„Dove mi trovo“, Wo ich mich finde, betitelt die 1967 geborene Jhumpa Lahiri, Tochter bengalischer Eltern, in London und Rhode Island aufgewachsen, ihren ersten auf Italienisch geschriebenen Roman. Bereits 2015 erzählte sie in ihrem Essay „In altre parole“, wie sie sich in die italienische Sprache verliebte und wie diese ihr Schreiben beeinflusst. Seit 2011 lebt die Autorin mit Mann und zwei Kindern in Rom.
Nun wählt Jhumpa Lahiri für Wo ich mich finde eine Italienerin Mitte 40 als Erzählerin. Die bis zum Ende Namenlose hat die Großstadt, die nicht näher charakterisiert oder benannt wird, aber durchaus Rom sein könnte, nach eigenem Bekunden noch nie für längere Zeit verlassen. Fest verwurzelt scheint sie zu sein, im Gegensatz zu den Protagonisten in Lahiris früheren Erzählungen und Romanen, denen immer eine gewisse Heimatlosigkeit, der Verlust der Wurzeln eigen war. So wie Lahiris eigener Familie.
Fremde
Die Verwurzelung der Protagonistin täuscht allerdings. Auch sie ist vom Fremdsein geplagt. Wenn nicht in ihrem Land, in ihrer Stadt, so doch in ihrem eigenen Ich.
„Richtungslos, verloren, konfus, durcheinander, orientierungslos, verwirrt, verstört, entwurzelt, nutzlos, verschreckt. In diesen verwandten Begriffen finde ich mich wieder, das ist mein Wohnsitz, er besteht aus den Wörtern, die für mich die Welt bedeuten.“
Die Einzelgängerin lebt allein, unterrichtet an der Universität, hat immer wieder den einen oder anderen Liebhaber, fühlt sich sehr zum Mann ihrer Freundin hingezogen. Sie ist attraktiv, anziehend, hat eine alte Mutter im Seniorenheim und zahlreiche Freunde. Dennoch bleibt sie auch in der Begegnung mit diesen seltsam distanziert, passiv, still und genau beobachtend. Vielleicht liegt es daran, wie sie einmal bemerkt:
„Ich mochte mich selbst nicht.“
Woran dies liegen mag, kann die Leserin höchstens erahnen. Es ist von dem früh abwesenden Vater die Rede, von einer „störrischen Mutter“ mit häufigen Wutausbrüchen, vom Doppelleben eines Geliebten. Die Erzählerin richtet sich in ihrem Leben wie in ihrem Fremdsein ein, aber nicht nur ihr Büro erscheint wie eine „Transitzone“. Zum Halt umgibt sie sich mit zahlreichen Routinen, der regelmäßigen Maniküre, dem Schwimmbadbesuch, dem Glas Wasser in der Bar um die Ecke, dem jährlichen Kauf eines Notizbuchs.
Alltagsszenen
Jumpha Lahiri begleitet sie dabei in kleinen Alltagsszenen, in Splittern ihrer Existenz, in 46 kurzen Kapiteln. „Auf der Straße“, „in der Buchhandlung“, „im Schatten“ und immer wieder „im Stillen“ – Wo ich mich finde. Fraglich bleibt dabei, ob sich die Erzählerin überhaupt irgendwo selbst findet, sich selbst nahe kommt.
„Ich stehe nicht still, sondern bin in ständiger Bewegung, in ständiger Erwartung, anzukommen oder zurückzukehren oder wegzugehen. (…) Gibt es einen Ort, an dem wir nicht auf der Durchreise sind?“
Eine Handlung oder auch nur einen deutlichen Diskurs sollte man von diesem feingliedrigen, schwebenden Buch nicht erwarten. In ihrer kurzen und klaren Prosa, in ihrem gleichsam kühlen wie intensiven (Selbst)Beobachten erinnerte mich Jhumpa Lahiri mit Wo ich mich finde sehr an Texte von Rachel Cusk. Ihr Erzählen ist so melancholisch wie klaglos. Es unterscheidet sich sehr vom Ton ihres mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Erzählbands Melancholie der Ankunft und ihren bisherigen Romanen wie Tiefland. Mag sein, dass das vom Wechsel der Erzählsprache herrührt. Mich hat es sehr fasziniert.
Marina hat auf Literatur leuchtet einen Beitrag zum Buch veröffentlicht und auf dem Blog Sätze und Schätze gibt es eine weitere Rezension von Viktoria Eckel
Beitragsbild von djedj auf Pixabay
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Jhumpa Lahiri – Wo ich mich finde
übersetzt von: Margit Knapp
Rowohlt Mai 2020, 160 Seiten, gebunden, € 20,00
Liebe Petra,
witzig. Ich habe es auch gerade mit großer Begeisterung gelesen und mein Beitrag kommt morgen. Ich werde dich gleich noch verlinken.
Viele Grüße
Liebe Petra,
das muss ich Veronika Eckl gleich mal zuleiten. Zwei Leserinnen, zwei Lesarten. Vermutlich berührt dieses Buch auch ganz elementar die Sinne und Persönlichkeit der Lesenden.
Liebe Grüße, Birgit
Mir ging es genau wie Petra. Wunderbares Buch!