Shida Bazyar – Drei Kameradinnen

Es beginnt mit einer Zeitungsmeldung. „Jahrhundertbrand in der Bornemannstraße“. Tote, Verletzte und eine Verdächtige in Polizeigewahrsam. Saya M. aus R., von Radikalisierung ist die Rede, von „Wut als Teil ihrer DNA“, von islamistischem Terror, aber auch von linker Gesinnung. Eindeutig ein populistischer Beitrag. Und: brennen nicht eigentlich immer eher die Häuser, in denen Menschen wie Saya wohnen, als dass diese als Brandstifter auftreten? Andererseits… Die Leserin beginnt, sich Gedanken zu machen. Zum Glück schaltet sich bald, bevor sie sich zu schnell in voreiligen Schlüssen einrichten kann, eine Erzählerin ein. Kasih, Freundin von Saya und eine der Drei Kameradinnen bei Shida Bazyar, will nach eigenem Bekunden „fair bleiben, alle Missverständnisse aus dem Weg räumen.“ Gut. Recht bald kommen jedoch Zweifel in die Zuverlässigkeit dieser Erzählerin auf.

Ihr Text ist die Niederschrift, die sie in der Nacht von Sayas Verhaftung verfasst hat, wartend auf deren Entlassung aus dem Gefängnis. Sie beginnt exakt um 2:28 Uhr damit und endet um 5:58 Uhr, inklusive einiger Unterbrechungen, wie einem Kurzbesuch im Späti um die Ecke. Klar, das kann nicht sein. Der Roman hat immerhin 350 Seiten. Das fällt natürlich unter literarische Freiheit und Erzählzeit ist natürlich nicht gleich erzählte Zeit. Aber auch sonst kommen einige Zweifel auf. Und am Ende gibt die Erzählerin unumwunden zu:

„Vielleicht ist es wirklich zu viel verlangt, dass ihr mir vertraut und glaubt, ich habe ja mindestens so viel gelogen wie ihr in eurem Leben“.

Hallo Leser:in

Die Erschütterung von Gewissheiten der Leser:innen, das Verhindern, dass diese allzu tief in die Fiktion des Romans abtauchen ist ebenso Programm bei Shida Bazyar wie deren direkte Ansprache im Text.

„Ich höre jetzt auf, weiterzuschreiben. Das hat keinen Zweck, denn ich versuche mit permanent vorzustellen, wer ihr seid, während ihr euch vorzustellen versucht, wer wir sind. (…) Ihr wartet auf den Moment, in dem ich erkläre, wer von uns aus welchem Land kommt. Das nämlich müsst ihr wissen, bevor ihr euch in uns eindenken könnte. Das ist für euch eine ungefähr so wichtige Information wie die, am Rand welcher deutschen Kleinstadt wir aufgewachsen sind und wie alt wir sind und wer von uns die heißeste ist. Ich sage euch dazu nichts. Da müsst ihr durch. Ich weiß ja auch über euch nichts.“

Natürlich entsteht im Kopf der Leser:in dennoch ein ganz klares Bild der drei Kameradinnen. Und es tut gar nichts zur Sache, woher vielleicht ihre Eltern stammen. Es reicht, dass sie sich als „Nicht-Weiße“ empfinden und sich von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt fühlen. Die Ansprachen, (rhetorischen) Fragen, Bezichtigungen dienen auch der Provokation dieser Mehrheitsgesell- und damit Leser:innenschaft – ja, dieser Text brennt, das zeigt schon das sehr gelungene Cover, er zündelt, löckt wider den Stachel, das ist Programm. Aber vielleicht noch mehr sollen diese Ansprachen und Zweifel säenden Unterbrechungen verhindern, dass man sich bequem dem Lesefluss ergibt. Dass man sich die Geschichte anhört, ordentlich empört ist (ich vermute mal, der überwiegende Anteil der Leserschaft dieses Buchs ist empört), vielleicht interessiert Fakten aufnimmt und das Buch dann einigermaßen zufrieden (wenn auch mit dem Gefühl: Das ist unerhört!) zuschlägt.

Stellung beziehen

Shida Bazyar will, dass man als Leser:in Stellung bezieht, sich und die Gegebenheiten hinterfragt, widerspricht, vielleicht auch sich ärgert – und nicht nur mitleidet. Sie verweigert deshalb auch weitere eindeutige Zuschreibungen. Weder Ort noch Geschehen werden präzise benannt. Zwar kommt ein Prozess gegen ein rechtsradikales Netzwerk vor, aber es ist nicht 1:1 der NSU-Prozess. Liebe(r) Leser:in, da musst du dich leider selbst schlau machen. Zwar legt vieles nahe, dass Handlungsort Berlin ist, typisches Lokalkolorit fehlt aber weitgehend.

Aber vielleicht jetzt doch mal konkreter zur Geschichte. Drei Kameradinnen, das sind die drei Freundinnen Kasih, Saya und Hani. Zusammen in einem wenig privilegierten Stadtviertel, der „Siedlung“ aufgewachsen, und seit Kindheit ganz eng. Auch eng in ihrem „Kampf“ gegen den allgegenwärtigen Alltagsrassismus, die unzähligen Mikroaggressionen, denen sie sich Tag für Tag ausgesetzt sehen. Und deswegen eben nicht nur Freundinnen, sondern auch Kameradinnen sind. (Shida Bazyar ließ sich von Erich Maris Remarques Roman Die drei Kameraden zu diesem Titel inspirieren). Nun sind die drei zur Hochzeit einer ehemaligen Klassenkameradin eingeladen und treffen für ein paar Tage aufeinander. Tage, an deren Ende der fürchterliche Brand in der Bornemannstraße steht. Saya, die Schillernde, die Selbstbewusste, Engagierte, die auch mal auf den Tisch haut. Kasih, die Intelligente, Pragmatische, die trotz Bestleistungen keinen Job findet und die ihr deutscher Freund verlassen hat. Und Hani, die Zurückhaltende, Lebensfrohe, Versöhnliche.

Brand
by Joachim S. Müller (CC BY-NC-SA 2.0) via Flickr
Kasih erzählt

Kasih erzählt in ihren Aufzeichnungen von ihrer gemeinsamen Kindheit, ihrem Aufwachsen, ihrer Gegenwart. Und immer wieder von den Schwierigkeiten, mit denen sie sich als Menschen mit dem so gern benannten „Migrationshintergrund“ konfrontiert sehen. Da ist einiges an Wut. Und die spricht die Erzählerin ihren Leser:innen direkt ins Gesicht.

„Und ihr so? Bei Leuten wie euch ist man sich ja nie ganz sicher, welche Absurditäten ihr für wahr haltet und welche nicht, ob und was ihr uns glaubt und was ihr Leuten wie Saya zutraut und was nicht.“

 

„Schon klar, ihr seid nicht so, ihr stellt euch das gar nicht vor, denn ihr habt ja eine Weile geholfen, Kleider zu verteilen, solche Vorurteile habt ihr nicht mehr. Ihr wart nämlich bei euren Hilfsaktionen zu allen nett, auch zu den Leuten, vor denen ihr euch ein wenig gefürchtet habt, ihr wart ganz tapfer liebevoll, auch dann noch, als ihr euch gefragt habt, ob Terroristen unter euren Schutzbefohlenen sind, dann wart ihr zwar immer noch liebevoll, aber eben auch Rassisten, liebevolle Rassisten.“

Solche Anschuldigungen tuen natürlich weh. Und man darf unbedingt fragen, ob es sinnvoll ist, Schubladendenken und Vorurteile damit zu bekämpfen, neue Schubladen aufzuziehen, neue und radikal ausweglose Urteile zu fällen. Denn eine Verteidigung ist bei vielen dieser Anschuldigungen eben unmöglich, da der/die Weiße eben in den Strukturen verfangen sei und qua Geburt Rassist:in. Ich muss zugeben, dass mir diese absolute Haltung einige der in jüngerer Zeit so hochgelobten Bücher verleidet hat. (Auch wenn ich ihnen einen gewissen Erkenntnisgewinn bezüglich strukturellem Rassismus nicht absprechen möchte.)

Schreibprozess

Bei Shida Bazyar und ihren Drei Kameradinnen ging mir das ganz anders. Das Buch rüttelt durch, stellt uns Leser:innen, aber eben auch die Erzählerin in Frage, verblüfft, öffnet die Augen über postmigrantische Perspektiven. Das ist vor allem der Differenziertheit und dem großartigen Aufbau des Romans zu verdanken. Die unzuverlässige Erzählerin, das stete konfrontiert werden mit eigenen Vorurteilen und Gedankenmustern, das ständige Erschüttern von Gewissheiten bis ganz zum Schluss und das Einbeziehen des Schreibprozesses – das ist wirklich große Kunst.

„Woher ich das weiß? Woher ich überhaupt alles weiß? Die Backgroundstory zu Markus´ esoterischer Mutter? Das mit Life? Ich weiß es nun einmal, ihr wisst doch auch immer so viel und alles besser. Ihr wisst um unsere Gepflogenheiten, ihr wisst, dass wir uns nur aufspielen, dass wir hyperkorrekt und völlig humorlos sind. Da kann ich doch auch mal was besser wissen als ihr. Ich weiß all das eben.“

Da ist tatsächlich auch eine ganze Menge Humor in diesem flammenden Roman. Wie Shida Bazyar ihre Protagonistinnen in die 1990er Jahre und auf die Couch von Bärbel Schäfer versetzt, ist ziemlich genial. Und so hart das Buch vielleicht in seiner anklagenden Wut ist, so zart ist es in seiner wunderbaren Freundschaftsgeschichte.

„Wir haben uns dem grauenhaften, entscheidenden Tag genähert, ihr aufmerksamen Leser. Seid ihr noch da? Ich bin noch da und ich weiß nicht warum.“

Ich allerdings weiß, warum ich bis zum Ende gebannt da war. Shida Bazyar hat mit Drei Kameradinnen einen so augenöffnenden wie spannenden, so engagierten wie unterhaltsamen und mitreißenden Roman geschrieben. Ihm gebührt schon jetzt ein Platz auf meiner Jahresbesten-Liste.

 

Shida Bazyars Debütroman Nachts ist es leise in Teheran ist auch uneingeschränkt empfehlenswert.

Weitere Besprechungen auf Letteratura und the lost arts of keeping secrets

 

Beitragsbild: by Sulamith Sallmann, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

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SHIDA BAZYAR - Drei Kameradinnen.

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Shida Bazyar – Drei Kameradinnen
Kiepenheuer&Witsch April 2021, Hardcover, 352 Seiten, € 22,00

3 Gedanken zu „Shida Bazyar – Drei Kameradinnen

  1. Fand das Buch auch sehr interessant, wenn man sich auch über den Schluss“Twist“ streiten kann.
    „Nachts ist es leise in Teheran“ derweil war für mich eins der absoluten Highlights der letzten Jahre, auch weil es sich dieser in der deutschsprachigen Literatur verbreiteten Tendenz zur individuellen Haltungsliteratur verweigerte (laut Taz musste sie das gegen ihre DozentInnen in Hildesheim durchkämpfen).

    1. Ich mochte Nachts ist es leise in Teheran auch noch ein wenig lieber, ist das schönere Buch. die Art, wie die Drei Kameradinnen die Leser:innen aber herausfordern und wie erzählt wird, fand ich aber sehr ungewöhnlich und gelungen. Wenn du mi „Twist“ das mit Hani meinst, gebe ich dir recht. Da bin ich mir auch nicht sicher, neige aber eher zu „gelungen“.

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