Bov Bjerg – Deadline

Den jüngst erschienenen Roman Deadline des erfolgreichen Schriftstellers Bov Bjerg begleitet eine häufig erzählte Geschichte. 2008 als Debüt des Lesebühnenautors und Literaturinstitutsabsolventen beim Mitteldeutschen Verlag in einer Auflage von 750 Exemplaren erschienen, verkauften sich davon lediglich 224. Die Restauflage, die bei der steigenden Bekanntheit des Autors spätestens nach seinem sehr erfolgreichen Roman Auerhaus (im vergangenen Jahr erhielt Serpentinen dann sogar eine Shortlist-Platzierung beim Deutschen Buchpreis), durchaus nochmal Beachtung hätte finden können, wurde bei einem Lagerbrand 2013 komplett vernichtet. Nun also die Neuauflage im neu gegründeten Kanon-Verlag – wie passend.

Leser:innen von Auerhaus und Serpentinen werden durchaus bekannte Motive auch in Deadline wiederfinden, auch ein spezieller Bov Bjerg-Humor ist bereits da. Ansonsten ist der Debütroman experimenteller, vielleicht auch origineller und voller Sprachspielereien.

Heimfahrt

Ich-Erzählerin ist Paula, Donuts liebende, übergewichtige Übersetzerin von Gebrauchstexten, der wir zu Beginn in Boston begegnen. Hier lebt sie, sozial wenig eingebunden, von einer beruflichen Deadline zur nächsten hetzend. Dabei ist ihr Pünktlichkeit besonders wichtig. (Warum das so ist, erfahren die Leser:innen bestürzt erst gegen Ende des schmalen Romans.) Ausgerechnet nun aber, auf dem Weg in die schwäbische Heimat, wo auf dem Friedhof die Liegezeit des Vaters abläuft und Paula sich gemäß einer Familientradition um den zu entfernenden Grabstein kümmern muss, ausgerechnet jetzt kommt sie zu spät zum Flughafen und verpasst ihren Flug.

Der Zwangsaufenthalt in Boston führt dazu, dass Paula eine andere wichtige „Deadline“ verpasst – ihre Mutter erleidet kurz vor ihrer Ankunft einen Schlaganfall, wird zum Pflegefall und verstirbt schließlich. Es ist, auch das erfahren wir bestürzt, nicht Paulas erste verpasste „Deadline“.

Internet-Lyrik

Bov Bjerg spielt mit dem Motiv der Deadline – Abgabefrist, Lebensfrist, Frist für menschliche Beziehungen. Der Tod nimmt hier eine dominierende Rolle ein – wie in Auerhaus und Serpentinen. Bjerg spielt aber vor allem auch mit der Sprache. Nach eigenem Bekunden ist der Text inspiriert von Internet-Lyrik. Auflistung von Suchmaschinen-Ergebnissen, Aneinanderreihung von Bezeichnungen, Synonyme, die abgetrennt durch Senkrechtstriche treiben durch Paulas Bewusstseinsstrom. Dadurch erhält der Text eine ganz eigene Rhythmisierung und Musikalität.

Paula leidet unter einem von ihr so bezeichneten „Merkzwang“. Alle Dinge, die sie sieht, hört und fühlt, werden registriert, klassifiziert und katalogisiert. Das hat etwas absolut zwanghaftes. Alles zu kontrollieren, immer den Überblick zu behalten, keine Fehler zu machen, nicht zu spät zu kommen – dahinter steht eine sich selbst auferlegte Schuld.

Die Einbindung von Internet und einem irritierenden deutsch-englischen BusinessSprech Paulas ist sicher heute nicht mehr ganz so innovativ wie es vor fünfzehn Jahren war, dennoch wirkt der Text keineswegs angestaubt oder gealtert. Das liegt sicher daran, dass sie nur Stilmittel und nie Selbstzweck sind. Im Mittelpunkt von Deadline steht Paulas brüchige Existenz, die auf einer frühen traumatischen Begebenheit fußt.

Boden

Apropos „fußt“. Der Boden und seine Beschaffenheiten sind ein wichtiges, stets wiederholtes Motiv im Roman. Der Vater, von Beruf Steinmetz und Fertiger von Grabsteinen für die dörfliche Gemeinde, hat nach Auflösung der Grabstellen die abzutragenden Steine im eigenen Garten „recycelt“. Terrasse, Gartenwege, Schwimmbeckenumkleidung – für alles konnten die ehemaligen Grabmale verwendet werden. Gegen Ende treffen wir Paula, wie sie den abgetragenen Stein des Vaters bearbeitet. Ihren Namen einschreibt, nur um ihrer beider Namen gleich wieder zu löschen. Das eigentliche Ende bleibt einigermaßen nebulös. Was nur zu begrüßen ist.

Eine spannende Neuauflage. Wie schön, dass der Text nur vorübergehend seine „Deadline“ erreicht hatte und nun von neuem lebt.

 

Beitragsbild by Jonathan Bliss (CC BY-NC-SA 2.0) via flickr

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Bov Bjerg - Deadline.

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Bov Bjerg – Deadline

Kanon Verlag August 2021, 176 Seiten, gebunden, € 22,00

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