Tabor Süden, Polonius Fischer, Jakob Franck und, im aktuellen Roman Letzte Ehre von Friedrich Ani, Fariza Nasri – sie alle sind irgendwie verlorene Seelen. Am deutlichsten ist das vielleicht bei Tabor Süden, der die ersten vierzehn Kriminalromane Anis prägte. Süden arbeitete nicht nur in einer Vermisstenstelle, sondern ging oft dem Leben und manchmal auch ganz konkret verloren. Alle Protagonisten sind Einzelgänger, Einsame, am Leben Leidende. Mit ihnen schuf Friedrich Ani mehrere Serien, die auf eine ganz bestimmte Art düster, melancholisch und zutiefst gesellschaftskritisch sind. Im letzten Buch, All die unbewohnten Zimmer, trafen sie zum ersten Mal aufeinander.
Vieles liegt im Argen
Es liegt vieles im Argen – auf der Welt, im Land, zwischen den Menschen. Friedrich Ani schaut da genau hin. Und thematisiert dieses Arge. Deshalb sind seine Bücher auch mehr Gesellschafts- als Kriminalromane. Die Verbrechen, die stattfinden sind oft subtil, manchmal gar nicht vorhanden, immer aber bildet das Geschehen den Zustand der Gesellschaft oder zumindest Teile von ihr ab. In Letzte Ehre verknüpft Friedrich Ani nun sogar drei Verbrechen auf kunstvolle Art und auf verschlungenen Wegen. Das führt manchmal tief in die Vergangenheit und schließt ein nicht unbeträchtliches Personal ein. Sogar der Autor und sein Lektor haben sich nach eigenen Aussagen hin und wieder im Stoff verstrickt. Der vorliegende Text ist insgesamt die zehnte Fassung Anis.
„In meinem Spiegel taucht jeden Morgen eine Frau auf, der ich nicht traue. Wo waren sie, frage ich sie, zwischen Ihrem achtzehnten und achtundfünfzigsten Lebensjahr? Haben Sie Zeugen für Ihre Anwesenheit in dieser Zeit?
Viele entgegnete die Frau, Mörder Junkies, Wegelagerer des Verbrechens, von ihnen werden Sie die Wahrheit erfahren.
Die Wahrheit? Sie wollen mir etwas von Wahrheit erzählen? Ich glaube Ihnen kein Wort.“
Fariza Nasri
Oberkommissarin Fariza Nasri, stramm auf die sechzig zugehend, so unangepasst wie voll mit Selbstzweifeln, so engagiert wie einsam, hat wie ihr Autor bayrische und syrische Wurzeln. Wurzeln, die ihr aber wenig Halt gaben. Und auch im Dienst wehte ihr mehr als einmal ein strammer Wind entgegen. Wegen der Anzeige eines Kollegen, der sie sexueller Nötigung beschuldigte, war sie jahrelang der Bereitschaftspolizei zugeteilt. Eine Anklage die so unhaltbar war, wie sie klingt. Mit der ihr Kollege aber dennoch durchkam. Ihre Rückkehr zur Kriminalpolizei wird nicht überall gern gesehen.
Dabei war und ist sie eine sehr effektive Ermittlerin. Ihre Geduld, ihre Fähigkeit zuzuhören, so lange bis die Beschuldigten oder die Zeugen ins Reden kommen, sind ihre großen Stärken. Der Roman beginnt mit ihrer Vernehmung von Stephan Barig. Die Tochter seiner Lebensgefährtin, die siebzehnjährige Finja ist nach einem Wochenende in seinem Haus und einer dort stattfgefundenen Party verschwunden. Barig selbst war zu der Zeit mit Freunden in einer Waldhütte zum „Junggesellenabend“.
Toxische Männlichkeit
Wie diese regelmäßigen „Junggesellenabende“ aussehen – Alkohol und Prostituierte, die gegebenenfalls auch mal schwer misshandelt wurden – wirft ein erstes Licht auf das das gesamte Buch durchziehende Thema: Misogynie. Der unerklärliche, tiefe, unausrottbare Hass auf Frauen.
„Die Aussage der Nutte ist wertlos, wie der ganze Mensch.“
So Stephan Barig. Trotz seines Alibis wird sich Fariza Nasri weiter mit ihm beschäftigen. Dabei stößt sie zufällig auf einen alten, unaufgeklärten Todesfall, der sie ganz weit hinab führt in die Abgründe von Kindesmissbrauch, vernachlässigter Fürsorgepflicht und, immer wieder, Misogynie. Mörder und Mörderlein.
Während der Ermittlungen wird Farizas Freundin, die Kioskbesitzerin Catrin, in ihrer Wohnung überfallen und brutalst misshandelt. Sie liegt im Koma, schwebt zwischen Leben und Tod. Fariza ist zu stark persönlich betroffen, um ermitteln zu dürfen. Keine Frage, dass sie es dennoch tut. Auch hier: männliche Abgründe.
Cliffhanger
Friedrich Ani scheint Letzte Ehre mit einer gehörigen Wut im Bauch geschrieben zu haben. Eine mehr als berechtigte Wut. So analytisch-sezierend wie feinsinnig-poetisch ist sein Blick auf eine in Teilen immer noch zutiefst frauenverachtende Gesellschaft. Er erzählt, wie in allen seinen Romanen, voller Empathie von Menschen, die in ihr irgendwie verlorengegangen, die ihr weitestgehend schutzlos ausgeliefert sind.
Am Ende sind die drei Fälle gelöst, aber nichts ist gut. Das ist immer so in Friedrich Anis und nicht nur in seiner Welt. Diesmal lässt er uns Leser:innen aber nicht wie sonst mit einem melancholisch-nachdenklichen Ende zurück, sondern lässt das Buch mit einem Paukenschlag enden, einem wahren Cliffhanger. Diesmal wird die Wartezeit auf einen neuen Roman mit Fariza Nasri wohl besonders quälend lang.
Weitere Romane von Friedrich Ani:
Friedrich Ani – Der Narr und seine Maschine
Friedrich Ani – Ermordung des Glücks
Constanze von Zeichen und Zeiten hat das Buch ebenfalls besprochen
Beitragsbild: by Manuel W. (CC BY-NC 2.0) via Flickr
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Friedrich Ani – Letzte Ehre
Suhrkamp Mai 2021, fester Einband, 270 Seiten, € 22,00
eine wunderbare Besprechung. Ich habe den neuen Roman kürzlich beendet. Ein erschütterndes Buch, das einem den Atem nimmt. Große Krimi-Kunst! Besprechung folgt. Viele Grüße
Danke, liebe Constanze! Freue mich, dass du Ani auch schätzt. Liebe Grüße!