Tsitsi Dangarembga – Aufbrechen

Im Oktober 2021 erhielt Tsitsi Dangarembga in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Diese seit 1950 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verliehene und mit einer Preissumme von 25.000 Euro verbundene Auszeichnung soll die Selbstverpflichtung des Buchhandels, mit seiner Arbeit der Völkerverständigung zu dienen, ausdrücken. Die Schriftstellerin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe wird deshalb nicht nur für ihr künstlerisches Werk, und hier vor allem für ihre Trilogie um die heranwachsende Frau Tambudzai (in Deutschland sind bisher Band 1 Aufbrechen und Band 3 Überleben erschienen) ausgezeichnet, sondern auch für ihr kulturelles und politisches Engagement.

Der Auftaktband Aufbrechen erschien bereits 1988 unter dem Titel Nervous Conditions und wurde 1991 in der Übersetzung von Ilja Trojanow unter dem Titel Der Preis der Freiheit auch auf Deutsch veröffentlicht. Allzu groß scheint das Interesse an dem Buch nicht gewesen zu sein, denn Band 2 The Book of Not von 2006 wurde nicht mehr übersetzt. Das änderte sich zum Glück, als der dritte und letzte Teil der Trilogie, This Mournable Body, die Shortlist des Booker Prize 2020 erreichte und sich nun der Orlanda Verlag des Werkes von Tsitsi Dangarembga annimmt, Aufbrechen in der alten Übersetzung und die beiden Nachfolgebände in Übersetzungen von Anette Grube veröffentlicht. Allerdings wurde dabei der dritte Teil, Überleben, vorgezogen. Teil 2 soll 2022 erscheinen.

Auftakt

In Aufbrechen lässt Tsitsi Dangarembga das Mädchen Tambuzai, genannt Tambu, erzählen.

„Ich war nicht traurig, als mein Bruder starb.“

Um diesen ersten Satz nicht als reinen Egoismus und Gefühlskälte abzutun, (von denen Tambudzai tatsächlich auch so einiges hat), muss man einen Blick auf das Leben der damals elfjährigen Tambu Sigauke werfen. Ende der 1960er Jahre lebt sie nahe des damaligen Umtali, einer Provinzstadt im Osten des damaligen Rhodesien, nahe der Grenze zu Mosambik (heute heißt die Stadt Mutare). Das Leben der Familie ist eher ärmlich, der Vater  Jeremiah ein wahrer Nichtsnutz, der aber dennoch das Regiment in der Familie führt, die Mutter Ma Shingay durch etliche Schwangerschaften und die harte Arbeit auf dem Feld und im Haus zermürbt.

Tsitsi Dangarembga in der Frankfurter Katharinenkirche Oktober 2021 mit Sulaiman Addonia und Martin Schult
Tsitsi Dangarembga in der Frankfurter Katharinenkirche Oktober 2021 mit Sulaiman Addonia und Martin Schult

Der ganze Ehrgeiz der Familie landet beim Bruder Nhamo, dem der Besuch der Missionsschule ermöglicht wird, während die Schwestern Tambu und die jüngere Netsai kaum über die Grundbildung hinauskommen. Überhaupt wird dieser kleine Hoffnungsschimmer auf eine bessere Zukunft nur durch die Unterstützung des Onkels Babamukuru möglich, der einst selbst durch ein Stipendium zum Studium nach England kam und nun eine Art Schulleiter der Missionsschule ist.

Bildung

Nach dem plötzlichen Tod von Bruder Nhamo bietet sich nun für die ehrgeizige, rebellische, nach Bildung lechzende Tambu die Möglichkeit, dessen Platz auf der Schule einzunehmen. Mit Blick darauf kann man den zunächst herzlos klingenden ersten Satz bald ein wenig verstehen. Zumal Bruder Nhamo auch reichlich arrogant und fest im eisern patriarchalen System des ländlichen Simbawes verankert war. Diese strikte Unterdrückung weiblichen Strebens bekommen selbst Tante Maiguru und Cousine Nyasha unerbittlich zu spüren. Die Jahre, die sie mit dem Onkel in England verbracht haben – Maiguru hat dort selbst ein Studium abgeschlossen – sind nahezu spurenlos vergangen.

Fast, denn natürlich haben Maiguru und Nyasha in Europa ein anderes Leben mit ganz anderen Möglichkeiten für Frauen kennengelernt. Während sich allerdings Maiguru fast klaglos in die althergebrachte Rolle der Frau eines wohlhabenden, angesehenen Mannes fügt, rebelliert die intelligente, eigenwillige Tochter. Die Mittel, die ihr dafür zur Verfügung stehen, sind begrenzt. Sie flüchtet sich in Selbstzerstörung, wird magersüchtig, verschwindet fast ganz.

Zorn

Tambu wählt einen anderen Weg. Ihre Wut und ihr Zorn sind ebenso groß wie die Nyashas. Ihr gelingt es aber, im richtigen Moment zu schweigen, sich wegzuducken, trotzig aber dennoch ihre Interessen weiterzuverfolgen. Letztendlich hat sie auch die nötige Prise Glück. Ihre Leistungen in der Schule sind gut. Und am Ende verspricht der Wechsel auf die höhere Klosterschule eine hoffnungsvolle Zukunft.

Nah an ihrer durchaus ambivalent angelegten Ich-Erzählerin spricht Tsitsi Dangarembga in Aufbrechen wichtige Themen an, die auch mehr als dreißig Jahre nach der Erstveröffentlichung so aktuell sind wie 1988: die postkolonialen Strukturen im damaligen Rhodesien, Klassengesellschaft, Rassismus, Patriarchat, die Rolle von Bildung und immer wieder der Kampf um Selbstbehauptung der Frauen in diesem System. Lebendige Dialoge, authentische Darstellung ihrer Protagonistin und spannende Einblicke in deren Entwicklung verbunden mit einem gesellschaftspolitischen Blick auf Rhodesien/Simbabwe machen die Lektüre von Aufbrechen lohnend und spannend. Ich freue mich sehr auf Teil 2 und 3.

 

Beitragsbild: Mutare by Derek Winterburn (CC BY-ND 2.0) via Flickr

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Tsitsi Dangarembga - Aufbrechen.

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Tsitsi Dangarembga – Aufbrechen
Übersetzung: Ilja Trojanow
Orlanda Dezember 2019, 280 Seiten, Klappenbroschur, € 22,00

2 Gedanken zu „Tsitsi Dangarembga – Aufbrechen

  1. Sehr lesenswertes Buch.
    Die deutsche Übersetzung hat mir allerdings so wenig gefallen, dass ich mir das Buch auf Englisch gekauft habe, um es im Original zu lesen.
    Überraschend finde ich, dass bei Buchbesprechungen der erste Satz stets so hervorgehoben wird. Ich finde es vielmehr hervorhebenswert, wie hart Tambu um ihre Bildung kämpft und selbst von ihrem Bruder boykottiert wird. Dass der erste Satz noch erläutert werden würde, war mir eigentlich von Anfang an klar.
    Das Buch beschreibt sehr eindrücklich, wie die Kinder hilflos zwei Welten ausgesetzt sind: der afrikanischen und der westlichen. Die Männer nehmen sich aus jeder Kultur, was sie wollen, hier im besonderen Babamukuru. Er nimmt überhaupt keine Rücksicht auf seine Frau oder gar seine Tochter, die er ohne nachzudenken in England hat aufwachsen lassen und von der er dann erwartet, sich wieder den patriarchalen Traditionen zu unterwerfen.
    Man leidet mit den Frauen mit.

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