Darf man einer Autorin vorwerfen, offensichtlich alles richtig gemacht zu haben? Ist es kritikwürdig, dass im neuen Roman von Lily King alles zu gut passt, er den Leserinnen zu sehr aus der Seele spricht, zu sehr gewisse Erwartungen erfüllt? Writers & Lovers ist nach eigener Aussage der „Roman, den ich als Zwanzig- und Dreißigjährige so schmerzlich vermisst hatte“, den Lily King vor dreißig Jahren selbst gerne gelesen hätte. Und da sich die Zeiten in manchen Dingen leider so wenig geändert haben, ist es wohl auch der Roman, den heute viele (nicht nur Zwanzig- und Dreißigjährige) gerne lesen möchten.
Welche passionierte Leserin kennt nicht den Traum vom kreativen Schriftstellerleben? Romantisiert nicht das karge, aber selbstbestimmte, der Leidenschaft des Schreibens gewidmete Leben der (noch) erfolglosen Poetin? Und welche Frau ist in ihrem Leben noch nicht unzähligen ignoranten, arroganten, abschätzigen, von ihrer eigenen Größe überzeugten Männern begegnet und hat unter ihnen gelitten? Weiß nicht von der männlichen Dominanz gerade auch im Literaturbetrieb, hat nicht schon den einen oder anderen Frosch geküsst, nur um festzustellen, dass hinter dieser recht verkorksten Amphibie nicht der erhoffte Prinz steckt?
Ein modernes Märchen
Was Lily King in Writers & Lovers über ihr jüngeres Alter Ego, die 31jährige Camila Peabody, genannt Casey, zu erzählen hat, ist ein modernes Märchen. Auch wenn es auf autobiografischen Erlebnissen beruht, ist es das Märchen vom vielleicht nicht hässlichen, vielleicht nicht untalentierten, aber doch zunächst recht glücklosen Entlein, das aber trotz aller Widerstände und Entmutigungen nicht aufgibt.
Das Entlein Casey lebt unter äußerst prekären Bedingungen in einer alten umgebauten Garage auf dem Grund eines ehemaligen Freundes ihres Bruders. Um die Miete noch ein wenig zu drücken, führt sie regelmäßig dessen Hund aus und lässt seine Herablassungen über sich ergehen. In ihrer spartanischen Unterkunft schreibt sie seit dem Ende ihres Studiums an einem Roman. Für den Lebensunterhalt kellnert sie im exklusiven Restaurant Iris. Weite Teile des Erzählten handeln von ihrem Job und dem Verhältnis zu ihren Kolleginnen. Das ist durchaus amüsant, man liest das gern.
Dort lernt sie auch den bekannten Schriftsteller Oscar Kolton kennen, der nach dem Krebstod seiner Frau mit den beiden kleinen Söhnen allein lebt. Casey hat gerade selbst eine recht unschöne Trennung hinter sich. Und auch Silas, der angehende Schriftsteller, den sie auf einer Lesung kennenlernt, erweist sich als eher schwieriger Fall. Deshalb lässt sie sich trotz eines gewissen Altersunterschieds und nicht gerade überschäumender Leidenschaft auf Oscar ein, ist aber hin- und hergerissen. Durch den Tod der geliebten Mutter befindet sie sich in einem emotionalen Tief, Ärzte übermitteln ihr besorgniserregende Befunde, zudem drücken sie die Schulden des Studiums. Ihr Vater ist leider ein Totalausfall. Eine gewisse Sehnsucht nach Stabilität und Sicherheit ist da verständlich. Aber was ist mit den Gefühlen?
Von Männern und Fröschen
Die Männerfiguren in Writers & Lovers sind durch die Bank problematisch. Sie sind schwierig und ich-bezogen. Es sei denn, sie sind schwul, dann sind sie empathisch und loyal. Wie natürlich die beste Freundin, auf die immer und überall Verlass ist. Die Frauen-Netzwerke funktionieren. Am Ende erweist sich dann selbst einer der Männer-Frösche als so etwas wie ein Prinz. Und überhaupt das Ende! Hier fügt sich alles bestens. Und trotz der vielen Tiefen und wenigen Höhen, die Casey im Roman durchschreiten muss, trotz all der Widerstände wird am Ende alles gut.
Es ist, wie gesagt, ein Märchen, inklusive der Prüfungen des Schicksals, dem tapferen Aschenputtel, den guten Gefährten und der bösen Stiefmutter. Und das soll es auch sein. Ein feministisch angehauchtes Buch, das Frauen ermutigen soll, ihren Weg zu gehen, trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten. Das ist zutiefst sympathisch. Und es ist ein für die Autorin wahr gewordenes Märchen. Lily King wird wie mit Euphoria auch mit Writers & Lovers großen Erfolg haben. Das Buch liest sich gut, ist kurzweilig und amüsant. Es hat eine Message und ein Anliegen, genau die richtige Balance von Melancholie und Heiterkeit, von Sozialkritischem (die Schuldenfalle, die fehlenden Sozialversicherungen in den USA) und Persönlichem (Trauer, Liebe, Job). Es ist passgenau das Buch, das sich viele Leserinnen wünschen. Darf man ihm das vorwerfen? Doch, ich denke, ja. Wenn dabei etwas so Kalkuliertes, Erwartbares und dadurch letztendlich Banales herauskommt. Das kann Lily King eigentlich besser.
Eine Empfehlung als angenehme Sommerlektüre gibt es dennoch von mir.
Andere Besprechungen findet ihr bei Letteratura, Buch-Haltung und Nacht und Tag-Blog
Beitragsbild: von Benjamin Balazs auf Pixabay
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Lily King – Writers & Lovers
übersetzt von Sabine Roth
C.H.Beck Juli 2020, gebunden, 319 Seiten, € 24,00