Steven Price – Der letzte Prinz

Giuseppe Tomasi, der letzte Fürst von Lampedusa, schrieb bereits im fortgeschrittenen Alter einen einzigen Roman. Dieser wurde zunächst von verschiedenen Verlagen, darunter dem renommierten Mondadori, abgelehnt und konnte erst nach dem Tod des Autors mit gerade einmal sechzig Jahren erscheinen. Entdeckt wurde er vom Schriftstellerkollegen Giorgio Bassani, der ihn in seiner Reihe „I Contemporanei“ 1958 bei Feltrinelli herausbrachte. Das war der Startschuss eines unglaublichen Welterfolgs, der durch die Verfilmung von  Luchino Visconti, 1963 bei den Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet und mit Burt Lancaster, Claudia Cardinale und Alain Delon starbesetzt, noch einmal Auftrieb erfuhr. Heute zählt er längst zu den ganz großen Klassikern der italienischen Literatur. Der Abgesang auf den sizilianischen Adel war dabei von Tomasi di Lampedusa  eigener Familiengeschichte geprägt. Der kanadische Autor Steven Price widmet dem Fürsten und der Entstehung von „Il gattopardo“ (dt Der Leopard) seinen Roman Der letzte Prinz.

Italienischer Klassiker

„Der Leopard“ ist einer der Romane, die Kritiker:innen und Leser:innen gleichzeitig ins Schwärmen bringen. Und auch die tragische Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte, generell die traurige Lebensgeschichte des Fürsten, tragen ebenso wie die schwelgerisch-atmosphärische Verfilmung dazu bei, dass das Buch einen ganz eigenen Rang einnimmt. Nicht allzu verwunderlich ist, dass auch an den Roman, der seine Entstehung zum Thema hat, hohe Maßstäbe angelegt werden. Das führte gerade hier in Deutschland zu recht harschen Kritiken, die ich so definitiv nicht teilen kann. Und die in der englischsprachigen Welt, u.a. von Tomasi di Lampedusas Biograph David Gilmour, viel positiver ausfallen. Für mich ist es ein ganz wunderbar geschriebenes romanbiografisches Werk.

Licy und Giuseppe Tomasi die Lampedusa in Palermo (Dreißiger Jahre)
Licy und Giuseppe Tomasi die Lampedusa in Palermo (Dreißiger Jahre) Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

Steven Price lässt Der letzte Prinz im Jahr 1955 beginnen. Der Fürst ist neunundfünfzig Jahre alt und lebt alles andere als gesund. Das Rauchen ist ihm eine Notwendigkeit, auf die er genauso wenig verzichten kann wie auf süße Schlemmereien. Übergewicht belastet ihn und Atemnot. Der Besuch beim Arzt bringt die Diagnose: ein fortgeschrittenes Lungenemphysem. Das lässt sich durch gesunde Lebensweise in seiner Progredienz aufhalten, aber nicht heilen. Aber eine Änderung seiner Lebensweise scheint dem Fürsten, der im Roman durchweg als müde, erschöpft, vielleicht auch ein wenig überdrüssig dargestellt wird, nicht vorstellbar.

Den Menschen in seiner Umgebung erzählt Giuseppe Tomasi di Lampedusa nichts von seiner Erkrankung. Bei seiner Frau Alessandra von Wolff-Stomersee, einer baltischen Adeligen und eine der ersten in Italien praktizierenden Psychoanalytikerinnen, die seit 1932 eine ungewöhnliche, sehr emanzipierte und freie Ehe mit dem Fürsten führt, nimmt er verschiedene Anläufe, die jedes Mal scheitern. Seinem jungen Freund und entfernten Cousin Gioacchino Lanza, den er 1957 adoptieren wird, und dessen Freundin Mariella sagt er genauso wenig etwas von seinen gesundheitlichen Problemen wie seinem Literaturschüler Francesco Orlando.

Rückschau

In Steven Prices Roman führt die Krankheit zu einer Intensivierung seiner Bemühungen, über seinen Urgroßvater und die Zeit des Risorgimento, verknüpft mit der Landung Giuseppe Garibaldis auf Sizilien 1860, einen Roman zu verfassen. Erinnerungen an seine Kindheit in den Palazzi seiner Familie auf der Insel kommen auf, Rückblenden zu seiner Mutter Beatrice, zu der er ein sehr enges, aber auch angesichts derer tragischen Familiengeschichte – sie verlor drei ihrer Schwestern innerhalb kurzer Zeit und die kleine Tochter an Diphtherie – nicht ganz problemloses Verhältnis besaß. Zwischen seiner Frau Alessandra, Licy genannt, und seiner Mutter herrschte mehr oder weniger offen Krieg. Der zweite Weltkrieg brachte große Verluste, der Familienpalast in Palermo wurde fast völlig zerstört, große Teile des Vermögens gingen verloren.

Schreibmaschine
Schreibmaschine von Giuseppe Tomasi di Lampedusa Davide Mauro, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Diese durchweg melancholischen Erinnerungen von Giuseppe Tomasi di Lampedusa werden durch die Besuche des fröhlich-unbeschwerten Gioacchino und Mariellas unterbrochen. Man reist noch einmal zum Familienpalast nach Palma und zu den Cousins Piccolo nach Capo d´Orlando. Mit seinem Cousin, dem Dichter Lucio Piccolo, besucht er einen Schriftstellerkongress.

Erinnerungen

Geprägt ist der Roman aber weniger von der Handlung als von den Erinnerungen und Gedankengängen des alternden Fürsten. Wie bei seiner Romanfigur, dem Fürsten Fabrizio Salina in „Der Leopard“, sind sie von Verlusterfahrungen und dem Niedergang sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht geprägt. Das Leben und der Tod Tomasi di Lampedusas 1957 in Rom ähneln dem Don Fabrizios trotz der fast zweihundert Jahre, die dazwischen liegen.

Die Vorwürfe der Konventionalität, der Kolportage und der Sentimentalität, die Steven Price für Der letzte Prinz teilweise gemacht wurden, lassen sich nicht völlig von der Hand weisen. Sogar von Aneignung war die Rede. Und tatsächlich lehnt sich der Ton des Romans an den des Werks seines Protagonisten an. Er ist poetisch, sinnlich, lyrisch. Er zeichnet seine Figuren empathisch und zart. In vielem war sein Vorbild sicher innovativer, genialischer. Dennoch finde ich, dass Steven Price ein ganz vorzüglicher, schön zu lesender, atmosphärischer Roman gelungen ist. Darüber hinaus gelingt es ihm ausgezeichnet, Lust zu machen – auf Giuseppe Tomasi di Lampesusas großartigen Roman und den kongenialen Film von Luchino Visconti.

 

Siehe auch : Giuseppe Tomasi di Lampedusa – Der Leopard

 

Beitragsbild: Giuseppe Tomasi di Lampedusa by Davide Mauro, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

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Steven Price - Der letzte Prinz.

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Steven Price – Der letzte Prinz
Aus dem Englischen von Malte Krutzsch
Diogenes Oktober 2020, Hardcover Leinen, 368 Seiten, 22.00 

4 Gedanken zu „Steven Price – Der letzte Prinz

  1. Ich habe „Der Leopard“ immer noch nicht gelesen. Und daher werde ich hier erstmal passen. Auch weil mich „Die Frau in der Themse“ nicht hundertprozentig überzeugt hat.

    Dennoch mal wieder eine tolle Rezension, Petra. Dein Blog ist wirklich ein echter Gewinn – wenn auch nicht für mein Konto.

    Wünsche Dir ein schönes WE
    Stefan

  2. Würde den Schluss unterstreichen, vll sogar noch verschärfen. Es wird soviel entweder über das Thema verkauft, grad in der sogenannten „hohen“ zeitgenössischen Literatur, die Stile gleichen sich immer mehr, da ist es durchaus begrüßenswert, wenn sich mal einer klar auf die Schönheit eines anderen Werkes beruft und (durch sein Werk) sagt „etwas von dieser Schönheit gilt es zu bewahren“. Und vll auch „etwas von dieser Melancholie besitzt einen Stachel, den ich neu schärfen möchte“. Ich werde es wahrscheinlich nicht mehrfach lesen, aber Der letzte Prinz ist eine Neuerscheinung, die nicht langweilt, deren Stil ästhetisch erhebt, und die rundum sehr solide gearbeitet ist.

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