Spätestens seitdem seine Romane als Vorbild für die Fernsehserie Babylon Berlin dienten, ist Volker Kutscher zu einem der bekanntesten Krimiautoren Deutschlands geworden. Seine bislang sieben Bücher um den Kriminaloberkommissar Gereon Rath und dessen Frau Charlotte – das Prequel Moabit nicht eingerechnet – sind allerdings deutlich komplexer als die sehr auf visuelle Reize ausgerichtete und bei der Verwendung der Vorlagen sehr frei agierende Verfilmung. Es lohnt, sich sämtliche Teile, vom Nassen Fisch, der 1929 beginnt, bis zum bislang letzten, Marlow, auch bei Kenntnis von Babylon Berlin noch einmal als Romane vorzunehmen. Wie bereits sein Vorgänger erscheint nun der achte Gereon Rath-Roman von Volker Kutscher, Olympia, bei Piper.
Berlin im Olympiafieber
Wie der Name vermuten lässt spielt Olympia 1936 und sollte ursprünglich der letzte Teil der Reihe sein. Während seiner Arbeit wurde Volker Kutscher aber immer klarer, dass Berlin im Zeichen von Olympia kein angemessener Abschluss sein kann. Hier, im Sommer 1936, zeigte das Nationalsozialistische Regime nach außen ein völlig falsches, friedliches Gesicht. Die Rath-Romane zeichnet aber besonders aus, dass sie auf unvergleichlich atmosphärische Weise den Übergang von der Weimarer Republik der (nur vermeintlich) Goldenen Zwanziger Jahre in die menschenverachtende Diktatur Adolf Hitlers im Gewand einer spannenden Kriminalserie deutlich machen. Auf diesem Weg ist 1936 nur eine außergewöhnliche Marke. Die ganze Grausamkeit enthüllte sich erst 1938, da aber umso unübersehbarer, mit dem „Anschluss“ Österreichs, der Zerschlagung der Tschechoslowakei, der endgültigen Ausgrenzung der jüdischen Bürger, die in der Reichspogromnacht gipfelte. 1938 ist nun auch Volker Kutschers neues Zieldatum, was uns nach Olympia noch zwei weitere Rath-Romane verspricht.
Berlin ist also im Olympiafieber. Der Bevölkerung wird ein weltoffenes, freundliches Auftreten verordnet. Die judenfeindlichen Plakate und Verbotsschilder werden aus der Öffentlichkeit, die Hassartikel des Stürmers aus den Zeitungskästen entfernt. Man will der Welt beweisen, dass man ein Staat auf Augenhöhe ist, dass die „Propaganda der jüdischen Medien“ nicht zutrifft. Das klappt auch recht gut. Die Athleten erweisen der deutschen Regierung ihren Respekt, sogar die erst zögerliche US-amerikanische Delegation trifft ein, teilweise entrichtet man dem „Führer“ sogar den „deutschen Gruß“. Schwarze Athleten lassen Höchstleistungen erwarten.
Tod im Olympischen Dorf
Alles ist perfekt organisiert. Hitlerjungen werden zum Jugendehrendienst verpflichtet und kümmern sich um die Belange der Sportler, die im Olympiadorf im brandenburgischen Elstal untergebracht sind. Einer dieser Jungen ist Fritze, der ehemalige Pflegesohn von Gereon und Charlotte Rath. Im letzten Teil, in Marlow, wurde ihnen das Sorgerecht wegen ihrer „politischer Unzuverlässigkeit“ entzogen und jeglicher Umgang mit Fritze untersagt. Kutscher-Leser:innen kennen Friedrich Thormann als leidenschaftlichen HJ-Jungen und begeisterten Hitler-Anhänger. In Olympia wird diese Begeisterung Risse bekommen. Denn auch Fritze merkt, wieviel Missachtung den Schwarzen Sportlern, wie seinem Idol, dem Leichtathlet Jesse Owens, entgegengebracht wird.
Fritze erfüllt gerade einen Dienst für „seinen“ Athleten, den Hochspringer Dave Albritton, als er im Speisesaal Zeuge eines Dramas wird: der US-amerikanische Industrielle Walter Morgan bricht am Tisch der Sportler tot zusammen. Schnell wird ein Herzanfall diagnostiziert. Aber steckt vielleicht mehr dahinter? Eventuell eine kommunistische Verschwörung gegen die Olympischen Spiele?
Gereon Rath wird von seinem Vorgesetzten, dem ehemaligen Freund und Kollegen Reinhold Gräf, ins Olympische Dorf abkommandiert. Die Freundschaft ist längst zerrüttet. Gräf ist mittlerweile strammer Nationalsozialist, Untersturmführer der SS und Handlanger von Sebastian Tornow. Diesen Gegenspieler Gereon Raths kennen die Leser:innen ebenfalls aus vergangenen Büchern. Der SS-Obersturmbannführer hat Gereon Rath erpresserisch im Griff und nutzt diese Macht gnadenlos aus.
Ungeklärte todesfälle
Eine ganze Reihe von ungeklärten Todesfällen in den Reihen von Wehrmachtsangehörigen scheinen ein Komplott zu bestätigen. Ein ehemaliger Kommunist, der zum Zeitpunkt von Walter Morgans Tod im Speisesaal tätig war, wird verhaftet und landet unter Folter im Konzentrationslager. Dabei ist seine Unschuld offensichtlich. Klar, dass Gereon Rath und seine Frau Charly, die immer noch als Privatdetektivin bei Wilhelm Böhm arbeitet, auf eigene Faust ermitteln. Und bald erkennen, dass es für sie auf längere Sicht keine Zukunft in Deutschland geben kann.
Volker Kutscher ist auch in Olympia auf der Höhe seiner Kunst. Wie es eigentlich noch gar keinen schwachen Fall in der Reihe gab. Er entwickelt seine Geschichten langsam, legt mehr Wert auf Atmosphäre als auf Action, hält aber gleichzeitig immer einen Spannungsbogen, den er zum Ende hin strafft. Auch in seinem achten Teil ist der Einblick in die Diktatur in Deutschland sehr gut recherchiert, von Band zu Band werden die Rath-Romane düsterer. Und auch Olympia lässt Volker Kutscher mit einem starken Cliffhanger enden. So wartet man schon sehr gespannt auf das Jahr 1937 und was es Gereon, Charly und Fritze bringen wird. Dass es für Deutschland nach der kurzen Entspannung im Zuge der Olympischen Spiele eine stete Verschärfung der Lage bringen wird, ist leider bekannt.
Weitere Stimmen zu Olympia beim Kaffeehaussitzer, bei Kulturbowle und Zeichen und Zeiten
Beitragsbild by Anders Pollas (CC BY-NC-SA 2.0) via flickr
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Volker Kutscher – Olympia
Piper November 2020, 544 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, € 24,00
Danke für diesen Lesetipp Petra 🙂 Schaue hier gerne wieder vorbei!
Das freut mich! 🙂 Und: sehr gerne. Viele Grüße, Petra
Schön, da teilen wir die Begeisterung für diese erstklassige Krimireihe – „Olympia“ war ein herausragender Band und eine hochspannende Lektüre. Jetzt heißt es Warten auf den nächsten Band und vielen Dank fürs Verlinken! Herzliche Grüße!
Wie immer – eine ganz tolle Rezension, liebe Petra, die mich zudem daran erinnert, dass ich die Reihe endlich mal weiterlesen sollte. Warum gibt es bloß so viel Lesenswertes und nur so wenig Lebenszeit?