Daniel Mellem – Die Erfindung des Countdown

Wer kennt Hermann Oberth? Ich muss zugeben, dass mir der 1894 in Hermannstadt/Siebenbürgen geborene und 1989 in Nürnberg gestorbene Physiker und „Raketenpionier“ bislang völlig unbekannt war. Daniel Mellem, seines Zeichens ebenfalls promovierter Physiker und Absolvent des Leipziger Literaturinstituts, widmet ihm seinen Debüt-Roman Die Erfindung des Countdown.

Bereits als Junge war Oberth fasziniert vom Weltall. Die Lektüre von Jules Verne war erste Anregung und gleichzeitig Herausforderung, denn eigene Berechnungen zeigten die Unmöglichkeit, auf diese Weise aus der Erdatmosphäre zu gelangen. Oberth entwickelte Pläne zum Bau einer funktionsfähigen und zur Mitführung von Menschen in den Weltall geeignete Rakete, angetrieben mit Flüssigtreibstoff und unter Verwendung einer mehrstufigen Bauweise. Der junge Mann stieß aber mit seinen Plänen überall auf Widerstand, obwohl seine Veröffentlichungen „Die Rakete zu den Planetenräumen“ und „Die Wege zur Raumschiffahrt“ sehr erfolgreich waren. Aber das ist nicht sehr verwunderlich, wenn man bedenkt, wie futuristisch das damals anmuten musste. Interessanterweise wird aus dem Jahr 1555 der erste Start einer Rakete in Hermannstadt überliefert. Dieser Flugkörper bestand schon aus drei Stufen und besaß bereits dreieckige Flügel, damit er stabiler in der Luft lag.

Schäßburg, Siebenbürgen, Rumänien
Schäßburg, Siebenbürgen, Rumänien, Wohnort Oberths by FORTEPAN / Németh Tamás, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Die Frau im Mond

Bis zur Verwirklichung eines bemannten Weltraumfugs dauerte es noch eine Weile. Der ausbrechende Krieg, an dem auch Oberth teilnahm und der seinem Bruder das Leben kostete, verstärkte die Idee, die Raketentechnik auch zur Kriegsführung zu verwenden. Zunächst aber war es die Kunst, die Hermann Oberth bekannt machte. Das vom Vater, der selber Chirurg war, gewünschte Medizinstudium im München brach Hermann Oberth zugunsten eines Physikstudiums ab. Sein Weg führte ihn nach Klausenburg, Heidelberg und Göttingen. Von den dortigen Professoren wurden seine Studien weitgehend abgelehnt. Nach Siebenbürgen zurückgekehrt, arbeitete er lange Zeit als Lehrer und gründete mit Mathilde eine Familie. Da kam 1929 aus Berlin ein Angebot: Der schon berühmte Filmregisseur Fritz Lang brauchte einen Berater für seinen Film „Die Frau im Mond“. Daniel Mellem schreibt ihm nicht nur die Entwicklung der dort verwendeten Mondrakete, sondern auch die Erfindung des Countdown, die in der Regel auf Fritz Lang zurückgeführt wird, zu.

Aber auch diese Episode brachte für Oberths Bekanntheit keinen Durchbruch. Erst als sich ein einstiger Schüler, Wernher von Braun, für ihn einsetzte, wurde er über die Stationen Wien und Dresden 1941 an die Heeresversuchsanstalt Peenemünde, an der man an der Entwicklung der berüchtigten „Vergeltungswaffe“ V2 arbeitete, gerufen.

Hermann Oberth und Werher von Braun,
Hermann Oberth und Werher von Braun, 1963, Ehrendoktorwürde an der Berliner Technischen Hochschule via picryl CC0
Ambivalenzen

Anders als der charismatische und geschmeidige Wernher von Braun stand Hermann Oberth zeitlebens in der zweiten Reihe. So wie für ihn stets die Familie im Hintergrund stand. Seine lebenskluge Frau und seine vier Kinder wurden von ihm immer der Wissenschaft nachgeordnet. Nur ein Charakterzug an Oberth, der negativ aufstößt. Seine Sturheit und Fortschrittsgläubigkeit müssen enorm gewesen sein. Das ließ ihn an Plänen für „seine“ Rakete festhalten, egal zu welchem Zweck sie einzusetzen wäre. Nicht nur die Verwendung für die Raumfahrt, sondern auch ausdrücklich als Kriegswaffe war ihm recht. Er diente sich den Nationalsozialisten nicht nur an, sondern trug deren Gedankengut wohl weit über Kriegsende hinaus. Zumindest war er noch 1965 bis 1967 Mitglied der NPD.

 

Diese Seiten Hermann Oberths stellt Daniel Mellem in Erfindung des Countdowns nur relativ verhalten heraus. Die Ambivalenzen sind da, dennoch behandelt der Autor Oberth eher nachsichtig, eher als physikalischen Nerd. Eine kritischere Auseinandersetzung mit seinen rassistischen, nationalistischen und rechtsradikalen Neigungen wäre da vielleicht wünschenswert gewesen. Nach dem Krieg driftete Hermann Oberth zudem leicht in die esoterische Ecke ab, glaubte an die Existenz von Ufos. Den Schlusspunkt im Roman bildet seine Anwesenheit beim Raketenstart der Saturn V am 16.Juli 1969 in Cape Canaveral. Ein Traum ging nicht nur für Hermann Oberth in Erfüllung.

Daniel Mellem zählt die chronologisch aufgebauten Kapitel, die jeweils bestimmte Episoden aus Hermann Oberths Leben erzählen, wie beim Countdown zurück. Ansonsten ist der Roman im besten Sinne konventionell erzählt und sehr gut lesbar. Mit oft durchblitzender Ironie stellt er einen in seiner Ambivalenz interessanten Charakter und ein spannendes Stück Wissenschafts- und Weltgeschichte vor.

 

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Beitragsbild: Peenemünde, Raketenversuch Bundesarchiv, Bild 141-1875A / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

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Daniel Mellem Die Erfindung des Countdowns.

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Daniel Mellem – Die Erfindung des Countdown
dtv Literatur September 2020, 288 Seiten, € 23,00

3 Gedanken zu „Daniel Mellem – Die Erfindung des Countdown

  1. Argh, verdammt Petra. Kannst du nicht mal mehr Bücher besprechen, die nichts für mich sind? Das wird langsam richtig teuer für mich. 😀

    „Die Erfindung des Countdowns“ hatte ich bis dato überhaupt nicht auf dem Schirm. Find die Thematik aber höchst interessant, also muss ich das wohl auch auf den Merkzettel packen. *seufz*

    An dieser Stelle Dir auch nochmal frohes Neues & alles Gute für 2021 (hoffe, dass hatte ich nicht bereits schon gewünscht – ansonsten doppelt hält besser)
    LG
    Stefan

    1. Oh, das tut mir sehr leid, lieber Stefan 😉 Ich werde umgehend auf romantische Liebesromane umsatteln, OK? 🙂
      Dir und deiner Familie natürlich auch nur das Beste für 2021. Freue mich, weiterhin von dir zu hören (trotz belastetem Geldbeutel) LG, Petra

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