Yaa Gyasi – Ein erhabenes Königreich

Die ghanaisch-amerikanische Autorin Yaa Gyasi begeisterte bereits mit ihrem Debütroman Heimkehren, einem klug konstruierten, Generationen und Jahrhunderte umspannenden Familienroman. Nun hat Yaa Gyasi ihren zweiten Roman, übersetzt von Anette Grube, unter dem Titel Ein erhabenes Königreich auch auf Deutsch veröffentlicht.

Ich-Erzählerin ist die jungen Neurowissenschaftlerin Gifty. Sie arbeitet an einer Studie zur Erforschung von Suchtverhalten mit Labormäusen. Diese versorgt sie mit einem Energydrink, Ensure, der ein Anabolikum enthält und die Mäuse süchtig macht. Die Nager können sich mit einem Hebel selbst damit versorgen. Nach einer Weile, wenn das Suchtverhalten bereits ausgeprägt ist, wird ihnen bei Betätigung des Hebels ein kleiner Stromstoß versetzt. Einige der Mäuse hören sofort auf, den Hebel zu betätigen, andere erst nach einigen unangenehmen Versuchen, andere bleiben dabei, auch wenn die Stromstärke erhöht wird. Bei diesen Tieren untersucht Gifty daraufhin die Hirntätigkeit. Ziel ihrer Forschungen ist, nicht nur das Suchtverhalten zu untersuchen, sondern Möglichkeiten einer Hirnstimulation, die es unterdrücken könnten, zu finden.

Giftys Geschichte

In Rückblenden auf Giftys Kindheit erfahren die Leser:innen, welches Erlebnis sie zu diesem ehrgeizigen Forschungsprojekt geführt hat. Giftys älterer Bruder Nana, ein hoffnungsvoller und talentierter Basketballspieler, entwickelte als Jugendlicher eine Opioid-Sucht, nachdem er diese gegen verletzungsbedingte Schmerzen verordnet bekommen hatte.

In den USA wurden seit der Jahrtausendwende infolge aggressiver Werbemaßnahmen und intensiver Lobbyarbeit das Opioid Oxycodon, später auch Fentanyl, die in Deutschland beide unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, sehr häufig und breit verordnet. Viele der Patienten entwickelten während der Therapie eine Abhängigkeit, stiegen später auf billigere Drogen wie Heroin um. Die Zahl der Drogentoten stieg dramatisch. Die Opioid-Krise dauert in den USA an.

Nana starb an einer Überdosis Heroin, als Gifty elf Jahre alt war. Die Mutter, die eine so starke, ja manchmal sogar harte Frau war, die die Emigration aus Ghana initiierte, die Rückkehr des Vaters ins Heimatland wegsteckte und ihre Kinder mit etlichen Jobs allein großzog, brach daraufhin zusammen und entwickelte eine manifeste Depression.

Flucht

Gifty konnte sich nur mit großer Anstrengung aus dieser traurigen Kindheit in Alabama an die Stanford University in Kalifornien flüchten. Flüchten vor der Depression und der erzkonservativen evangelikalen Kirche der First Assembly of God, der sich die tiefreligiöse Mutter angeschlossen hat, ohne deren Rassismus wahrzunehmen. Hilfe bot ihr nach dem Tod des Sohnes niemand an. Im Gegenteil:

„Diese Leute scheinen eine Vorliebe für Drogen zu haben.“

raunte man in der Gemeinde in altbewährter weißer Selbstgerechtigkeit.

Assemby of God church by Kevin King, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Gifty verlor den Glauben, aber nicht ihre Sehnsucht nach jenem erhabenem Königreich, nach dem Yaa Gyasi ihren Roman benannt hat. Die Sehnsucht nach etwas Übergeordnetem, nach Transzendenz ist dem Mensch eigen, glaubt Gifty. Sie findet es in der Wissenschaft.

„Ich hatte die Pfingstbewegung meiner Kindheit gegen diese neue Religion ausgetauscht, diese neue Suche, wohlwissend, dass ich nie alles wissen würde.“

In dieses von der Wissenschaft beherrschte Leben, das Gifty wenig Privatleben bietet, platzt zu Beginn die Mutter mit einer neuen Depression. Gifty nimmt sie bei sich auf, was Anlass für die vielen Rückblenden des Romans ist.

Schwere Themen

Sucht, Depression, Verlust des Vaters, Tod des Bruders, wissenschaftliche Forschung, fundamentaler evangelikaler Glauben, der Dualismus von Wissenschaft und Glauben –

„Ich wuchs auf unter Menschen, die der Wissenschaft misstrauten, die sie für einen hinterlistigen Trick hielten, der ihnen den Glauben rauben sollte, und ich wurde ausgebildet von Wissenschaftlern und Laien, die von Religion sprachen, als wäre es eine wärmende Decke für die Dummen und Schwachen. Aber dieses Spannungsverhältnis, die Vorstellung, dass man sich zwangsläufig zwischen Wissenschaft und Religion entscheiden muss, ist falsch.“

Große Themen, schwere Themen, die sich Yaa Gyasi für Ein erhabenes Königreich vorgenommen hat. Im Hintergrund von allem lauert aber der omnipräsente Rassismus. Der persönliche – etwa in der evangelikalen Gemeinde – als auch der strukturelle, den Giftys Vater nicht mehr ertragen hatte, weswegen er zurück nach Ghana ging und dort eine neue Familie gründete.

„Wenn sie mit meinem Vater unterwegs war, sah sie, wie sich Amerika beim Anblick großer schwarzer Männer veränderte. Sie sah, wie er zu schrumpfen versuchte, den langen stolzen Rücken krümmte, wenn er mit meiner Mutter durch den Walmart ging, wo er in vier Monaten dreimal des Diebstahls bezichtigt wurde.“

Yaa Gyasi erzählt, besonders in den wissenschaftlichen Passagen recht nüchtern und distanziert. Das passt sehr gut zur analytischen Wissenschaftlerin Gifty. Sie kann in den zahlreichen Passagen, die dem Glauben und der Religion gewidmet sind, aber auch „erhaben“ werden. Ein erhabenes Königreich ist vielleicht etwas sperriger als ihr Debütroman, Yaa Gyasi versteht es aber auch damit, nachhaltig zu beeindrucken.

 

Weitere Besprechungen bei Sandra Falke, Seitenhinweis , Letteratura und Leseschatz

Beitragsbild by International Institute of Tropical Agriculture (CC BY-NC 2.0) via Flickr

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Yaa Gyasi - Ein erhabenes Königreich.

Yaa Gyasi – Ein erhabenes Königreich
Übersetzung: Anette Grube
Dumont August 2021, 304 Seiten, gebunden mit Goldprägung und Lesebändchen, € 22,00

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