- Dankbarkeiten

Eine alte Dame am Ende ihres sehr eigenständig geführten Lebens und eine Dankbarkeit, die sie nie aussprechen konnte.
Eine junge Frau, die sie aus Dankbarkeit begleitet.
Delphine de Vigan webt daraus ein Kammerspiel von großer Zurückhaltung und Wärme. Ihr geht es um die Würde, die in jedem Leben bis ans Ende steckt. Auch wenn das Alter den einen oder anderen Stolperstein dazwischen wirft.

„Alt werden heißt verlieren lernen. Heißt jede oder fast jede Woche ein weiteres Defizit, eine weitere Beeinträchtigung, einen weiteren Schaden verkraften müssen.“
Mich hat die Autorin mit ihrem schmalen Buch sehr erreicht.

 

Elizabeth Strout- Die langen Abende

Elizabeth Strout - Die langen Abende

„Olive, again“ – da ist sie wieder, Olive Kitteridge, die Protagonistin des 2009 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichneten Romans von Elizabeth Strout, „Mit Blick aufs Meer“, der nun mit „Die langen Abende“ einen würdigen Nachfolger erhalten hat. Lange haben die vielen Fans von Olive Kitteridge auf diesen Nachfolgeband gewartet.
Die Geschichten begleiten die Bewohner des kleinen Städtchens Crosby an der Küste von Maine, Olive und Jack Kennison über mehr als zehn Jahre, chronologisch fortschreitend, aber mit unregelmäßigen Zeitsprüngen. Einen eigentlichen, durchgehenden Plot gibt es nicht, aber einzelne Erzählfäden werden immer wieder aufgenommen, so wie auch das Erzählpersonal immer wieder auftaucht. Elizabeth Strout verfolgt sie in „Die langen Abende“ wie in langsamen Kameraschwenks. „Short cuts“ lässt grüßen.
Am Ende ist Olive Kitteridge weit über achtzig und lebt in dem von ihr oft so geschmähten Seniorenheim Maple Tree Apartments. Auf einer Schreibmaschine lernt sie, ihre Gedanken und Erinnerungen festzuhalten. Und gewinnt sogar eine neue Freundin.
Das Alter ist nicht schön, da macht Elizabeth Strout in „Die langen Abende“ ihren Leser*innen nichts vor. Sie schildert es realistisch, bitter, lakonisch. Aber immer ist auch ein Neuanfang möglich, es geht weiter. Und manchmal kann man sogar die Einsamkeit überwinden.
Was für ein wunderbares, anrührendes Buch ist Elizabeth Strout mit „Die langen Abende“ wieder gelungen. Scharfsinnig, komisch, empathisch. Und damit bereits jetzt eines der Lesehighlights des Jahres.

 

Rebecca Makkai: Die OptimistenRebecca Makkai – Die Optimisten

Über Die Optimisten von Rebecca Makkai wurde besonders auf Instagram schon viel Positives berichtet, ein Fall von gelungenem Marketing des Eisele Verlags. Ich fasse mich kurz : Das Lob ist sehr berechtigt.
Die Geschichte, wie das HIV-Virus in der Künstlerszene Chicagos in der 1980er Jahren wütete, geschnitten mit der heutigen Suche einer Mutter nach ihrer verschwundenen Tochter in Paris ist einfach gut geschrieben, unterhaltsam und zu Herzen gehend. Im besten Sinne ein Pageturner.

 

Felicitas Korn – Drei Leben langFelicitas Korn - Drei Leben lang

Felicitas Korn hat mit „Drei Leben lang“ einen überzeugenden Debütroman geschrieben. In seinem szenischen Aufbau verrät er die Drehbuchschreiberin. Plastisch geschilderte Figuren und eine atmosphärische Beschreibung von Frankfurt und dem Taunus ergänzen den Plot um drei scheinbar so unterschiedliche Leben, die auf überraschende Weise zusammenfinden.

 

 

Abbas Khider - Palast der MiserablenAbbas Khider – Der Palast der Miserablen

Die Geschichte einer Kindheit und Jugend im Irak. Eine Geschichte von Armut und Repressalien, von Krieg, Flucht und Diktatur, von Lebenswillen und Lebensfreude. Eine Liebeserklärung an die Literatur. All das hat der deutsche Autor Abbas Khider in einen trotz aller geschilderten Brutalität gar nicht so bedrückenden Roman, der sicher aus Khiders eigenen Erfahrungen mit seinem Geburtsland gespeist wurde, hineinfließen lassen. Ich habe das Ergebnis gern gelesen.

 

 

Richard Russo – Jenseits der ErwartungenRichard Russo JENSEITS DER ERWARTUNGEN

Gar nicht jenseits meiner Erwartungen, sondern diese genau erfüllend, hat mir der neue Roman von Richard Russo wieder ausgesprochen gut gefallen. Russo ist einer der großen US-amerikanischen Schriftsteller, die das „gewöhnliche“ Leben so wunderbar darstellen können. Die Anspruch und literarische Souveränität mit guter Lesbarkeit und hohem Unterhaltungswert mühelos verbinden. Hier ist es das Treffen von drei Collegefreunden, die sich nach 40 Jahren ein letztes Mal in einem Ferienhaus auf Martha´s Vineyard treffen. Zu Studienzeiten waren sie oft hier, zusammen mit Jacy, der Tochter aus wohlhabendem Haus, in die sie alle ein wenig verliebt waren. 1971, der Sommer nach ihren Abschlüssen, sollte der letzte sein, Jacy verschwand spurlos. Um ihre Leerstelle und die Frage nach ihrem Verbleib drehen sich die Gedanken der nun gealterten Männer. Und darüber, welche Chancen ihnen das Leben bot, wie sie sie genutzt haben, was jetzt noch bleibt. Eine große Leseempfehlung, die für alle Bücher von Richard Russo gilt.

 

Das war meine Lektüre im Mai 2020. Nun kommen schon die ersten Herbstneuheiten hereingetrudelt. Einen Blick in die Vorschauen habe ich bereits gewagt. Da kommt wieder viel Interessantes auf die geneigte Leser*in zu. Freut euch!

2 Gedanken zu „Lektüre Mai 2020

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