Éric Plamondon – Taqawan

Kanada war und ist Gastland der Frankfurter Buchmesse, Dank Corona sowohl 2020 als auch 2021. „Singular Plurality“ ist das Motto, die einzigartige Vielfalt, die die Veranstalter in den Mittelpunkt ihres Auftritts stellen möchten. Die Gleichberechtigung zweier Amtssprachen – Englisch und Französisch -, die vorbildlich erscheinende Einwanderungspolitik (rund ein Fünftel der Kanadier ist neueren Zahlen zufolge im Ausland geboren worden) und die Vielfalt an indigenen Völkern schafft diese Pluralität, die sich offiziell dadurch auszeichnen soll, die Individualität aller friedlich nebeneinander koexistieren zu lassen. Das dies zumindest nicht immer so reibungslos vonstattenging, kann man im neuen Roman von Éric Plamondon, Taqawan, nachlesen.

Éric Plamondon siedelt seine Geschichte auf der Halbinsel Gaspésie an, die nordöstlich von Québec in den Sankt-Lorenz-Strom hineinragt. Am südlichen Ende, am Fluss Restigouche liegt das ehemalige Stammesgebiet der Mi´gmaq, eines indigenen Volksstamms, der hier immer noch siedelt und traditionsgemäß vom Lachsfang lebt. Zur Zeit der Romanhandlung, 1981, tobten hier Unruhen zwischen den Mi´gmaq und Regierungsstellen. Es ging um die Fischereirechte. Vorgeblich für den Umwelt- und Artenschutz wurde den hier lebenden indigenen Fischern der Fang mit großen Netzen verboten. Vorgeblich, da die Mengen an Lachsen, die von großen Trawlern vor der Küste abgefischt wurden, ungleich größer waren.

Fischerei-Unruhen

Direkt zu Beginn von Taqawan lässt Éric Plamondon die beiden Parteien aufeinanderprallen. Die Polizei geht bei der Beschlagnahmung der Netze für den Fischfang, der oft einzige Lebensgrundlage der indigenen Familien und vor allem auch identitätsstiftend ist, mit großer Härte und Gewalt vor. Die 15jährige Océane sitzt gerade im Schulbus und muss zusehen, wie ihr Vater schwer misshandelt wird.

Im Laufe des ausbrechenden Chaos und der Unruhen, wird Océane brutal vergewaltigt. Täter sind ausgerechnet Polizisten. Das erzählt sie Yves Leclerc, einem ehemaligen Ranger, der aus Protest gegen die Bevormundung der frankokanadischen Provinzen durch die Zentralregierung in Ottawa seinen Job an den Nagel gehängt hat. Er hat das verletzte und verängstigte Mädchen am Fluss gefunden und bringt sie nun zu sich nach Hause. Hier nimmt der fiktive Krimiplot vor den historischen Ereignissen seine, zunächst sehr gemächliche Fahrt auf.

Fishingboat
Waiting to high tide by Dennis Jarvis (CC BY-SA 2.0) via Flickr

Wichtiger als die Ermittlungen, die Yves nun aufnimmt, sind Plamondon die Einblicke, die er in die kanadische Geschichte, den Verlauf und die Folgen der Kolonisierung der indigenen Bevölkerung seit dem 15. Jahrhundert und den seitdem herrschenden strukturellen Rassismus gibt. Dass sich Kanada beim Umgang mit seinen First Nations auch nicht mit Ruhm bekleckert hat, wissen wir spätestens nachdem die Gewalt und der sexuelle Missbrauch in den sogenannten „Residential Schools“ bekannt wurden. Hier wurden die indigenen Kinder zwangsweise in Internaten zusammengefasst, die sie der eigenen Sprache und Kultur entfremden und „zivilisieren“ wollten. Ein Protagonist beschreibt es mal so:

„In Québec haben wir alle Indianerblut. Entweder in unseren Adern oder an den Händen.“

Mi´gmaq

Éric Plamondon unterbricht seine Handlung, die er in relativ kurze Kapitel aufteilt, immer wieder mit kleinen Splittern aus der Geschichte, über Traditionen, die Jagd und den Fischfang der Mi´gmaq und die Kolonisierungsbestrebungen der Weißen. Kaleidoskopartig setzt sich dadurch ein Bild zusammen. Wir lernen, das „Taqawa“ in der Sprache der Mi´gmaq den Lachs beschreibt, der zum ersten Mal seit seiner Geburt wieder in seine Ursprungsgewässer zurückkommt. Es werden aber auch kleine Werbetexte, Rezepte und Anekdoten eingestreut. Das passt mal mehr, mal weniger gut, ist aber immer interessant. Auch gelungene Beschreibung von Natur und Tierwelt haben ihren Platz in dem schmalen Buch.

Irgendwann nehmen diese essayistischen Einschübe ab und die Krimihandlung, die bisher eher so nebenher mitgeplätschert ist, nimmt enorm an Fahrt auf. Mit seinem Nachbarn William und mit der Hilfe der Französischen Lehrerin Caroline versucht Yves, nicht nur die Schuldigen der Vergewaltigung ausfindig zu machen, sondern bald auch Océane als Zeugin zu schützen. Dabei wird es richtig actiongeladen und auch ziemlich brutal.

Mit Taqawan hat der seit vielen Jahren in Frankreich lebende Kanadier Éric Plamondon einen spannenden und interessanten Roman geschrieben, der gleichzeitig Abenteuergeschichte, Krimi und Sozialstudie ist und hoffentlich auch ohne den physischen Buchmessenauftritt Kanadas die Aufmerksamkeit erhält, die er verdient.

 

Beitragsbild: Fishers by Jamie McCaffrey (CC BY-NC 2.0) via flickr

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eric plamondon-taqawan.

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Éric Plamondon – Taqawan
Aus dem Französischen von Anne Thomas
Lenos Verlag September 2020, 208 Seiten, € 22.00 

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