Christian Dittloff – Niemehrzeit

Trauerbücher und Texte über den endgültigen Abschied von geliebten Menschen gibt es viele. Und auch Christian Dittloff macht von Anfang an klar, dass er mit seiner Niemehrzeit. Das Jahr des Abschieds von meinen Eltern in einer langen Tradition steht. Zitate aus Peter Härtlings Nachgetragene Liebe und Motti von Annie Ernaux, Joan Didion und Roland Barthes leiten in das Buch hinein. Besonders des Letzteren „Nie mehr, nie mehr!“ hatte sicher nicht unbeträchtlich Anteil an der Wahl des Buchtitels.

Innerhalb von vier Monaten starben 2018 sowohl Vater als auch Mutter des Autors. Das ist erschütternd und kann dem Hinterbliebenen den Boden unter den Füßen fortziehen. Aber um einen Text zu mehr als einem Stück Verarbeitungs- oder Selbstverortungsliteratur zu machen, zu mehr als einem Trostbuch oder einer berührenden, aber schon so oft gelesenen Familiengeschichte, braucht es einen besonderen Ansatz, eine spezielle Herangehensweise. Beides ist Christian Dittloff in Niemehrzeit meiner Meinung nach sehr gut gelungen.

Behütetes Kind

Christian wächst als Einzelkind sogenannter später Eltern auf, behütet, umsorgt. Seine Kindheit und Jugend sind mit den typischen „Erkennungsmarken“ der späten 1980er und 90er Jahre versehen. Beide Eltern haben gescheiterte erste Ehen hinter sich, beide arbeiten, beide haben zunehmende gesundheitliche Probleme. Beide lieben ihren einzigen Sohn, gestatten ihm aber, so erscheint es zumindest, früh ein eigenes, unabhängiges Leben und sie bewahren sich auch selbst ein solches. Das Verhältnis zum erwachsenen Sohn scheint nicht übermäßig eng gewesen zu sein. Man telefoniert regelmäßig, besucht sich hin und wieder nachdem Christian von Hamburg fort nach Berlin gezogen ist, verbringt Feiertage zusammen. Eine „ganz normale“ Familie.

Ganz normal sind auch das schlechte Gewissen, das den erwachsenen, einzigen Sohn fern ab der zunehmend gebrechlichen Eltern hin und wieder plagt, und die Einsicht, dass nach all den zusammen verbrachten Jahren und all der physischen und emotionalen Nähe die Eltern doch irgendwie fremd bleiben. Besonders die Jahre vor der eigenen Geburt sind unbekanntes Land.

Anders als viele seiner Schriftstellerkolleg:innen, die das gleiche Thema bearbeitet haben, versucht Christian Dittloff in Niemehrzeit nun aber nicht, diese verborgenen Leben zu rekonstruieren, nachzuempfinden. Die Kapitel „Vater, faktisch betrachtet“ und „Mutter, faktisch betrachtet“ sammeln Informationen über sie zusammen. Klar bleibt aber, dass man so nicht wirklich nah herankommt. Was waren ihre Träume, ihre Sehnsüchte und Hoffnungen? Wer waren sie, abseits ihrer Rolle als Vater bzw. Mutter? Christian Dittloff versucht erst gar nicht, das genau zu entschlüsseln. Am nahesten kommt er dem vielleicht mit einem Foto, das eine zentrale Stellung im Text einnimmt und – künstlerisch bearbeitet – das Cover schmückt: Ingrid und Hans Dittloff in sommerlicher Freizeitkleidung unter einer Palme auf Hawaii.

Trauerndes Kind

Niemehrzeit ist also weniger ein Buch über die verstorbenen Eltern oder die Beziehung zu ihnen. Es ist, der Untertitel verrät es ja, ein Buch über den Abschied. Ein Abschied, der sehr dicht aufeinander folgte und zudem noch in die Zeit der Veröffentlichung von Christian Dittloffs erstem Buch Das weiße Schloss fiel. Ein Abschied, der ein ganzes Jahr und darüber hinaus andauerte, den Autor in seinem Selbstbild ordentlich durchrüttelte und zeitweise schlichtweg überforderte.

Christian Dittloff spricht darüber so ehrlich, offen, so verletzlich und ungeschützt, wie ich es bisher nur selten gelesen habe.

„Das hier ist kein Brief an den Vater, kein Versuch, die Mutter zu fassen. Dieses Schreiben gilt mir.“

Das Schreiben hilft, aber auch das Lesen. So ist das Abschiedsbuch auch eine große Hommage an die Literatur. Didion, Barthes, Ernaux, Härtling, Abhandlungen über die Geschichte des Todes – Dittloff liest sich und schreibt sich zurück ins Leben. Wichtig dabei, und das wird er nicht müde zu erwähnen, sind auch die Freunde und vor allem die Partnerin C. So gibt es im Jahr des Abschieds auch immer Momente des Glücks, der Ausgelassenheit, stehen Witz neben Rührung und Trost neben Verzweiflung. Der Autor gibt dabei intensiven Einblick in seinen Schreibprozess und die Veränderungen, die sein Text im Verlauf erfahren hat.

Dies und die so offene, detailreiche Schilderung seines Trauerjahres machen zusammen mit der feinen Sprache des Autors dieses Abschiedsbuch zu einem ganz besonderen.

 

Eine weitere Rezension findet ihr bei Poesierausch

Beitragsbild via Pixabay

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Christian Dittloff - Niemehrzeit.

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Christian Dittloff – Niemehrzeit 
Berlin Verlag Juli 2021, 224 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, € 20,00

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