Nur zwei Romane veröffentlichte die afroamerikanische Autorin Dorothy West neben zahlreichen Erzählungen in den 91 Jahren ihres Lebens. Der ersten, The living is easy, erschien 1948. Da war West 41 Jahre alt. Der Erfolg blieb aus, vielleicht weil das Publikum von einer Schwarzen Autorin etwas anderes erwartete. West, die aus einer der reichsten Familien Bostons stammte – der Vater wurde noch als Sklave geboren, kam dann aber mit Lebensmittelhandel zu Geld -, schrieb über das wohlhabende Schwarze Bürgertum. Chauffeure, Kricket-Turniere auf gepflegtem englischen Rasen, Ferien auf Martha´s Vineyard, das war nicht das, was man von Autor:innen der Harlem Renaissance erwartete. Dieser sozialen, kulturellen und künstlerischen Bewegung, die ein neues Selbstbewusstsein der Schwarzen Bevölkerung ausdrücken wollte, fühlte sich Dorothy West zugehörig. Allerdings war sie wenig politisch, die radikalen Black Panther und Malcolm X verachtete sie regelrecht. Erst die Überredungskünste einer Nachbarin auf Martha´s Vineyard, einer Lektorin namens Jackie Kennedy Onassis, ermutigten Dorothy West, ihren zweiten Roman Die Hochzeit zu vollenden. Er erschien 1995, drei Jahre vor Wests Tod und wurde, auch dank der Unterstützung von Oprah Winfrey, ein Erfolg und prominent verfilmt.
Martha´s Vineyard
Schauplatz des Romans ist Martha´s Vineyard, jene Nobelferieninsel vor der Küste Massachusettes, wo die Reichen der Ostküste ihre Ferienvillen besitzen. Es ist ein Spätsommertag im Jahr 1953, der Tag der Hochzeit von Shelby Coles. Die Familie Coles besitzt ein Haus im „Oval“, der Siedlung der afroamerikanischen Oberschicht. Die Familie Coles ist, auch durch die Urgroßmutter, die eine Südstaaten-Weiße ist, eine sehr hellhäutige Familie, die sich darauf auch einiges zugutehält. Dass Shelbys Schwester Liz einen sehr dunkelhäutigen Mann geheiratet hat und auch ihre Tochter Laurie dunkel ist, sieht man gar nicht gern. Andererseits ist man auch von Shelbys Bräutigam, dem weißen Jazzmusiker Meade wenig begeistert. Irgendwie ist man ja doch rassenbewusst und außerdem hat Meade nicht nur den falschen Beruf, sondern stammt auch aus keiner vornehmen Familie.
Farbnuancen der Haut als Distinktionsmerkmale spielen in Die Hochzeit für Dorothy West eine ebenso große Rolle wie Klassenunterschiede. Wie vielschichtig und komplex die sozialen Schichtungen waren und wie komplex deshalb die Identitätsbildung, zeigt das Buch auf eindrückliche Weise. Ebenso, wie absurd diese ganzen Klassifizierungen waren und sind. Das wird besonders deutlich in der Episode, als die sechsjährige Shelby sich eines Tages auf Martha´s Vineyard verirrt. Eine großangelegte Suchaktion scheitert daran, dass in der Vermisstenmeldung nach einem „farbigen Kind“ gesucht wird, Shelby aber blond und blauäugig ist.
Rückblenden
Nicht nur bis in die 1930er Jahre, in der diese Episode spielt, reichen die Rückblenden, ausgehend vom Tag der Hochzeit, zurück. Bis zu den Vorfahren von Shelbys Vater, dem Harvardabsolventen und erfolgreichen Arzt Clark Coles, reichen die Fäden. Da wurde einst vom Sklavenhalter Old Sir mit seiner Sklavin Ebenholzfrau die zartbraune Butternussfrau gezeugt. Deren ehrgeiziger und heilkundiger Mann, Preacher genannt, legte praktisch den Grundstein für einen Familienzweig mit Ärzten. Und die blaublütige Südstaaten-Urgroßmutter Caroline der mütterlichen Linie verarmte nach dem Bürgerkrieg, da ihr Vater auf der falschen Seite stand. Mit großem Kummer musste sie ertragen, dass ihre Tochter den Sohn ihrer Schwarzen Hausangestellten ehelichte.
So vielschichtig wie komplex, so prägend wie absurd, wird die Bedeutung von Rassen- und Klassenunterschieden dargelegt. Gerade auch der Rassismus, der innerhalb der BPOC-Gemeinde herrschte oder auch immer noch herrscht, und sich gerade obsessiv mit der Hautfarbe beschäftigt, ist in letzter Zeit häufiger in Romanen thematisiert worden, beispielsweise in Brit Bennetts Die verlorene Hälfte. Im Herbst erscheint auch der fast kanonische Roman zum Thema, Seitenwechsel von Nella Larsen, die auch der Harlem Renaissance angehörte, neu. Die Leser:innenschaft ist mittlerweile sensibilisierter und interessierter an der Thematik. Das ist sehr positiv. Schön, dass ein so fein, psychologisch genau und ruhig erzählter Roman wie Die Hochzeit dadurch auch wieder Aufmerksamkeit erhält. Ein wenig altmodisch, mehr 1950er als 1990er Jahre im Erzählstil, wenig kämpferisch, dafür aber wunderbar zu lesen und fesselnd.
Photo by Aubrey Odom on Unsplash
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