Romane, in deren Zentrum ein Haus steht, sind so selten nicht. Ich denke da beispielsweise an das großartige „Heimsuchung“ von Jenny Erpenbeck. Und selbst solche, in denen die Erzählstimme selbst zumindest teilweise von einem Haus übernommen wird, gibt es bereits (u.a. „Heimflug“ von Brittany Sonnenberg). Auch der 1969 geborene Autor Andreas Schäfer wählt für seinen neuen Roman „Das Gartenzimmer“ eine 1909 erbaute Villa im Südosten Berlins, man könnte Dahlem vermuten, als Mittelpunkt. Die Straße, in der sie Schäfer platziert ist genauso fiktiv wie ihr junger Architekt Max Taubert, dessen Erstlingswerk sie ist, und die Bewohner. Aber dennoch gibt es Vorbilder aus der realen Welt.
Und so hat ein findiger Kritiker der SZ das inspirierende Haus als die Villa Riehl in Babelsberg identifiziert. Architekt: Mies van der Rohe. Und auch der berühmte Architekt der Moderne hat dem Roman-Architekten Taubert wohl bei einigem Pate gestanden (auch wenn der Name ein wenig an den Berliner Architekten Max Taut erinnert).
Die Villa Rosen
Die hundertjährige Geschichte der Villa Rosen beginnt im Jahr 1909. Der Philosoph Adam Rosen und seine Frau Ella erwerben das eigenwillige Hanggrundstück in der Nähe des Grunewalds und seiner Seen, an deren Ufern einst der gemeinsame Sohn Richard ums Leben gekommen ist. Was genau damals geschehen ist, wird nicht ganz deutlich, aber Polizisten spielten beim Tod des jungen Mannes eine unschöne Rolle, weswegen Ella eine Phobie gegen Uniformen jeder Art besitzt.
Als Architekten wählt das Ehepaar den jungen Max Taubert, der bisher vor allem bei funktionellen Großprojekten mitgearbeitet hat und nun einen anspruchsvollen Entwurf vorlegt, der eine klassische, repräsentative Bauweise mit der sachlich-schlichten Moderne verbinden will. Zentrales Element ist dabei die großzügige Halle und das titelgebende Gartenzimmer.
Schon bald entwickelt sich die Villa Rosen zum Mittelpunkt eines illustren Kreises von Professoren, Künstlern und Wissenschaftlern, unter ihnen der Maler Max Liebermann, der Politiker Walther Rathenau und Mitglieder der berühmten Familie Cassirer. Alle verewigt im Gästebuch. Trotzdem werden die Rosens nicht wirklich heimisch in ihrem Haus. Ende der 1920er Jahre stirbt Adam Rosen und Ella lebt fortan alleine dort.
Auch Max Taubert fasst nicht wirklich Fuß in der Architektenwelt. Den neuen Machthabern nach 1933 versucht er sich anzudienen, was aber nicht recht gelingt. Für sie gilt er als Anhänger der geschmähten Moderne. Nachdem sich auch Alfred Rosenberg, der Chefideologe der NSDAP nicht überzeugen lässt, emigriert Taubert nach Amerika, wo er als Brückenbauer reüssieren wird. Von seiner Frau Lotta, einer Freundin von Ella Rosen, und den beiden Töchtern lebt er schon lange getrennt.
Das Gartenzimmer erhält in den letzten Kriegsjahren noch einmal eine besondere Bedeutung, die hier nicht verraten werden soll. Der Roman bekommt dadurch etwas Schauriges.
Die Villa Rosen heute
Neben dieser 1908 bis 1945 spielenden Zeitebene bringt Andreas Schäfer auch die Gegenwart ins Spiel. Hier findet das zentrale Ereignis an einem Tag im Mai 2001 statt. Die Villa ist mittlerweile im Besitz der aus Karlsruhe stammenden Eheleute Hannah und Frieder Lekebusch, die hier mit ihrem achtzehnjährigen Sohn Luis leben. Frieder ist mit seinem Pharmaunternehmen mit der Herstellung von Generika, also Medikamenten, die erprobte Wirkstoffe nach Ablauf der Patentrechte kostengünstig kopieren, zu Geld gekommen. Hannah, die als Zahntechnikerin in Berlin keinen Arbeitsplatz finden konnte, tobt sich nun bei der Ausstattung und Pflege des mittlerweile denkmalgeschützten Hauses aus. Besonderer Stolz ist das Gästebuch der Villa Rosen, das sie stolz auf den privaten Führungen durchs Haus präsentiert.
An jenem Tag im Mai, der im Roman eine Schlüsselposition einnimmt und dessen Geschehen neben den recht gestrafften übrigen Kapitel viel Raum erhält, findet ein Fest in der Villa Rosen statt. Auch die Presse ist mit dem berühmten Kunstkritiker Julius Sander vor Ort, die Sängerin Xenia singt moderne Lieder statt dem vereinbarten Schumann und Sohn Luis verliebt sich in die Tochter der brasilianischen Reinemachfrau. Und auch sonst kommt in der Familie Lekebusch so einiges ins Rutschen. Der Roman endet 2013 und da spricht – ja wer? Das Haus, der Geist des Hauses?
Ein Hauch Grusel
Andreas Schäfer verschränkt die Kapitel von Das Gartenzimmer ineinander, jedes ist mit der Jahreszahl überschrieben, was die Orientierung erleichtert. Zentrum ist die Zeit der Nazi-Diktatur, auf die die Vergangenheitserzählung zuläuft und die auf die Gegenwart ihre Schatten wirft. Die beiden Teile sind sprachlich sehr authentisch differenziert und souverän erzählt. Die Verflechtung gelingt aber meiner Meinung nach weniger gut. Während die ab 1908 spielenden Abschnitte interessant und fesselnd sind, ist die Geschichte der Familie Lekebusch recht langweilig. Weshalb beide zusammen erzählt werden müssen, wird nicht ganz deutlich. Sicher, es sind die Schatten der ungeheuren Vorgänge, die auf Haus und Bewohnern lasten, ein wenig Grusel wird da heraufbeschworen, besonders Luis scheint die negative Aura zu spüren. Aber sehr zwingend ist das nicht. Und die Vorgänge im Gartenzimmer 1943 bis 1945 sind für mich der schwächste Part des Romans. Wenig glaubwürdig und mangelhaft eingebunden, wird da schnell noch ein bisschen Nazischrecken untergerührt.
Also ein durchaus durchwachsenes Fazit: Andreas Schäfer verschränkt in Das Gartenzimmer Architektur- und Familienroman, mischt ein wenig Zeitgeschichte unter und tupft ein bisschen Grusel dazu. Das liest sich gut, ist sprachlich gelungen, mal mehr, mal weniger interessant. Ein wirklich gelungener Roman ist es nicht, dafür rundet sich hier zu wenig.
Marius von Buch-Haltung mochte das Buch sehr, Marina von Literatur leuchtet sah es kritisch
Beitragsbild: Haus Riehl by Folkerts Architekten / CC BY-SA via Wikimedia Commons
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Andreas Schäfer -Das Gartenzimmer
Dumont Juli 2020, gebunden, 352 Seiten, € 22,00
Es hat mir Freude gemacht, Ihren Blog zu lesen.
Das freut mich. 🙂
Ach, was bin ich froh, dass du es ähnlich siehst. Ich dachte schon, ich bin die Einzige, die daran was auszusetzen hat. Und du zählst ja die gleichen Punkte auf.
Viele Grüße!