Leila Aboulela – Minarett

Glaube als einziger Ausweg aus Desorientierung, Kultur- und Identitätsverlust? Religion als Zufluchtsort? Westliche Leser:innen, vor allem säkular lebende oder gar atheistische, werden mit diesem Ansatz ihre Schwierigkeiten haben. Das geht mir nicht anders. Dennoch habe ich den bereits 2005 im Original erschienenen Roman Minarett von Leila Aboulela, die dieses Modell unzweifelhaft unterstützt, mit viel Gewinn gelesen.

Leila Aboulela wurde 1964 in Kairo geboren und ist in Khartum im Sudan aufgewachsen. Sie studierte dort und in London und lebt seit 1990 mit einigen längeren Aufenthalten in Jakarta, Dubai, Abu Dhabi und Doha in Schottland und lehrt an der Universität von Aberdeen. Für ihre gleichzeitig entstandenen Bücher wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Und sie ist überzeugte Muslima, trägt den Hidschab. Nach eigenem Bekunden hat sie „die Wut über die ungerechte Darstellung von Muslimen in der britischen Presse in die Defensive gedrängt, so dass ich mich zum Schreiben genötigt sah.“ Der Konflikt zwischen der islamischen und der westlichen Welt, die kulturellen Unterschiede, Identität und Religion sind die Themen ihrer bislang vier Romane und ihrer Kurzgeschichten.

Ein privilegiertes Leben im sudan

Als Protagonistin in Minarett wählt Leila Aboulela Nadschwa. Nadschwa wächst mit ihrem Bruder Omar im Sudan in einem privilegierten Elternhaus auf. Der Vater ist ein regierungsnaher hoher Staatsbeamter, man lebt in einem weitläufigen Anwesen, hat reichlich Personal und wenig Sorgen. Eine Zweitwohnung in London, eine Limousine mit Fahrer, Partys und Empfänge sind Alltag. Die Familie pflegt durchaus religiöse Traditionen, ist aber weltlich eingestellt. Statt den „Sudan Thobes“, den traditionellen Frauengewändern, trägt Nadschwa Minirock und hochhackige Sandalen, wenn sie zur Uni geht. Popmusik, Alkohol, Partys, ihr Leben unterscheidet sich weniger von dem westlicher Jugendlicher als von dem der weniger privilegierten sudanesischen Bevölkerung.

Sudanesische Frauen
Women by the White Nile (Morada). Khartoum, Sudan. Photo: Arne Hoel / World Bank (CC BY-NC-ND 2.0) via flickr

Das ändert sich schlagartig, als es 1985 zu einem Militärputsch kommt. Dem Vater misslingt die Flucht, er wird verhaftet und schließlich hingerichtet. Nadschwa, Omar und die Mutter gehen ins Londoner Exil und mit Geldreserven und der vorhandenen Wohnung kommen sie zunächst recht gut um die Runden. Dennoch ist es der Beginn eines gesellschaftlichen Abstiegs. Omar gerät in schlechte Kreise, nimmt Drogen, verpulvert jede Menge Geld, muss ins Gefängnis. Der Krebstod der Mutter stürzt Nadschwa nicht zuletzt wegen der horrenden Behandlungskosten in den finanziellen Ruin, sie beendet ihr Studium. Auch ihr machistischer Freund Anwar trägt einiges dazu bei und heiratet schließlich doch die brave Cousine.

Sozialer Abstieg

Zunächst wird Nadschwa noch in der Familie eines „Onkels“ aufgefangen, darf in dessen Firma und Haushalt mitarbeiten. Doch nach dessen Pleite bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich als Dienstmädchen bei reichen arabischen Familien zu verdingen. Sie erlebt Isolation, Diskriminierung, Armut. Zwanzig Jahre später hat sie in der Gemeinschaft einer Moschee Ruhe und Geborgenheit gefunden, die Unterstützung von starken Frauen. Die natürlich alle streng religiös leben.

Leila Aboulela erzählt Nadschwas Geschichte in Minarett sehr einfühlsam und mit einer großen Ruhe. Politische oder religiöse Agitation ist ihre Sache nicht. Aber sie lässt auch keine Zweifel an der für sie klaren Botschaft, dass die Religion einen Ausweg bietet, eine spirituelle Heimat, einen Ort der Geborgenheit. Ihr Frauenbild ist bei aller Stärke und allem Selbstbewusstsein, mit der sie es vertritt, konservativ. Die Frauen sind stark, die Männer schwach. Dennoch wird ihre Position nicht angezweifelt, schon gar nicht von der von ihnen so oft enttäuschten Nadschwa.

Leila Aboulela hat einen spannenden Einblick in ein modernes, muslimisches Frauenleben in der Migration geschrieben. Inhaltlich kann ich nicht immer mitgehen, da mit der kritische Blick fehlt, empfehle den Roman aber dennoch sehr.

 

Auch Ines hat das Buch auf Letteratura besprochen

Beitragsbild: by Roberto Trombetta (CC BY-NC 2.0) via Flickr

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Leila Aboulela - Minarett.

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Leila Aboulela – Minarett
Aus dem Englischen von Irma Wehrli
Lenos Verlag September 2020, Hardcover, 340 Seiten, € 24.90

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