„Ach, Queenie“, nicht nur einmal entfuhr der Leserin des Debütromans von Candice Carty-Williams dieser Stoßseufzer. Queenie, die 25 jährige Protagonistin des bei den British Book Award als Book of the Year ausgezeichneten Erstlings sucht ihren Platz im Leben. Und stellt sich dabei nicht nur äußerst ungeschickt, sondern auch selbstzerstörerisch an. Letzteres verbietet auch eigentlich den von der britischen Presse herangezogenen Vergleich, den einer „Schwarzen Bridget Jones“ nämlich.
Ein paar Komponenten haben Queenie und Bridget tatsächlich gemeinsam – junge Frau, Probleme mit Männern, loyaler Freundeskreis und eine Protagonist:in namens Darcy. Aber da hören die Übereinstimmungen auch schon wieder auf. Während sich nämlich Bridget Jones mehr oder weniger tapsig und privilegiert zwischen zwei Männern, die es mehr oder weniger ehrlich mit ihr meinen und sie mit Respekt behandeln, bewegt, sieht das bei Queenie doch ganz anders aus. Die Männer behandeln sie als Sexobjekt, als exotischen Körper. Viele Frauen nehmen sie nicht richtig ernst. Dabei ist sie eine durchaus taffe junge Frau. Sie ist die erste in ihrer weitverzweigten Britisch-Jamaikanischen Familie, die einen Collegeabschluss und einen Vollzeitjob besitzt. Der Kulturteil der Londoner Zeitung The Daily Read zahlt ihr zwar nicht besonders viel, aber die Arbeit macht Spaß und hier hat sie auch eine ihrer besten Freundinnen gefunden, ihre Kollegin Darcy.
Krise
Im Moment befindet sich Queenie in einer tiefen Krise. Ihr langjähriger Weißer Freund Tom hat sich von ihr getrennt. Und wie das feige Männer gerne machen, diese Trennung zunächst als Auszeit deklariert. Und auch wenn Queenie Knall auf Fall die gemeinsame Wohnung verlassen muss, redet sie sich immer noch ein, dass alles schon wieder in Ordnung käme. Zunächst schlüpft sie bei den Großeltern unter, beides recht eigenwillige Charaktere. Sparsamkeit und Sauberkeit sind ihnen oberstes Gebot. Und ein wenig beginnt die Leserin zu ahnen, woher Queenies Ruppigkeit und ihre Unfähigkeit, sich anderen ganz zu öffnen – beides Dinge, die Tom ihr vorgeworfen hat – kommen könnten. Die Großeltern sind ihr durchaus zugetan, kümmern sich rührend, aber Herzlichkeit, Wärme oder Verständnis sind hier nicht zuhause.
Und von ihren Eltern hat Queenie auch nichts zu erwarten. Ihr Vater ist schon lange über alle Berge und Mutter Sylvie, viel zu jung schwanger geworden, ließ ihre damals erst 11jährige Tochter beeinflusst von einem zwielichtigen Typen, der sie schließlich auch noch um ihr ganzes Geld brachte, ganz allein in der gemeinsamen Wohnung zurück bis die Großeltern sie zu sich nahmen. Von diesem Kindheitstrauma, nicht gewollt zu sein, verstoßen zu werden, rührt Queenies fehlendes Selbstwertgefühl her. Und nun hat sie auch noch Tom verlassen, ihre große Liebe.
Flucht
In der Folge versucht Queenie, die Endgültigkeit der Trennung zu verdrängen, den Kopf hoch zu behalten – sich hängen lassen war im Haus ihrer Großeltern nie eine Option – und trifft eine ganze Reihe von falschen Entscheidungen, vor allem solche, die Männer betreffen. Eine toxische Begegnung folgt der nächsten, alle nach dem gleichen Schema, alle mit Weißen. Queenie redet sich ein, selbst zu bestimmen, den lieblosen Sex zu wollen. Dabei merkt jeder auch nur rudimentär empathische Mensch, dass Queenie eigentlich Nähe und Anerkennung sucht. Und sich mehr und mehr nur noch als Körperöffnung fühlt.
Das alles hat auch Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihre Arbeit. Dort trödelt sie zunehmend und wird abgemahnt, schließlich suspendiert. Zum Glück hat sie gute Freundinnen, die sie im Whatsapp-Chat „Die Corgis“ immer wieder aufbauen.
Witzig und tieftraurig
Der schnodderige Ton, in dem Queenie mit viel Selbstironie von sich erzählt führt zu viel Witz, das Buch ist teilweise wirklich schreiend komisch. Aber das hält nie lang an, dann bleibt der Leserin das Lachen im Halse stecken und sie fragt sich: Was machst du denn jetzt wieder Queenie? Ihre Geschichte ist trotz der Komik tieftraurig, tragisch und bitter. Die Verletzungen der Kindheit und die Kerle, die sie immer nur als exotische Bettgeschichte betrachten prägen ihr Leben, ohne dass sie daraus die richtigen Lehren zieht. Als erfolgreiche Schwarze Britin fühlt sie sich oft zwischen allen Kulturen, gehört nicht mehr ganz zu ihrer Jamaica-Familie, aber schon gar nicht zu den hippen, urbanen Weißen, die ihr altes Viertel Brixton zunehmend gentrifizieren.
Der allgegenwärtige Rassismus dieser vermeintlich Liberalen – ob Toms Familie über die künftigen Kinder phantasiert („deine schöne, glatte Haut, Queenie, aber heller, Toms schmale Nase“), ob ihr wildfremde Frauen ständig in die Haare fassen oder sie permanent auf ihren kurvenreichen, exotischen Körper reduziert wird – ist natürlich „nie so gemeint“, Queenie soll sich doch bitte nicht so anstellen.
Dieses ganze Umfeld, die aufkommende Black Live Matters-Bewegung, Queenies krasser Mangel an Selbstwertgefühl – das unterscheidet das Buch doch ganz deutlich von der viel harmloseren Bridget Jones. Bei Queenie von Candice Carty-Williams geht es in allen Bereichen zur Sache. Das ist politisch, das ist tieftraurig, das macht wütend und ist nicht zuletzt sehr witzig. Eine tolle Mischung. Und am Ende geht es nicht wie bei so vielen ähnlichen Romanen darum, „Mr. Right“ zu finden, sondern sich selbst. Eine große Leseempfehlung!
Beitragsbild von pxhere
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Candice Carty-Williams – Queenie
Übersetzt von Henriette Zeltner-Shane
Blumenbar August 2020, Gebunden mit ausklappbarem Vorsatz, 544 Seiten, 22,00 €
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