Jacqueline Woodson – Alles glänzt

Die 1963 geborene US-amerikanische Autorin Jacqueline Woodson ist vor allem für ihre Kinder- und Jugendbücher bekannt und vielfach preisgekrönt. 2016 (dt. 2018) veröffentlichte sie mit Ein anderes Brooklyn erstmals einen Roman, der sich an ein älteres Publikum wendet. Dabei blieb sie vielen ihrer Themen wie Coming of age, Rassismus, Klassismus, Gender und Homosexualität treu. Auch in ihrem neuesten Roman, der auf Deutsch unter dem Titel Alles glänzt erscheint, konzentriert Jacqueline Woodson diese Themen in Familiengeschichten.

Red at the Bone

Im Original ist der Roman Red at the bone betitelt. Was, wie meist, besser zum Buch passt. Das Motiv des Hühnerknochens zieht sich durch den Text, er beginnt mit dem Dialog zweier alter Männer.

„Bro, wie geht´s? Kommst du klar?

Mann, du weißt ja, wie das ist. Heute Hühnchen. Morgen Knochen.“

Irritiert beobachtet später Iris, eine der Protagonistinnen, dass weiße Mädchen in der College-Kantine Hähnchenschenkel abnagen, dabei ist das Fleisch am Knochen doch fast immer noch roh/rot. Und einmal fühlt sie sich „red at the bone“. Die Sprachwendung bezeichnet etwas, das nicht so gut bekömmlich, schwer verdaulich ist. Heute Hühnchen. Morgen Knochen.

„An jenem Nachmittag aber spielte ein Orchester.“

So beginnt der Roman. Und im Original steht das „aber“ sogar prominent ganz am Anfang. Denn dieser Tag, mit dem Jacqueline Woodson Alles glänzt beginnen lässt, ist definitiv ein Hühnchen-Tag.

Melody wird sechzehn. Und, wie es die Familientradition will, wird dieser Tag groß gefeiert. Nur einmal musste diese Tradition pausieren. Damals, als Melodys Mutter Iris mit sechzehn bereits hochschwanger war. Ein Skandal, den die gut situierte Familie bis heute nicht ganz verwunden hat und der damals zu einem Umzug nach Brooklyn führte.

Eine andere Familiengeschichte

Man könnte jetzt meinen, aha, eine bekannte Situation. Teenagerschwangerschaft im afroamerikanischen Milieu, Armut, Abstieg, Unglück. Aber bereits der „Hühnchen-Tag“ zu Beginn deutet eine ganz andere Entwicklung an.

Die Eltern von Iris, Vater Po´Boy und vor allem Mutter Sabe, sind natürlich bestürzt. Sabe hat am eigenen Leib krassen Rassismus erlebt. Ihre Mutter floh 1921 vor den Massakern von Tulsa, bei denen nach (wie so oft vorgeschobener) Vergewaltigung einer Weißen durch einen Schwarzen schwere Unruhen ausbrachen, bei denen ein ganzes Stadtviertel niedergebrannt wurde, nach Chicago. Hier haben sich die Eltern von Iris eine gesicherte Existenz aufgebaut, bevor sie nach New York umsiedelten. Mit Iris´ Schwangerschaft sieht Sabe die mühsamen Errungenschaften von Generationen gerade afroamerikanischer Frauen in den Sand gesetzt. Bildung war für sie immer der Weg zur Emanzipation. Sie unterstützen ihre Tochter aber dennoch nach besten Kräften. Auch der Kindsvater, der ebenfalls minderjährige Aubrey steht nicht nur zu seiner Verantwortung, sondern scheint im Vatersein regelrecht aufzugehen.

Iris ist es, die nicht versteht, „wie das genug sein konnte“. Sie setzt ihr Studium am College nach der Geburt von Tochter Melody fort, und zwar in Oberlin/Ohio. Möglichst weit entfernt von Mann und Kind, eine Zurückweisung, die Aubrey schwer und Melody gar nicht verkraftet.

Sparsam und poetisch

Jacqueline Woodson erzählt diese zentrale Geschichte sehr reduziert und in Sprüngen. Wie kleine Puzzleteile setzen sich die Informationen erst allmählich zusammen. Hinzu kommt noch die Geschichte von Aubreys alleinerziehender Mutter CathyMarie, die sich zeitweise mit Prostitution durchschlagen musste, mit Alkohol zu tun hatte, aber immer für ihren Sohn und später auch ihre Schwiegertochter gekämpft hat. Rassismus, Klassismus, Gender – all die oben genannten Themen spielen zu den Familiengeschichten die Hintergrundmelodie.

Jacqueline Woodson erzählt im von Ein anderes Brooklyn bekannten, sparsamen, poetischen Ton, ohne ganz dessen Qualität zu erreichen. Die locker bedruckten, im eher unüblichen Flattersatz gesetzten Seiten versprühen aber wieder eine ungemeine Unmittelbarkeit, in die man hineingesogen wird. Das Buch ist mit 202 Seiten etwas umfangreicher als der Vorgänger, für die Fülle der angesprochenen Themen ist es aber dennoch kurz. Diese Verknappung und Verdichtung erhöht die Intensität des Textes, den ich allen unbedingt ans Herz lege.

 

Beitragsbild by Lucas Benjamin via Unsplash

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Jacqueline Woodson - Alles glänzt.

Jacqueline Woodson – Alles glänzt
Übersetzt von: Yvonne Eglinger
Piper April 2021, 208 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, € 22,00 

2 Gedanken zu „Jacqueline Woodson – Alles glänzt

  1. Ein ganz starker Roman in der Tradition der großen Romane der Moderne. Wenn „Ein anderes Brooklyn“ wirklich noch besser sein sollte sollte Woodson eigentlich schon jetzt als eine der größten AutorInnen unserer Zeit feststehen.

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