Sally Rooney – Normale Menschen

Die irische Autorin Sally Rooney ist ein Phänomen. Schon ihr Erstling Gespräche mit Freunden, der 2017 erschien, war ein sensationeller Erfolg für die 1991 geborene damalige Studentin am Trinity College in Dublin. Verlage überboten sich schon im Vorfeld, der renommierte Faber&Faber erhielt schließlich den Zuschlag, die britische Literaturkritik überschlug sich, diverse Zeitungen machten das Buch zum Book of the year und der Verkaufserfolg blieb nicht aus. Ich habe das Buch durchaus gern gelesen, der Hype erschloss sich mir aber nicht. Der 2018 erschienene zweite Roman von Sally Rooney, Normal people, jetzt als Normale Menschen auch auf Deutsch erschienen, versprach noch phänomenaler zu werden. Longlist des Man Booker Prize, Gewinn zweier British Book Awards und des Costa Awards – ein Wahnsinnserfolg für das zweite Buch einer so jungen Autorin.

Auch der deutsche Verlag ließ sich zur Veröffentlichung der deutschen Übersetzung nicht lumpen, es gab breite Öffentlichkeitsarbeit, unter anderem auch in der Blogger- und Social Media Szene.

Berechtigter Hype?

Nun, was soll ich sagen? Konnte ich den Erfolg des Erstling noch nachvollziehen, stehe ich den enthusiastischen Kritiken zu Normal People in der englischsprachigen Welt doch einigermaßen verständnislos gegenüber. Das geht dem deutschen Feuilleton und weiten Leser:innenkreisen, soweit ich das überblicken kann, ähnlich. War Gespräche mit Freunden tatsächlich eine interessante Betrachtung eines bestimmten Ausschnitts der Generation Y, auch in formaler Hinsicht mit den versammelten Gesprächen, Chats, Mails usw. frisch und besonders, bleibt Sally Rooney in Normale Menschen da deutlich zurück.

Die On-Off-Liebesgeschichte von Marianne Sheridan und Connell Wardon ist klischeebeladener, formal konventioneller und dadurch schlicht langweiliger als der Vorgängerroman. Obwohl einiges an Motiven aus Gesprächen mit Freunden auch hier auftaucht.

Auch hier geht es um eine bereits in der Schule geschlossene Freundschaft, die zu einer stark sexuell geprägten On-Off-Beziehung führt, diesmal allerdings nicht gleichgeschlechtlich. Wieder ist das Dubliner Trinity College ein Schauplatz. Wieder ist eine der Familien – die von Marianne – stark dysfunktional. Und wieder geht es um Menschen um die Zwanzig, die noch in der Orientierungsphase sind, wieder spielen Depressionen eine Rolle.

Klischees, Klischees

Sally Rooney schreitet in Normale Menschen chronologisch mit größeren Zeitsprüngen voran. Zwischen den einzelnen Episoden liegen meist mehrere Monate, was auch Rückblenden auf die Zeit dazwischen beinhaltet. Insgesamt wird der Zeitraum von 2011 bis 2015 abgedeckt. Zu Beginn gehen Marianne und Connell noch in dieselbe Klasse der Schule im westirischen Provinzstädtchen  Carricklea in der Grafschaft Sligo. Marianne ist Anwaltstochter, in der Schule Außenseiterin, relativ unattraktiv, intelligent und introvertiert. Connell, dessen alleinerziehende Mutter bei Mariannes Mutter putzt, ist gutaussehend, sportlich, beliebt und auch äußerst intelligent. Zum Klischee passt, dass Mariannes gutsituierte Familie, besonders die Mutter, kalt, abweisend und zumindest Bruder Alan hochgradig psychopathisch ist, während Connells Mutter Lorraine eine Seele von Frau ist, herzlich, zupackend, liebevoll.

Wie gesagt kommt es zwischen Marianne und Connell zu einer Annäherung, die mal rein freundschaftlich, zeitweise aber auch stark sexuell geprägt ist. Eine wirkliche Beziehung haben sie nicht. Anfangs , während der gemeinsamen Schulzeit, weil Connell sich vor seinen Mitschülern für die Außenseiterin Marianne schämt und sein Verhältnis zu ihr geheim hält. Später, als beide sich am Trinity College einschreiben, kehren sich die Verhältnisse radikal um – Marianne findet hier gutbürgerliche Gleichgestellte, während Connell sich stets wie ein Eindringling fühlt.

Normale Menschen
aus der Serie Normale Menschen auf starzplay
On-Off

Es kommt im Laufe der Jahre immer wieder auch zu sexuellen Begegnungen zwischen Marianne und Connell, die Episoden verlaufen dabei immer nach dem gleichen Muster. Nach der Annäherung kommt es zu einem (meist absurden) Missverständnis zwischen den beiden, zu banalen Streitigkeiten  und schließlich zum Bruch. Ihre Freundschaft bleibt aber immer mehr oder weniger intensiv bestehen. Gleichzeitig haben sie andere Liebesbeziehungen. Diese starre Wiederholung und auch die stets gleiche Rollenverteilung – Marianne ist in ihrer Freundschaft immer die Bedürftige, selbst als Connell in einer Phase der Depression versinkt – und die fehlende Entwicklung der Figuren machen die Verfolgung ihrer Beziehung bald langweilig.

Marianne driftet in eine sadomasochistische Beziehung mit einem reichen Widerling, der zudem noch der Sohn eines der für die Finanzkrise 2008 Verantwortlichen ist. Natürlich kann die Leserin das auf ihre Kindheit mit der kalten Mutter und dem misshandelnden Vater zurückführen. Ziemlich schematisch das Ganze. Marianne entwickelt eine Essstörung, Connell verfällt nach dem Selbstmord eines Freundes, der genauso konturlos wie die meisten Nebenfiguren bleibt, in eine Depression.

Rückwärtsgewandt

Am Ende bekommt Connell von einer Universität in New York einen Studienplatz für Kreatives Schreiben angeboten. Da hat man schon fast vergessen, dass sich die beiden einst durch ihre große Liebe zur Literatur nähergekommen sind. Marianne hat damals an der Schule in den Pausen meist einsam Marcel Proust gelesen – gibt es ein größeres Klischee für die unbeliebte, unattraktive, aber intelligente Schülerin? Außer dass sie hin und wieder ihre Lektüre miteinander besprechen, sehr viel öfter im Bett landen oder sich auf langweiligen Partys treffen, erfährt man eigentlich gar nicht so viel von Marianne und Connell. Man sieht sie ständig nur von außen, bei breit beschriebenen belanglosen Tätigkeiten (oder im Bett). Was sie bewegt, ängstigt, hoffnungsvoll macht, antreibt – keine Ahnung. Manche Äußerungen irritieren aber doch in ihrer Rückwärtsgewandtheit.

„Als sie sich voneinander lösten, sah ihr Connell in die Augen und sagte: Ich liebe dich. Sie musste lachen, und ihr Gesicht war rot. Sie befand sich in seiner Macht, er hatte sich entschieden, sie zu erlösen, sie war erlöst. Es passte gar nicht zu ihm, sich in der Öffentlichkeit so zu benehmen, also musste er es absichtlich getan haben, ihr zu Gefallen. Wie seltsam, sich so vollkommen einer anderen Person untergeordnet zu fühlen, und gleichzeitig wie gewöhnlich.“

Wenig erfährt man auch über gesellschaftliche oder politische Umstände oder wie die Protagonisten zu ihnen stehen. Über Lorraine heißt es einmal:

„Es stimmt, Lorraine hat Werte. Sie interessiert sich für Kuba und die palästinensische Befreiungsbewegung.“

Aha.

Salinger für die Snapchat-Generation

Sally Rooney schreibt auch in Normale Menschen so klar und schnörkellos, man könnte auch sagen kunstlos, wie in Gespräche mit Freunden. “Salinger für die Snapchat-Generation“ hat der Originalverlag geworben, kein Wunder, dass auch eine BBC-Serie schnell abgedreht wurde und in Deutschland noch vor der Übersetzung des Buchs verfügbar war. Nun gehöre ich dieser Generation nicht an und mag auch eigentlich keine Serien gucken, deshalb bin ich wohl einfach nicht die rechte Zielgruppe für den Roman. Er liest sich gut und leicht und unterhaltsam. Ja.

Ein mir vielleicht altersmäßig näherstehender Kritiker urteilt „Für Menschen, die noch nie einen Roman gelesen haben, mag das Buch phänomenal sein.“ So rigoros würde ich vielleicht nicht urteilen, aber ihn auch nur in die Nähe des Booker Prize setzen würde ich eben auch nicht.

 

Ines hat das Buch auf Letteratura auch besprochen. Und wer etwas positiveres darüber lesen möchte, schaut bei The lost arts of keeping secrets

Beitragsbild Trinity College by William Murphy (CC BY-SA 2.0) via Flickr

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Sally Rooney Normale Menschen.

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Sally Rooney – Normale Menschen
Aus dem Englischen von Zoë Beck
Luchterhand August 2020, Hardcover mit Schutzumschlag, 320 Seiten, € 20,00

3 Gedanken zu „Sally Rooney – Normale Menschen

  1. Ich habe meine Besprechung (danke für die Verlinkung) gerade noch einmal gelesen und festgestellt, dass mein Gefühl dem Roman gegenüber im Nachhinein eher noch negativer geworden ist… Ich kann gut nachvollziehen, was du schreibst… Viele Grüße!

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