Es sind immer die großen Fragen, die der amerikanische Autor Richard Ford in seinen unspektakulär daherkommenden Geschichten verhandelt, so auch in seinem neuesten Erzählungsband Irische Passagiere. Wie der Titel verrät, haben alle neun Geschichten einen Bezug zu Irland, spielen dort, haben irischstämmige Protagonisten, manchmal zieht nur eine irische Parade durch New Orleans. Eigentlich spielt das Irische aber keine besondere Rolle. Weshalb auch der Originaltitel „Sorry for your trouble“ viel besser passt.
Denn Ärger, Probleme, Unannehmlichkeiten haben alle Protagonisten bei Richard Ford, sie sind in ihren Leben erschüttert, stehen an einem Punkt der (Zwischen)Bilanz, so auch die Irische Passagiere. Es sind meist ältere, gut situierte und demokratisch wählende weiße Männer, um die es sich dreht. Die meisten von ihnen sind Anwälte. Einmal liegt die personale Perspektive auch bei einer Frau. In der Regel kommen weibliche Personen in den Geschichten aber nicht wirklich gut weg. Während der Erzähler für sein männliches Personal sehr viel Empathie und Verständnis aufbringt, schaut er auf die Frauen dort mit unerbittlicher Strenge.
In der Regel sind sie von Beruf Lehrerin – ja, es gibt tatsächlich unglaublich viel weibliches Lehrpersonal, aber ein bisschen progressivere Jobs wären ganz schön; eine Immobilienmaklerin rettet das jetzt auch nicht unbedingt -, sie sind sprunghaft, oft zickig, meist betrügen sie ihre Männer. Am gnadenlosesten ist der Blick des Erzählers (Autors?) aber, wenn es um ihr Äußerstes geht. Den Begriff „Mannweib“ mag ich eigentlich nicht lesen. Und auch sonst werden die Frauen stets nach Gewicht und Attraktivität klassifiziert. Hat das Richard Ford, den ich als Autor sehr schätze und dessen freundliche Art ich auf mehreren Veranstaltungen schon erleben durfte, so schon immer geschrieben? Oder ist das jetzt ein Altersding? (Richard Ford wird im kommenden Februar 77). Oder haben wir hier tatsächlich nur die Sicht der Protagonisten?
Ähnlichkeit
Darf man überhaupt einem Autor seine Erzähler übelnehmen? Es handelt sich ja nicht um autobiographische Texte. Aber da kommt der zweite Punkt neben dem anfechtbaren Frauenbild hinzu, der mich diesmal mit diesem sehr verehrten Autor hat hadern lassen: die neun Geschichten gleichen sich einfach zu sehr. Auch deshalb liegt der Gedanke nahe, dass viel Richard Ford drinsteckt in den Irischen Passagieren.
Die fast identischen Protagonisten, heißen sie nun Jonathan, Sandy oder Peter, habe ich schon erwähnt. Sie alle stecken zudem in absolut ähnlichen Lebenssituationen. Sie alle haben zerbrochene Beziehungen hinter sich, sei es durch Trennung, Scheidung oder Tod. Sofern sie Kinder haben, ist das Verhältnis zu diesen zumindest angespannt. Und alle Protagonisten stehen an einem Punkt ihres Lebens, wo dieses zum Stillstand gekommen zu sein scheint. Einige suchen einen Neuanfang, wie Peter, der nach dem Tod seiner Frau ein Ferienhaus dort erwirbt, wo das Paar lange Zeit die Ferien verbracht hat. Ob das gelingen wird, bleibt zumindest fraglich.
Einen Plot im eigentlichen Sinn gibt es kaum in den Geschichten. Die Protagonisten klauben die Bruchstücke ihrer Leben zusammen, versuchen sich an einer Art Bilanz. Sehr erfreulich sieht die bei keinem von ihnen aus. Es sind Gedankenströme und Gespräche, die den Großteil der Erzählungen ausmachen. Der Ton ist elegisch und melancholisch, Ford erzählt langsam, genau und fast ein wenig emotionslos. So ist das Leben halt, scheinen die Geschichten zu sagen. Es geht allen so. In allen Leben gibt es diese Risse, diese untergründigen Spannungen, die irgendwann aufbrechen. Und was ist das schon, dieses Glück? Und wenn es da ist, sind wir überhaupt in der Lage, es zu erkennen? Die ganz großen Fragen also. Und die ganz normalen, unspektakulären Leben.
Übersetzung
Richard Ford ist sicher einer der ganz großen US-amerikanischen Erzähler und auch Irische Passagiere ist natürlich toll erzählt, feinfühlig, schnörkellos. Aber neben den oben erwähnten Kritikpunkten, hat mich diesmal auch die Übersetzung des ansonsten großartigen Frank Heibert an manchen Stellen gestört. Beim Barbeque grillt man natürlich keine Ochsenherzen, sondern Ochsenherztomaten. Und mittelalte bis ältere Damen ständig „verfickt“ oder „ficken“ sagen zu hören, wirkt für mich auch nicht glaubwürdig. Den Amerikanern sitzt das „fucking“ und „fuck“ deutlich lockerer als den älteren Semestern bei uns. Da wäre ein „verdammt“ oder sogar „verflixt“ weitaus authentischer. Das mag kleinlich sein, hat meine Lesefreude aber zusätzlich eingetrübt.
Diesmal also keine wirkliche Empfehlung für Irische Passagiere, aber dennoch eine Liebeserklärung an Richard Ford. Wer solche wunderbaren Romane wie die Frank Bascombe-Trilogie ( Der Sportreporter, Unabhängigkeitstag, Die Lage des Landes und schließlich, als Epilog quasi, Frank) und auch ganz großartige Erzählungsbände geschrieben hat, darf auch mal daneben liegen.
Weiter Bücher von Richard Ford:
Beitragsbild:Irland-Fähre by kobusb (CC BY-NC-SA 2.0) via Flickr
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Richard Ford – Irische Passagiere
Erzählungen
übersetzt aus dem Englischen von Frank Heibert
Hanser Berlin September 2020, Fester Einband, 288 Seiten, 22,00 €
„Und mittelalte bis ältere Damen ständig “verfickt” oder „ficken“ sagen zu hören, wirkt für mich auch nicht glaubwürdig. Den Amerikanern sitzt das „fucking“ und „fuck“ deutlich lockerer als den älteren Semestern bei uns. Da wäre ein „verdammt“ oder sogar „verflixt“ weitaus authentischer. Das mag kleinlich sein, hat meine Lesefreude aber zusätzlich eingetrübt.“
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Das verstehe ich gut. Mich hat es auch im Englischen gestört. Zumal Ford die Ausdrücke auch in der Erzählstimme verwendet, nicht nur in wörtlicher Rede.
Ich wüsste nicht, dass er früher so geschrieben hätte.
Gut, dass es nicht nur mir so ging. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass er jemals so geschrieben hat. Mal sehen, wie das nächste Buch wird. Viele Grüße!
Jetzt kann ich mich aber doch erinnern. Nicht die Frank-Bascombe-Romanreihe, aber Fords Kurzgeschichten „Vielzahl von Sünden“ sind auch recht grob. Wie es sich für einen Autor gehört, der auch für eine Spuckattacke auf einen Kritiker und fehlendes Bedauern darüber bekannt ist.
Na, die kenne ich nicht. Und lass dann wohl auch besser in Zukunft die Finger davon 😉
Vielen Dank, es ist bereichernd, meine Lektüreerfahrung um Deine Sicht auf das Buch zu erweitern! Du hast natürlich Recht, die Erzählungen in diesem Band ähneln sich stark, und man muss sich schon fragen, ob die immer gleiche Perspektive des alten, weißen, gut situierten Mannes wirklich das ist, was die Literatur hier und heute braucht.
Und ja, es stimmt: Dieser taxierende männliche Blick auf Frauen ist da. Du sagst ja selbst, dass das nicht automatisch mit der Haltung des Autors gleichzusetzen ist, aber er problematisiert es auch nicht wirklich, und das kann man wiederum als problematisch empfinden. Nur ob der Blick der Texte auf die weiblichen Figuren wirklich generell so „streng“ ist, wie Du sagst, weiß ich nicht genau. Sind da nicht auch starke, herausfordernde und im positiven Sinne unbequeme Persönlichkeiten dabei, neben denen die Männer in ihrer trügerischen Komfortzone einen eher läppischen Eindruck machen?
Na ja, ich hab es mir beim Lesen eventuell auch etwas bequem gemacht und vorbehaltlos in der alten Liebe zu Ford geschwelgt. Für einen wunderbaren Erzähler halte ich nach wie vor.
Lieber Andreas, Danke für deinen Kommentar. Ich finde es auch immer sehr spannend, andere Eindrücke und Lesarten kennenzulernen. Leider wird auf den Blogs gar nicht mehr so richtig diskutiert (ich nehme mich da nicht aus).
Wir sind uns absolut einig, dass Richard Ford ein ganz großartiger Erzähler ist. Daran ändert auch diese für mich (leicht) enttäuschende Erzählsammlung gar nichts.
Er ist außerdem ein sehr sympathischer Mann, den ich auf mehreren Veranstaltungen bereits erleben durfte. Und ich bin übrigens durchaus der Meinung, dass die Literatur weiterhin die Perspektive des egal wie alten weißen, gut situierten Mannes braucht – so wie alle anderen auch. Richard Ford hat ja schon immer aus dieser Perspektive geschrieben und genau betrachtet sind seine Bücher auch eher „Jungsbücher“, aber diese Einteilung war mir schon immer suspekt und ich teile sie auch nicht. Genauso wenig wie ich rein weiblich, queer oder sonst wie lesen möchte. Interessieren würde mich aber tatsächlich, ob ich die alten Ford-Romane mit heutigen Augen, die unweigerlich durch Erfahrung, MeToo, BlackLivesMatter etc. geprägt sind, anders lesen würde. Und diese Frauenbetrachtung, die ich doch nach wie vor recht ungnädig finde (auch wenn die Frauen teilweise „stark“ sind, oder vielleicht sogar gerade dann), dann anders beurteilen würde. Ich verdächtige Ford keinesfalls einer irgendwie gearteten Misogynie. Aber bestimmte Beurteilungsmuster sind bei den älteren Herren (und nicht nur bei diesen) eben noch verbreitet. Mal schauen, ob ich so ein ReRead mal schaffe. Viele Grüße, Petra