Hanne Ørstavik – Ti amo

Wie soll man damit umgehen, dass ein nahestehender, geliebter Mensch stirbt? Ein Mensch, mit dem man Tag für Tag das Leben und das Bett teilt? Wie soll man damit umgehen, dass dieser Mensch nicht über seinen Tod, nicht über sein Sterben, kaum über seine Krankheit und sein Befinden sprechen möchte? Wie soll man mit der großen Einsamkeit und dem Schmerz, die diese Sprachlosigkeit hervorruft, umgehen? Fragen, die sich Hanne Ørstavik in ihrem schmalen Text Ti amo stellt.

Ich scheue davor zurück, das vom Verlag gewählte „Roman“ zu verwenden, nicht nur wegen der Kürze des Textes (108 Seiten), sondern vor allem, weil Hanne Ørstavik hier noch viel mehr als in vergangenen Büchern autobiografisch schreibt. Es ist ihr Ehemann, der italienische Verleger Luigi Spagnol, bei dem im Herbst 2018 Bauchspeicheldrüsenkrebs festgestellt wurde, und der im Juni 2020 starb. Hannes Buch Roman. Milano, in dem sie über ihre Liebe zum zu Beginn noch verheirateten Mann, ihre Zweifel an der Beziehung und ihren Umzug in seine Heimatstadt Mailand erzählte, gelangte gerade in die Veröffentlichungsphase, als die Krankheit diagnostiziert wurde.

Geschrieben hat Hanne Ørstavik ti amo im Januar 2020, in gerade mal zehn Tagen. Sie brauchte ein Ventil für ihren Schmerz über die immer stärker werdenden Schmerzen des geliebten Mannes, der schließlich nur noch mit großen Dosen Morphin leben konnte. Für die Hilflosigkeit angesichts der Weigerung des Todkranken, seinem Sterben ins Auge zu sehen, darüber mit ihr zu sprechen. Stattdessen versichern er und Hanne sich mantraartig ihrer Liebe, „Ti amo“ – Ich liebe dich.

Wer aus dem Roman. Milano weiß, wie schwer sich die Protagonistin – damals noch nicht offen autobiografisch – mit der Eingewöhnung in diese große Liebe und in die neue Umgebung Mailand getan hat, erfasst die besondere Tragik darin, dass diese so mühsam errungene Beziehung nur so kurz währen durfte. Besonders schwer muss es der Autorin gefallen sein, mit niemanden offen reden zu können. Der Patient verdrängt, die Ärzte schweigen, von belastbaren Freundschaften ist nicht die Rede. Die Einsamkeit der Hanne Ørstavik muss groß gewesen sein. Der Text ist an ein „Du“ adressiert, ein Du, dass sich dem Gespräch entzieht.

„Ich liebe dich, schrieb ich. Ich liebe dich, schreibe ich, sage ich, als es Abend geworden ist und du zur Tür hereinkommst. Immer noch kommst du zur Tür herein, wenn es Abend ist. Noch bist du hier, bei mir. Und dies, was ich hier geschrieben habe, ist für mich die wahrste Form des Bei-dir-Seins gewesen, angesichts all der Dinge, die wir einander nicht sagen können in diesen Tagen.“

Aber Ti amo ist trotz der großen Traurigkeit, die in ihm aufgehoben ist, doch auch hoffnungsvoll. Es ist auch ein Buch des Aufbegehrens gegen den Tod. Es kämpft für das Leben. Bei einem Mexikoaufenthalt spürt die Erzählerin, dass es sie hinzieht zum Lebendigen, zum Starken, zur Zukunft, zu einem neuen Roman. Dass in ihr immer noch ein Feuer brennt.

Einen solch ehrlichen, sich völlig offenbarenden Text literarisch zu beurteilen, fühlt sich fast falsch an. Dennoch: er ist von großer Poetizität und sprachlicher Schönheit. Und damit auch formal ein ganz besonderes Stück Literatur.

 

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Hanne Orstavik - Ti amo.

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Hanne Ørstavik – Ti amo
Aus dem Norwegischen von Andreas Donat
Karl Rauch Verlag August 2021, 112 Seiten, gebunden, € 18,00 

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