Ayelet Gundar-Goshen – Wo der Wolf lauert

„Ich sehe im Geist diese winzigen Fingerchen, die eines Neugeborenen, und versuche zu begreifen, wie sie zu den Fingern eines Mörders heranwachsen konnten.“ Ein Satz, der seine Leser:innen magnetisch hineinzieht in den neuen Roman der israelischen Bestseller-Autorin Ayelet Gundar-Goshen – Wo der Wolf lauert.

Eigentlich hatten Leilach und Michael Schuster gehofft, bei ihrer Übersiedlung von Israel ins Silicon Valley ein für alle Mal die Angst vor diesen „Wölfen“ zurückzulassen. Die Angst vor Bombenanschlägen, Selbstmordattentätern und antisemitischen Bedrohungen. Als Manager in einer Firma, die digitale Sicherheitstechnik auch an das Pentagon verkauft, verdient hier Michael sehr gut. Das Wohnviertel in Palo Alto ist sehr gepflegt, die Nachbarschaft nett und die Schule, auf die ihr sechzehnjähriger Sohn Adam geht, angesehen. Sicherheit ist ein großes, beruhigendes Thema.

In diese Idylle bricht der grauenhafte Anschlag auf die örtliche Synagoge, bei dem vier Frauen verletzt und ein junges Mädchen getötet wird. Nach siebzehn Jahren in den USA müssen die Schusters erkennen, dass sie dem Nahost-Konflikt nicht ganz entronnen sind. Er hat sie auf ihrer Insel der Sicherheit eingeholt.

Wie gut kennt man das eigene Kind?

Zunächst widerwillig, dann zunehmend begeistert, nimmt Adam an einem jüdischen Selbstverteidigungskurs beim ehemaligen Eliteoffizier Uri Levi teil. Dessen Methoden sind rüde, man munkelt, er habe einst für den Mossad gearbeitet. Leilach fürchtet eine nationalistische Radikalisierung und Brutalisierung ihres Sohnes, erliegt aber wie ihr Mann zumindest zeitweise dem Charisma Uris. Die Ereignisse spitzen sich zu, als bei einer Party ein Klassenkamerad zu Tode kommt. Drogen sollen im Spiel gewesen sein. Aber auch ein Gerücht zieht Kreise: Adam sei verantwortlich für Jamal Jones Tod.

Der Schwarze Jamal stammt aus eher schwierigen familiären Verhältnissen, hatte Verbindungen zur Nation of Islam und hatte Adam wohl schon seit einiger Zeit drangsaliert. Lilach wirft sich vor, das nicht bemerkt zu haben, auch nicht, als immer wieder Dinge, wie neue Turnschuhe, ein Skateboard etc. verschwanden. Lilachs Nervosität und Angst steigen als Schmierereien an der Schulhofmauer auftauchen, Steine gegen ihr Haus geworfen werden, die Polizei eine Hausdurchsuchung durchführt. Uri unterstützt die Schusters nach allen Kräften. Doch wo liegen hier Gut und Böse? Was kann man glauben? Auf wen sich verlassen? Auf das eigene Kind?

themenvielfalt und genaue figurenzeichnung

Ayelet Gundar-Goshen bietet kaum Gewissheiten, dafür ist das Thema von Wo der Wolf lauert auch zu komplex. Kein Schwarz, kein Weiß, viele Leerstellen. Im Gegenzug ist die Autorin, selbst studierte Psychologin, sehr genau in ihrer Figurenzeichnung. Sie liefert treffende Psychogramme ihrer Protagonisten, beleuchtet feinfühlig das Eltern-Kind-Verhältnis, aber auch die Dynamik zwischen den Elternteilen.

Neben den Themen Antisemitismus, Rassismus und Klassismus behandelt Ayelet Gundar-Goshen auch Fragen wie die Rolle der Frau in der amerikanischen Gesellschaft, soziale Spannungen, Gruppendynamiken, Fehlgeburt, Versorgung alter Menschen etc. Dass es ihr gelingt, das alles gelungen einzubinden ohne die Geschichte zu überfrachten, ist genauso bemerkenswert wie die enorme Spannung, die sie bis zum Ende wahrt.

 

Marina hat auf Literatur leuchtet das Buch auch besprochen, ebenso Petras Bücherapotheke

 

Beitragsbild by Philipp Krapp (CC BY-NC-SA 2.0) via flickr

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Ayelet Gundar-Goshen – Wo der Wolf lauert.

Ayelet Gundar-Goshen – Wo der Wolf lauert
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Kein und Aber Juli 2021, 352 Seiten, gebunden, 25,00 EUR

5 Gedanken zu „Ayelet Gundar-Goshen – Wo der Wolf lauert

  1. Der Beitrag bringt mich zum Nachdenken! Wie wäre ein ständiger Austausch durch gegenseitige Kommentare oder einfach nur als FOLLOWER ? Zum Lesen empfohlen meine jüngsten Beiträge: „Hund des Herrn, Ketzer oder gar beides – der Thüringer Meister Eckhart“ (www.wordpress.com/post/josias.blog/1103), „Heinrich von Kleist und der Gothaische Circle“ – zum Wirken des Theologen J.F.C. Löffler in Frankfurt/Oder und Gotha (www.wordpress.com/post/josias.blog/911), „Adolf Sydow – Kirche und Politik“ (www.wordpress.com/post/josias.blog/364). Mit freundlichen Grüßen Dr. Dieter Weigert, Berlin

    1. Lieber Dieter Weigert, das freut mich. Ich bin allerdings zumindest zur Zeit ein recht undankbarer Follower, da aus Zeitgründen ein wirklicher Austausch meist nicht möglich ist. Ihren Links konnte ich übrigens leider nicht folgen, da sie mich ins www-Niemandsland schickten. Viele Grüße!

  2. Hatte es gestern bereits auf dem Merkzettel, dann doch entfernt – und jetzt kommst du wieder um die Ecke. 😉 Jetzt muss ich das wohl rückgängig machen.

    Eine kurze, aber doch so informative und vor allem appetitanregende Rezension. Ich habe es ja schon oft gesagt, aber loben kann man bekanntlich nie genug – Dein Blog ist einfach fantastisch!
    Danke und LG aus der kriminellen Gasse
    Stefan

    P.S. Komm gut durch die Woche!

    1. Lieber Stefan,

      vielen lieben Dank! Es ist so schön, so treue Leser:innen zu haben. Im Moment bin ich selbst ein bisschen nachlässig beim Vorbeischauen auf anderen Blogs. Knappe Zeit, zu viele Projekte. Muss heute abend mal wieder eine runde drehen…
      Für mich das erste Buch der Autorin. Mich hat es aber sehr gepackt. Hat einen Platz auf deinem Merkzettel verdient! Liebe Grüße, Petra

      1. Naja, die Blogs laufen Dir auch nicht weg. Und man hat ja nicht immer die Zeit, um sich anderswo Appetit zu holen. Gottseidank – sonst käme der Bankrott noch schneller. 🙂
        Wie gesagt, das Buch war gestern bereits im Blickfeld, aber ich war noch am überlegen. Deine Meinung ist jedoch Prädikat genug, um der Autorin mal ne Chance zu geben, zumal mich die Handlung ohnehin schon neugierig macht.
        LG zurück!

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