Ein Monat mit guter Lektüre liegt hinter mir, Urlaubsbeginn war im Juli und die ersten Neuerscheinungen für den Herbst 2021 trudeln ein – wie schnell die Zeit vergeht.
Einige gute Neuigkeiten kann ich nun bekanntgeben:
Ich darf dieses Jahr die Verleihung des Deutschen Buchpreises als eine von zwanzig offiziellen Buchpreisblogger:innen begleiten, was mich sehr freut. Im August wird es dazu einige Beiträge hier auf dem Blog geben. Auf meinem Instagram-Kanal habe ich schon begonnen, die vergangenen Preisträger vorzustellen.
Den Gastlandauftritt von Kanada auf der Frankfurter Buchmesse werde ich dieses Jahr auch begleiten dürfen. Schon ist aber auch wieder die Befürchtung da, dass die Messe gar nicht stattfinden kann. Abwarten.
Nun aber zunächst zu meiner im Juli beendeten Lektüre 2021.
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Christa Meier-Drave erzählt in Felix. Mit dem Fahrrad zur Musik aus dem Leben ihres 2007 verstorbenen Mannes Erwin. Genannt wurde er auch auch Felix, der Glückliche. Und trotz aller bekannten Härten seiner Generation, Jahrgang 1937 (NS-Diktatur, Krieg, Armut, Hunger) erscheinen die Episoden, die die Autorin in Notizen ihres Mannes entdeckte und die sie dann in Gesprächen mit Bekannten und Verwandten oder auch im Internet recherchierte, irgendwie glücklich. Bis in die Jugend von Erwins Vater Fritz zurück, den Großvater Simon, Beamter der Deutschen Reichsbahn, auf die Bildungschancen, die Erwin ermöglicht wurden, auf dessen große Liebe zur Musik blicken die Erinnerungen. Eine Kindheit und Jugend im ländlichen Deutschland, kleine Freiheiten mit dem Fahrrad, die große Liebe zur Musik.
Mich hat das Buch vor allem interessiert, weil meine Mutter, nur unwesentlich jünger als Meier-Drave, auch in Detmold groß wurde, auch mit Landwirtschaft, und oft davon erzählt. Im Buch sind viele liebevolle Zeugnisse wie Zeichnungen, Fotos oder Werbezettel integriert. Interessant ist es wahrscheinlich vor allem für Liebhaber von Regionalliteratur. Literarisch hat das Buch eher wenig zu bieten. Sprachlich bleibt es schlicht, die pädagogische Laufbahn seiner Autorin kaum verbergend. Gestört hat mich die verbreitete Kursivschreibweise für „besondere“ Wörter, von denen die Autorin vielleicht meint, dass sie die Leser:innen nicht kennen könnten oder die regional eingefärbt sind oder was auch immer. Dadurch bekommt die sonst durchaus interessante Erzählung etwas wirklich Grundschulhaftes. Ich werde das Buch ganz bestimmt meiner Mutter weiterreichen. Mal schauen, ob es die Zeitzeugin überzeugt.
Sigrid Undset – Kristin Lavranstochter. Der Kranz
Als ich 2019 zum Gastlandauftritt Norwegens auf der Frankfurter Buchmesse in dessen Literaturgeschichte und den Autor:innen-Verzeichnissen stöberte, stieß ich immer wieder auf einen Namen: Sigrid Undset. 1928 erhielt die Norwegerin Sigrid Undset den Literaturnobelpreis, vor allem für ihre Mittelalter-Trilogie um eine eigenwillige Frau – Kristin Lavranstochter. Jetzt wird der Romanzyklus im Kröner Verlag neu herausgegeben und startet mit Teil 1 – Der Kranz.
Die Kindheits- und Jugendjahre, vor allem ihre Liebesgeschichte und ihr Widerstand gegen die geplante Vermählung stehen im Zentrum dieses Teils. Äußerst lebendig und packend erzählt, gefiel mir der erste Teil des Kranzes ausnehmend gut. Da ich generell keine Freundin von Liebesgeschichten, Leid und Leidenschaften bin, muss ich zugeben, dass mir das im Verlauf dann ein wenig zu viel wurde. Die nächsten zwei Bände beschäftigen sich mit der „gereiften“ Kristin. Davon verspreche ich mir noch mehr. Trotz der Einschränkung habe ich den historischen Roman sehr gern gelesen, konventionell erzählt, aber sehr dicht und atmosphärisch.
1995 erschien Die Hochzeit zum ersten Mal, drei Jahre vor Dorothy Wests Tod und wurde ein großer Erfolg.
Schauplatz des Romans ist Martha´s Vineyard, jene Nobelferieninsel vor der Küste Massachusettes, wo die Reichen der Ostküste ihre Ferienvillen besitzen. Es ist ein Spätsommertag im Jahr 1953, der Tag der Hochzeit von Shelby Coles. Die Familie Coles besitzt ein Haus im „Oval“, der Siedlung der afroamerikanischen Oberschicht. Die Familie Coles ist, auch durch die Urgroßmutter, die eine Südstaaten-Weiße ist, eine sehr hellhäutige Familie, die sich darauf auch einiges zugutehält. Dass Shelbys Schwester Liz einen sehr dunkelhäutigen Mann geheiratet hat und auch ihre Tochter Laurie dunkel ist, sieht man gar nicht gern. Andererseits ist man auch von Shelbys Bräutigam, dem weißen Jazzmusiker Meade wenig begeistert. Irgendwie ist man ja doch rassenbewusst und außerdem hat Meade nicht nur den falschen Beruf, sondern stammt auch aus keiner vornehmen Familie.Farbnuancen der Haut als Distinktionsmerkmale spielen in Die Hochzeit für Dorothy West eine ebenso große Rolle wie Klassenunterschiede. Wie vielschichtig und komplex die sozialen Schichtungen waren und wie komplex deshalb die Identitätsbildung, zeigt das Buch auf eindrückliche Weise. Ebenso, wie absurd diese ganzen Klassifizierungen waren und sind. Schön, dass ein so fein, psychologisch genau und ruhig erzählter Roman wie Die Hochzeit dadurch auch wieder Aufmerksamkeit erhält. Ein wenig altmodisch, mehr 1950er als 1990er Jahre im Erzählstil, wenig kämpferisch, dafür aber wunderbar zu lesen und fesselnd.
Einen Dreh ins Absurde, manchmal leicht Surreale, den oft bitterbösen Humor und den tiefschwarzen Blick auf die Welt haben eigentlich alle der 19 Geschichten in Grand Union. Dabei bleibt Zadie Smith immer auch selbstironisch, denunziatorisch ist keine der Stories in Grand Union. So moralisch die Autorin hier ist – ihre entschiedene Haltung kommt immer durch -, so wenig moralisierend kommt das Buch daher. Einen erhobenen Zeigefinger sucht man vergebens. Ebenso aber auch Antworten auf die angestoßenen Fragen. Krisen und Depression sind genauso Thema wie das „schicke“ Leben Downtown Manhattan; die Auswüchse einer Woke-Kultur und Denunziationen in den sozialen Medien ebenso wie das träge Mitschwimmen im Mainstream. Inhaltlich und stilistisch sehr divers, muss man sich einlassen auf die Geschichten , sie vielleicht auch eher einzeln als am Stück lesen. Dann kann man einer großartigen Autorin nicht nur beim sprachlichen Experimentieren zuhören, sondern auch sehr viel aus diesen diversen Texten mitnehmen. Bei mir klingen viele davon sicher noch lange nach.
Mit Brunetti durchs Leben
Ein „Brevier für nachdenkliche Optimisten“, herausgegeben von Gabriella Gamberini Zimmermann, ein „ABC der Lebenskunst“ – versammelt Gedanken und Gesagtes des berühmten venezianischen Kommissars und ist nun wirklich etwas für Liebhaber der Krimi-Serie von Donna Leon, zu denen ich mich bekenne. Ein schönes Buch zum 30. „Dienstjubiläum“.
Donna Leon – Flüchtiges Begehren
Und dies ist der 30. Fall, mit dem Donna Leon ihre Leser:innen pünktlich wie jedes Jahr im Mai versorgt.
Ein melancholischer und überraschenderweise gealterter Commissario verfolgt mit seiner Kollegin Griffoni in Flüchtiges Begehren wieder sehr intuitiv dunkle Machenschaften rund um die Lagune. Zwei amerikanische Touristinnen wurden schwer verletzt vor den Türen des städtischen Krankenhaus gefunden. Sehr schnell sind auch zwei junge Venezianer gefunden, die diese nach einem Bootsunfall dort zurückgelassen haben. Aber warum haben sie keine Hilfe geholt und sind so nervös? Brunetti wittert dahinter Kriminelles. Ein wie immer atmosphärischer, eher gemächlicher Krimi, der zum Ende ordentlich anzieht.
Timon Karl Kaleyta – Die Geschichte eines einfachen Mannes
Nachdem mich Timon Karl Kaleytas Beitrag zum diesjährigen Ingeborg Bachmann-Preis schon nicht vom Hocker gerissen hat – obwohl er die Jury durchaus für sich gewinnen konnte und den 3sat-Preis erhielt -, war ich ein wenig skeptisch, als unser Debütpreis-Lesekreis dieses Buch auswählte. Um es kurz zu machen – diese Geschichte eines völlig weltfremden, selbstverliebten und von der eigenen Bedeutung völlig überzeugten jungen Kerls war für mich vergeudete Lebenszeit. Keine neuen Erkenntnisse, wenig Unterhaltungswert der launig gemeinten Story, gewollt nerviger Protagonist, unglaubwürdige Handlung und Personal, sprachlich unbedeutend – ich verstehe nicht, warum man dieses Buch lesen sollte.
Carole Fives – Kleine Fluchten
Ein schmaler französischer Roman über ein wichtiges Thema.
Die bis zum Schluss namenlos bleibende Ich-Erzählerin ist alleinerziehende Mutter eines kleinen Jungen. Ganz dicht bleiben wir Leser:innen dran an ihrer Liebe und Zärtlichkeit für das Kind; an ihrer täglichen Überforderung und ihren Existenzängsten; an ihrer Hoffnung auf Rückkehr in ihren Beruf als freie Grafikdesignerin und ihrer Sehnsucht danach, wieder am sozialen Leben teilnehmen zu können, Freundinnen zu treffen, auszugehen, der Isolation zu entkommen. Ein Großvater wird zwar erwähnt, sehr engagiert und hilfreich scheint er aber auch nicht zu sein. Der Erzählerin fehlt ein schützendes soziales Netz. Sie kämpft völlig allein.
Der Vater des Jungen hat sich davongemacht, ihr die allein nicht bezahlbare Wohnung zurückgelassen, leistet keinerlei Unterhalt. Sie träumt immer noch davon, dass er eines Tages zurückkommt. Bis dahin leistet sie sich „kleine Fluchten“, zunächst nur wenige Minuten abends allein auszugehen. Die Ausflüge werden immer länger, die Leserin fürchtet Schlimmes. Es bleibt bis zum unerwarteten Ende spannend. Empfehlenswert!
Das war meine Lektüre im Juli 2021. Nach meinem Urlaub werde ich mich auf die Herbstneuerscheinungen stürzen, Literatur aus Kanada vorstellen und auch hier einen Rückblick auf die bisherigen Preisträger des Deutschen Buchpreis machen. Bevor dann am 24. August die Nominierten der Longlist 2021 bekanntgegeben werden. Dann wird auch mein Patenbuch ausgelost und es heißt #buchpreisbloggen. Bis dahin, habt eine gute Zeit!
Dorothy West „Die Hochzeit“ habe ich mir gleich mal auf den Merkzettel gepackt. Und diese Mittelalter-Trilogie schau ich mir beizeiten näher an. Es bleibt dabei, dass Dein Blog immer einen (und oft sogar mehrere) Besuch(e) wert ist. Nur mein Sparkassenkonto kann Dich überhaupt nicht mehr leiden. 😉
Liebe Grüße und schönes WE
Stefan
Damit kann ich leben, lieber Stefan. sowohl mit der Abneigung, die dein Konto mir entgegenbringt, als auch mit deiner Zuneigung zu meinem Blog 🙂 Freue mich immer sehr über deine Kommentare. Liebe Grüße, Petra