Lektüre September 2020

Meine Lektüre im September 2020 war wieder sehr gemischt. Ein sehr gehypter Titel hat mich eher enttäuscht. Aber das war fast vorhersehbar. Gute internationale Kritiken für Sally Rooneys Normale Menschen und eine Longlistplatzierung für den Man Booker Prize haben mich dennoch verleitet, das Buch zu lesen. Ein Ärgernis war es nun gerade nicht, aber doch eher unbedeutend.

Ein bei uns fast unbekannter, in Irland aber fast auf einer Stufe mit dem großen James Joyce stehender Autor wollte von mir entdeckt werden. Ehrlich gesagt, konnte er mich aber kaum erreichen. Auch wenn der Text durchaus Stärken besaß.

Sehr angetan war ich vom Buchpreis-Kandidat Thomas Hettche und auch Queenie konnte mich bezaubern. Ein Roman von Sorj Chalandon und einer von Alexa Hennig von Lange haben mich auch weitgehend überzeugt. Während ein von mir sehr geschätzter Autor hinter meinen Erwartungen zurückblieb.

Aber nun zur Lektüre im September 2020 im Einzelnen:

Candice Carty-Williams – QueenieCandice Carty-Williams Queenie

Ein Buch, das von der Aufmachung und vom flappsig-lockeren Ton der Ich-Erzählerin erst einmal als Chicklit daherkommt und auch als „Schwarze Bridget Jones“ beworben wird. Ja, es geht um eine junge Frau, sie hat Probleme mit den Männern, tolle Freunde und jede Menge Sex. Dahinter steckt aber ein verunsichertes Mädchen, das massiv mit Alltagsrassismus, vor allem der sexualisierten Form, im doch so liberalen London zu kämpfen hat, das mit Verletzungen aus der Kindheit ringt und seinen Platz im Leben noch nicht gefunden hat. Das aber dazu erzogen wurde, immer den Kopf hoch zu tragen. Und die das irgendwann einfach nicht mehr schafft. So manches Mal bleibt einem das Lachen im Hals stecken, so maches Mal entfährt einem ein Seufzer. Ach, Queenie!
Wunderbar, dass das Ziel und Ende dieses Buch nicht das Finden von „Mr.Right“ ist, sondern des eigenen Platz im Leben. Schönes Buch!

 

Thomas Hettche – HerzfadenThomas Hettche - Herzfaden

Mein erster Titel von der Shortlist des diesjährigen Deutschen Buchpreis und gleich ein Volltreffer. Ein auch optisch sehr ansprechendes Buch: zweifarbiger Druck, Illustrationen, roter Leineneinband, Silberdruck auf dem Cover. Auch inhaltlich bezaubert Herzfaden. Es erzählt die Geschichte der Augsburger Puppenkiste, die auch eine Geschichte der deutschen Kriegs- und westdeutschen Nachkriegszeit ist. Walter Oehmichen gründete seinen Puppenschrein als Familienunternehmen, Tochter Hannelore wurde bald als Puppenschnitzerin und Spielerin die bestimmende Kraft. Auch in der Auswahl der gespielten Stücke, die zu Beginn ausschließlich Märchen umfasste. Durch Einbeziehung moderner, Kinder wie Erwachsene ansprechender Geschichten wie Der kleine Prinz und durch Nutzung des neuen Mediums Fernsehen wurde Die Augsburger Puppenkiste zu einer Generationen prägenden Institution. Thomas Hettche verwebt ihre Geschichte mit der Deutschlands und bettet sie in eine fantastisch-märchenhafte Rahmenerzählung. Vollkommen zurecht auf der Shortlist des Dbp gelandet.

 

Alexa Hennig von Lange – Die WahnsinnigeAlexa Hennig von Lange DIE WAHNSINNIGE

Alexa Hennig von Lange hat sich für ihren neuen Roman eine spannende historische Figur gewählt. Nicht spannend in der Hinsicht, dass sie groß in Erscheinung getreten wäre, umwälzende Ereignisse in Gang gesetzt hätte. Es ist die Tragik hinter Johanna I. von Kastilien, Léon und Aragon. Einzig Spielball ihrer ehrgeizigen Eltern, der „katholischen Könige“ Isabella und Ferdinand, bekannt durch gnadenlose Reconquista und Inquisition, aber auch durch die Förderung von Christoph Columbus. Und ihres Mannes Philipp des Schönen, Herzog von Burgund.
Eigenwillig, intelligent und vor allem nicht so glaubensstreng wie ihre Eltern, wird sie von ihrer Mutter früh in die Nähe des Wahnsinns gerückt. Eine Strategie, die ihr machtgieriger Vater und Gatte nach dem Tod Isabellas gerne weiterverfolgen.
Schwierig ist bei den meisten historischen Romanen, den handelnden Personen die Psychologie von heute überzuziehen. Auch Die Wahnsinnige ist davor nicht gefeit. Wichtiger ist der Autorin, Parallelen und Kontinuitäten zum Heute zu entwickeln. (Männliche) Unterdrückungsmechanismen, Schwierigkeiten der weiblichen Selbstentfaltung. Auch legitim. Stört meine innere Historikerin auch nur am Rande. Ich bin so auf eine interessante historische Figur aufmerksam geworden. Und habe ein gutes Buch gelesen.

 

Sorj Chalandon – Wilde FreudeSorj Chalandon Wilde Freude

Vier Frauen, die der Zufall und eine erschreckende Diagnose zusammenführt: drei von ihnen sind Patientinnen der onkologischen Station einer Pariser Frauenklinik. Alle sind enttäuscht von den Männern, alle beklagen auf die eine oder andere Art den Verlust eines Kindes. Als eine von ihnen durch eine akute Notlage Geld benötigt, viel Geld, fassen sie einen tollkühnen Plan. Empathische, sehr berührende Krankheitsgeschichte und rasante Gaunerkomödie – Sorj Chalandon vereint beides gelungen.

 

 

David Grossman - Was Nina wussteDavid Grossmann – Was Nina wusste

Der israelische Autor David Grossman erzählt eine unglaubliche, aber auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte dreier Frauen einer Familie: Großmutter Vera,  während des zweiten Weltkriegs mit Ehemann Milos bei Titos Partisanen aktiv, muss sich, als dieser 1951 als vermeintlicher Stalinist verhaftet wird und sich im Gefängnis das Leben nimmt, entscheiden: sagt sie sich von ihrer großen Liebe, dem toten Milos los und rettet ihre Freiheit, oder bleibt sie ihm treu und verliert durch die Inhaftierung ihre sechsjährige Tochter Nina. Eine Entscheidung, die für alle Beteiligten weitreichende Folgen hatte, selbst für Ninas Tochter Gili. Zum 90. Geburtstag treffen die Frauen nach langer Zeit wieder zusammen. Eine Reise auf die Gefangeneninsel Goli Otok soll zur Klärung ihrer Beziehungen beitragen. Das allein ist eine berührende, dramatische Geschichte, David Grossman belässt es aber leider nicht dabei, sondern fügt weitere spektakuläre Motive und einiges an Pathos bei. Das ging für mich auf Kosten der Glaubwürdigkeit und war mir am Ende dann viel zu viel.

 

Sally Rooney – Normale MenschenSally Rooney Normale Menschen

Gespräche mit Freunden von Sally Rooney hat mir seinerzeit recht gut gefallen. Normal People sollte noch viel besser sein und stand auch auf der Longlist des Booker Prize. Hätte ich das Mediengedöns, das mit der deutschen Veröffentlichung verbunden war, schon vorher mitbekommen, hätte ich das Buch sicher gar nicht in Erwägung gezogen. Und tatsächlich war es in erster Linie aufgeblasen. Eine recht unbedeutende Teenagergeschichte, eine On-Off-Beziehung zwischen zwei aus sozial unterschiedlichen Kreisen stammenden Literaturstudenten am Dubliner Trinity College. Weitgehend uninteressant, sprachlich nichts Besonderes und dass das ein authentisches Porträt der Generation Y sein soll, will ich nicht hoffen. Das Schönste ist eigentlich das Cover, das gefällt mir recht gut.

 

Máirtín Ó Cadhain: Die Asche des TagesMáirtín Ó Cadhain – Die Asche des Tages

Ein irischer Autor, der in seinem Heimatland hoch geschätzt wird, bei uns aber kaum bekannt ist. Wahrscheinlich, weil er auf Irisch veröffentlicht, das eine weitaus kleinere Übersetzerszene besitzt als das Englische. Vielleicht liegt es aber auch an Inhalt und Ton des Erzählten, die auch für mich nicht sehr zugänglich waren.

N.s Frau ist tot und liegt aufgebahrt zuhause, versorgt von ihren Schwestern. Und was macht N.? Das ist skurril und könnte interessant oder sogar witzig sein. Anstatt sich nämlich um die Beerdigungsangelegenheiten zu kümmern, treibt sich N. in der Stadt herum. Er geht ins Büro, trinkt (wie könnte es in einem irischen Roman anders sein), setzt auf der Rennbahn aufs falsche Pferd, geht ins Kaufhaus, lässt sich dort seine Brieftasche klauen, versucht, mit einer Frau anzubändeln (!), ergeht sich in Tiraden gegen seine Schwägerinnen und tut sich auch sonst recht leid. Prokrastination ist ein ernstes pathologisches Problem, aber er ist auch ein wahrlich unangenehmer Zeitgenosse, zumal ihm jegliches Gefühl der Trauer, Zuneigung oder auch nur Mitgefühl mit seiner gerade verstorbenen Frau fehlt. Máirtín Ó Cadhain verfolgt das in einem seltsam unbeteiligten Ton mit düsterem Humor. Ich ahne schon, was die Qualität seiner Prosa ausmacht, aber die Handlung ist mir einfach zu schräg und der Protagonist zu unsympathisch, um mich auf diese Geschichte gern einlassen zu wollen. Eine weitere literarische Bildungslücke geschlossen, aber ein Werk, das ich nicht unbedingt weiter kennenlernen muss.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert